Der kämpferische Jazzweise vom Tafelberg
Jazz. Der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim ist Gast beim Kremser Festival Glatt & verkehrt. Mit der „Presse“sprach er über seine Definition von Heimat, über die revolutionäre Arbeit mit den Jazz Epistles und über Nelson Mandela.
Die Presse: Sie sind seit Jahrzehnten nicht sesshaft, haben Wohnsitze auf mehreren Kontinenten. Wie definieren Sie Heimat? Abdullah Ibrahim: Keinesfalls über etwas Materielles oder einen konkreten Ort. Für mich definiert sich Heimat weniger über psychosoziale Bindungen an Landschaften oder ein bestimmtes Haus, vielmehr über eine bestimmte soziale Dynamik, in der ich mich wohlfühle. Eine Jazzszene gibt es praktisch überall, das schenkt ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Sie haben in jungen Jahren das rassistische Apartheid-Regime in Südafrika verlassen. Mittlerweile sind Sie nach Südafrika zurückgekehrt. Wie sehen Sie die soziale Entwicklung dort? Zunächst ging es um die kollektive Befreiung. Sie ist passiert. Jetzt ist man mit den Problemen der individuellen Freiheit beschäftigt. Sie hier in Österreich sprechen eine Sprache, in Südafrika sind es aber neun Sprachen – und neun Kulturen. Da ist man stets auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Es braucht Geduld, bis sich die Lebensumstände für den Einzelnen verbessert haben.
Mit den Jazz Epistles haben Sie 1959 das erste Independent-Album einer ausschließlich aus Schwarzen bestehenden Band vorgelegt. So haben Sie einen genuin afrikanischen Jazz etabliert. Wie kam es zu dieser kulturellen Großtat? Durch die politischen Umstände. Es war eine Reaktion auf die Unterdrückung. In den USA besann man sich erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre auf das afrikanische Erbe des Jazz. Wir in Südafrika waren da früher dran. Die Beschäftigung mit unseren Traditionen schenkte uns viel Selbstvertrauen.
Wie reagierte das Regime? Unsere kulturellen Emanzipationsbestrebungen lösten nicht gerade Begeisterung aus. Man durfte uns nicht im Radio spielen, wir erhielten diffuse Drohungen. Am Ende verließen die meisten von uns das Land.
Indem Sie Ihre Stücke selbst komponierten und auf Ihr Copyright bestanden, mischten Sie auch die Gebräuche im südafrikanischen Musikgeschäft auf. Wie lief das für gewöhnlich ab? Die Produzenten haben normalerweise ge- fragt, wie der jeweilige Song heißt, und sich dann als Komponisten eingetragen. Sie haben praktisch jeden Song gekidnappt. Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt.
Wo sind Sie damals aufgetreten? Einerseits in den Townships, andererseits aber auch in Clubs, die damals nur Weißen vorbehalten waren. Dort haben wir nach unseren offiziellen Konzerten dann noch in der Küche für das – schwarze – Personal gespielt.
Als Sie Südafrika verließen, gingen Sie zunächst nach Zürich, wo Sie Duke Ellington trafen, der Ihnen entscheidend weiterhalf. Welche Rolle spielte Ellington für Ihre musikalische Entwicklung? Ellington war für uns das Leuchtfeuer. Ein weiser, älterer Musiker, der den Jazz ent- scheidend geprägt hat. Näher mit seiner Musik in Berührung kam ich über die Sängerin Sathima Bea Benjamin, die damals in Kapstadt einen Klavierbegleiter für ihre Ellington-Interpretationen gesucht hat. Sie wurde später meine Frau. Mit ihr ging ich auch ins Exil. Als eines Abends Duke Ellington in Zürich spielte, sprach sie ihn an und lockte ihn zu meinem Konzert im kleinen Club Africana. Ihm gefiel, was er hörte und er vermittelte mir einen Vertrag mit einem amerikanischen Plattenlabel. 1963 veröffentlichten wir „Duke Ellington Presents the Dollar Brand Trio“. Das war der Beginn meiner internationalen Karriere.
Sie gingen 1965 gemeinsam nach New York, ins damalige Mekka des Jazz. Wie war das? Für den Jazz hatte damals eine Umbruchzeit begonnen. Die großen Sängerinnen waren tot oder sind hörbar kommerzieller geworden. Auf der anderen Seite gab es große klangliche Umwälzungen. Etwa durch John Coltrane, dessen Tun wir praktisch täglich beobachteten. Wir waren fasziniert davon, wie er das tonale Zentrum, das bis dahin als Fixpunkt der Musik gegolten hatte, einfach auflöste.
Ihr Geburtsname ist eigentlich Adolph Johannes Brand. Sie wurden zunächst als Dollar Brand berühmt. Wie kam der Dollar in Ihren Namen? Als Teenager hing ich gern im internationalen Hafen von Kapstadt herum, weil da zuweilen Jazzmusiker zu treffen waren, die auf den Schiffen spielten. Ich hatte immer ein paar frisch gewechselte US-Dollar eingesteckt, um ihnen Platten abzukaufen. Daher kam der Name.
Haben Sie in späteren Jahren auch einmal Nelson Mandela persönlich getroffen? Mehrmals. Jedes Mal habe ich mich gedanklich auf das Treffen vorbereitet, wollte mit einem geistreichen Spruch im Gedächtnis bleiben. Aber immer, wenn ich vor ihm stand, kam nur Blödsinn aus mir heraus. Ich fühlte mich wie ein Schulbub. Der Mann hatte eine ganz schöne Aura . . .
Kannte er Ihre Musik? Glücklicherweise ja. Er wurde einmal nach meiner Musik befragt und sagte: „Bach? Beethoven? Brand plays better.“Nett, aber ein bisschen übertrieben. Da fällt mir noch eine nette Anekdote ein: Bei einem Solokonzert in Kapstadt applaudierte das Publikum an extrem seltsamer Stelle. Da dachte ich, die Leute sind entweder superhip oder total blöd. Später kam ein Typ und legte mir einen Zettel aufs Klavier: „Nelson Mandela kam gerade in dein Konzert.“Da war mir alles klar.