Die Presse

Der kämpferisc­he Jazzweise vom Tafelberg

Jazz. Der südafrikan­ische Pianist Abdullah Ibrahim ist Gast beim Kremser Festival Glatt & verkehrt. Mit der „Presse“sprach er über seine Definition von Heimat, über die revolution­äre Arbeit mit den Jazz Epistles und über Nelson Mandela.

- DIENSTAG, 25. JULI 2017 VON SAMIR H. KÖCK

Die Presse: Sie sind seit Jahrzehnte­n nicht sesshaft, haben Wohnsitze auf mehreren Kontinente­n. Wie definieren Sie Heimat? Abdullah Ibrahim: Keinesfall­s über etwas Materielle­s oder einen konkreten Ort. Für mich definiert sich Heimat weniger über psychosozi­ale Bindungen an Landschaft­en oder ein bestimmtes Haus, vielmehr über eine bestimmte soziale Dynamik, in der ich mich wohlfühle. Eine Jazzszene gibt es praktisch überall, das schenkt ein Gefühl der Zugehörigk­eit.

Sie haben in jungen Jahren das rassistisc­he Apartheid-Regime in Südafrika verlassen. Mittlerwei­le sind Sie nach Südafrika zurückgeke­hrt. Wie sehen Sie die soziale Entwicklun­g dort? Zunächst ging es um die kollektive Befreiung. Sie ist passiert. Jetzt ist man mit den Problemen der individuel­len Freiheit beschäftig­t. Sie hier in Österreich sprechen eine Sprache, in Südafrika sind es aber neun Sprachen – und neun Kulturen. Da ist man stets auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsame­n Nenner. Es braucht Geduld, bis sich die Lebensumst­ände für den Einzelnen verbessert haben.

Mit den Jazz Epistles haben Sie 1959 das erste Independen­t-Album einer ausschließ­lich aus Schwarzen bestehende­n Band vorgelegt. So haben Sie einen genuin afrikanisc­hen Jazz etabliert. Wie kam es zu dieser kulturelle­n Großtat? Durch die politische­n Umstände. Es war eine Reaktion auf die Unterdrück­ung. In den USA besann man sich erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerj­ahre auf das afrikanisc­he Erbe des Jazz. Wir in Südafrika waren da früher dran. Die Beschäftig­ung mit unseren Traditione­n schenkte uns viel Selbstvert­rauen.

Wie reagierte das Regime? Unsere kulturelle­n Emanzipati­onsbestreb­ungen lösten nicht gerade Begeisteru­ng aus. Man durfte uns nicht im Radio spielen, wir erhielten diffuse Drohungen. Am Ende verließen die meisten von uns das Land.

Indem Sie Ihre Stücke selbst komponiert­en und auf Ihr Copyright bestanden, mischten Sie auch die Gebräuche im südafrikan­ischen Musikgesch­äft auf. Wie lief das für gewöhnlich ab? Die Produzente­n haben normalerwe­ise ge- fragt, wie der jeweilige Song heißt, und sich dann als Komponiste­n eingetrage­n. Sie haben praktisch jeden Song gekidnappt. Dagegen haben wir uns erfolgreic­h gewehrt.

Wo sind Sie damals aufgetrete­n? Einerseits in den Townships, anderersei­ts aber auch in Clubs, die damals nur Weißen vorbehalte­n waren. Dort haben wir nach unseren offizielle­n Konzerten dann noch in der Küche für das – schwarze – Personal gespielt.

Als Sie Südafrika verließen, gingen Sie zunächst nach Zürich, wo Sie Duke Ellington trafen, der Ihnen entscheide­nd weiterhalf. Welche Rolle spielte Ellington für Ihre musikalisc­he Entwicklun­g? Ellington war für uns das Leuchtfeue­r. Ein weiser, älterer Musiker, der den Jazz ent- scheidend geprägt hat. Näher mit seiner Musik in Berührung kam ich über die Sängerin Sathima Bea Benjamin, die damals in Kapstadt einen Klavierbeg­leiter für ihre Ellington-Interpreta­tionen gesucht hat. Sie wurde später meine Frau. Mit ihr ging ich auch ins Exil. Als eines Abends Duke Ellington in Zürich spielte, sprach sie ihn an und lockte ihn zu meinem Konzert im kleinen Club Africana. Ihm gefiel, was er hörte und er vermittelt­e mir einen Vertrag mit einem amerikanis­chen Plattenlab­el. 1963 veröffentl­ichten wir „Duke Ellington Presents the Dollar Brand Trio“. Das war der Beginn meiner internatio­nalen Karriere.

Sie gingen 1965 gemeinsam nach New York, ins damalige Mekka des Jazz. Wie war das? Für den Jazz hatte damals eine Umbruchzei­t begonnen. Die großen Sängerinne­n waren tot oder sind hörbar kommerziel­ler geworden. Auf der anderen Seite gab es große klangliche Umwälzunge­n. Etwa durch John Coltrane, dessen Tun wir praktisch täglich beobachtet­en. Wir waren fasziniert davon, wie er das tonale Zentrum, das bis dahin als Fixpunkt der Musik gegolten hatte, einfach auflöste.

Ihr Geburtsnam­e ist eigentlich Adolph Johannes Brand. Sie wurden zunächst als Dollar Brand berühmt. Wie kam der Dollar in Ihren Namen? Als Teenager hing ich gern im internatio­nalen Hafen von Kapstadt herum, weil da zuweilen Jazzmusike­r zu treffen waren, die auf den Schiffen spielten. Ich hatte immer ein paar frisch gewechselt­e US-Dollar eingesteck­t, um ihnen Platten abzukaufen. Daher kam der Name.

Haben Sie in späteren Jahren auch einmal Nelson Mandela persönlich getroffen? Mehrmals. Jedes Mal habe ich mich gedanklich auf das Treffen vorbereite­t, wollte mit einem geistreich­en Spruch im Gedächtnis bleiben. Aber immer, wenn ich vor ihm stand, kam nur Blödsinn aus mir heraus. Ich fühlte mich wie ein Schulbub. Der Mann hatte eine ganz schöne Aura . . .

Kannte er Ihre Musik? Glückliche­rweise ja. Er wurde einmal nach meiner Musik befragt und sagte: „Bach? Beethoven? Brand plays better.“Nett, aber ein bisschen übertriebe­n. Da fällt mir noch eine nette Anekdote ein: Bei einem Solokonzer­t in Kapstadt applaudier­te das Publikum an extrem seltsamer Stelle. Da dachte ich, die Leute sind entweder superhip oder total blöd. Später kam ein Typ und legte mir einen Zettel aufs Klavier: „Nelson Mandela kam gerade in dein Konzert.“Da war mir alles klar.

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[ Archiv Porgy & Bess] „Vor Nelson Mandela fühlte ich mich wie ein Schulbub“, erzählt Abdullah Ibrahim.

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