Totenmesse, Verzweiflung und Glaubenstriumph
Salzburger Festspiele. Teodor Currentzis deutet Mozarts „Requiem“aus barocker Rhetorik und lässt Alfred Schnittkes Glaubensbekenntnis voller Inbrunst erschallen; das Hagen Quartett breitet Schostakowitschs Tristesse aus: Starke Kontraste und Affekte bei d
Amen: Juden, Christen wie Muslime verwenden dieses Gebetswort. Es bedeutet mehr und etwas anderes als die landläufige Übersetzung „So soll es sein“, nämlich: sich festigen, sich verankern in Gott, sich auf ihn ausrichten. In der abendländischen Sakralmusik ist es durch die Jahrhunderte allgegenwärtig – ob nun als lakonische Schlusskadenz komponiert oder als umfangreiche Fuge. Am zweiten Tag der Ouverture spirituelle hatte das Amen in zwei Werken einen denkwürdigen, speziellen Auftritt.
Speziell war freilich schon das Festspieldebüt von Teodor Currentzis und seiner auf ihn eingeschworenen Chor- und Orchestervereinigung MusicAeterna, wenige Tage vor der gemeinsamen Premiere von Mozarts „La clemenza di Tito“in der Regie von Peter Sellars. Wie würde Mozarts Requiem unter den Händen des viel diskutierten, durchaus kontrovers beurteilten Dirigenten klingen, des wechselweise als Gottseibeiuns oder Messias der Klassik bezeichneten Nonkonformisten mit einem Hang zur Selbstinszenierung? Die Antwort: Natürlich nach Originalklangmanier, im Gestus barock anmutend, ja manchmal noch älter, mit persönlichen Färbungen – und v. a. mit einer ungemein plastischen Darstellung des Chorparts.
Leichtfüßig, nie leichtgewichtig
Dass Currentzis das Rad der historischen Aufführungspraxis nicht neu erfindet, mag der Tradition verbundene Hörer vielleicht sogar beruhigen. Gewiss antworten da gleich im Introitus den auf Samtpfoten einherschreitenden Streichern die Posaunenakkorde, als wäre sie Krallen – und der Schlussakkord mit Paukenwirbel tönt hart, kalt, unversöhnlich. Aber die Kontraste wirken keineswegs mutwillig überzogen. Und er sucht musikalische Andacht. Nicht etwa durch pastose Legato-Breite, wie wir sie von älteren Aufnahmen kennen – diese unterbindet er sogar besonders streng, deutet etwa Begleitfiguren im Orchester eher als Geißelhiebe denn als wohlige Ornamentik. Nein, seine Andacht, äußerlich etwas forciert durch die schwarzen Soutanen, die Orchester und Chor tragen, lebt musikalisch von wendiger Dynamik, die aus der Textausdeutung kommt. In zum Teil überraschenden Pianissimofeldern wirkt sie am stärksten. Ohne den famosen Chor wäre das undenkbar, würde seine Deutung viel herkömmlicher klingen: Ob merkwürdige Akzente oder an- und abschwellende Phrasen, jede Nuance scheinen die Sänger genau nach Currentzis’ Vorstellungen zu verwirklichen – mit leichtfüßiger, aber nie leichtgewichtiger Präzision.
Dafür wählte er Süßmayrs viel gescholtene, aber doch auch bewährte Ergänzung. Mit einer Ausnahme: Er nahm das Fragment jener „Amen“-Doppelfuge hinein, das Mozart für den Schluss des Lacrimosa vorgesehen hatte, mit deren Ausarbeitung Süßmayr aber überfordert war. Gerade diese wenigen, bedächtig genommenen Takte und ihr abrupter, offener Schluss ergaben den berührendsten Moment.
Ortswechsel von der Felsenreitschule in die Kollegienkirche zur Konzertreihe „Zeit mit Schostakowitsch“. Bei dessen letztem, nachtschwarz depressivem Streichquartett hatte das beredte Hagen Quartett in jede der einsamen Linien etwas von seelischer Qual eingeschmolzen. Als Kontrast und Antwort dann Alfred Schnittkes Konzert für Chor, ein Werk widerständiger Glaubensgewissheit in herb gewürzter Tonalität, bei dem sich die Harmonien manchmal wie unter der Knute zu winden scheinen. Der Chor von MusicAeterna und der Salzburger Bach-Chor waren, glänzend studiert, zum homogenen Ensemble verschmolzen, das sich unter Currentzis in allen Lagen und dynamischen Stufen mit Inbrunst die Seele aus dem Leib sang.
Zum ewig wiederholten Schluss-„Amen“in reinem Dur zogen die Sänger aus der Kirche aus: ein starker, symbolhafter Effekt. Vielleicht war die singende Rückkehr von außen hinter die Bühne dann zu viel des Guten. Aber: Überraschend, berührend, kontroversiell – so sollen Festspiele sein. Amen.