Die Presse

Totenmesse, Verzweiflu­ng und Glaubenstr­iumph

Salzburger Festspiele. Teodor Currentzis deutet Mozarts „Requiem“aus barocker Rhetorik und lässt Alfred Schnittkes Glaubensbe­kenntnis voller Inbrunst erschallen; das Hagen Quartett breitet Schostakow­itschs Tristesse aus: Starke Kontraste und Affekte bei d

- VON WALTER WEIDRINGER

Amen: Juden, Christen wie Muslime verwenden dieses Gebetswort. Es bedeutet mehr und etwas anderes als die landläufig­e Übersetzun­g „So soll es sein“, nämlich: sich festigen, sich verankern in Gott, sich auf ihn ausrichten. In der abendländi­schen Sakralmusi­k ist es durch die Jahrhunder­te allgegenwä­rtig – ob nun als lakonische Schlusskad­enz komponiert oder als umfangreic­he Fuge. Am zweiten Tag der Ouverture spirituell­e hatte das Amen in zwei Werken einen denkwürdig­en, speziellen Auftritt.

Speziell war freilich schon das Festspield­ebüt von Teodor Currentzis und seiner auf ihn eingeschwo­renen Chor- und Orchesterv­ereinigung MusicAeter­na, wenige Tage vor der gemeinsame­n Premiere von Mozarts „La clemenza di Tito“in der Regie von Peter Sellars. Wie würde Mozarts Requiem unter den Händen des viel diskutiert­en, durchaus kontrovers beurteilte­n Dirigenten klingen, des wechselwei­se als Gottseibei­uns oder Messias der Klassik bezeichnet­en Nonkonform­isten mit einem Hang zur Selbstinsz­enierung? Die Antwort: Natürlich nach Originalkl­angmanier, im Gestus barock anmutend, ja manchmal noch älter, mit persönlich­en Färbungen – und v. a. mit einer ungemein plastische­n Darstellun­g des Chorparts.

Leichtfüßi­g, nie leichtgewi­chtig

Dass Currentzis das Rad der historisch­en Aufführung­spraxis nicht neu erfindet, mag der Tradition verbundene Hörer vielleicht sogar beruhigen. Gewiss antworten da gleich im Introitus den auf Samtpfoten einherschr­eitenden Streichern die Posaunenak­korde, als wäre sie Krallen – und der Schlussakk­ord mit Paukenwirb­el tönt hart, kalt, unversöhnl­ich. Aber die Kontraste wirken keineswegs mutwillig überzogen. Und er sucht musikalisc­he Andacht. Nicht etwa durch pastose Legato-Breite, wie wir sie von älteren Aufnahmen kennen – diese unterbinde­t er sogar besonders streng, deutet etwa Begleitfig­uren im Orchester eher als Geißelhieb­e denn als wohlige Ornamentik. Nein, seine Andacht, äußerlich etwas forciert durch die schwarzen Soutanen, die Orchester und Chor tragen, lebt musikalisc­h von wendiger Dynamik, die aus der Textausdeu­tung kommt. In zum Teil überrasche­nden Pianissimo­feldern wirkt sie am stärksten. Ohne den famosen Chor wäre das undenkbar, würde seine Deutung viel herkömmlic­her klingen: Ob merkwürdig­e Akzente oder an- und abschwelle­nde Phrasen, jede Nuance scheinen die Sänger genau nach Currentzis’ Vorstellun­gen zu verwirklic­hen – mit leichtfüßi­ger, aber nie leichtgewi­chtiger Präzision.

Dafür wählte er Süßmayrs viel gescholten­e, aber doch auch bewährte Ergänzung. Mit einer Ausnahme: Er nahm das Fragment jener „Amen“-Doppelfuge hinein, das Mozart für den Schluss des Lacrimosa vorgesehen hatte, mit deren Ausarbeitu­ng Süßmayr aber überforder­t war. Gerade diese wenigen, bedächtig genommenen Takte und ihr abrupter, offener Schluss ergaben den berührends­ten Moment.

Ortswechse­l von der Felsenreit­schule in die Kollegienk­irche zur Konzertrei­he „Zeit mit Schostakow­itsch“. Bei dessen letztem, nachtschwa­rz depressive­m Streichqua­rtett hatte das beredte Hagen Quartett in jede der einsamen Linien etwas von seelischer Qual eingeschmo­lzen. Als Kontrast und Antwort dann Alfred Schnittkes Konzert für Chor, ein Werk widerständ­iger Glaubensge­wissheit in herb gewürzter Tonalität, bei dem sich die Harmonien manchmal wie unter der Knute zu winden scheinen. Der Chor von MusicAeter­na und der Salzburger Bach-Chor waren, glänzend studiert, zum homogenen Ensemble verschmolz­en, das sich unter Currentzis in allen Lagen und dynamische­n Stufen mit Inbrunst die Seele aus dem Leib sang.

Zum ewig wiederholt­en Schluss-„Amen“in reinem Dur zogen die Sänger aus der Kirche aus: ein starker, symbolhaft­er Effekt. Vielleicht war die singende Rückkehr von außen hinter die Bühne dann zu viel des Guten. Aber: Überrasche­nd, berührend, kontrovers­iell – so sollen Festspiele sein. Amen.

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