Die Presse

Der widerständ­ige Geist der Viennale

Nachruf. Am Sonntag ist der langjährig­e Viennale-Direktor Hans Hurch an Herzversag­en gestorben. Er machte das Filmfestiv­al zu einer internatio­nalen Institutio­n – und war eine der markantest­en Stimmen der heimischen Kinolandsc­haft.

- VON ANDREY ARNOLD

Nur wenige Filmfestiv­als genießen in cinephilen Kreisen einen so guten Ruf wie die Viennale. Jeden Herbst pilgern zahlreiche Kinoenthus­iasten nach Wien, um im Rahmen der Veranstalt­ung der siebten Kunst zu huldigen. Grund dafür ist vor allem das weitläufig­e und wagemutige Programm – und das trug in den letzten zwanzig Jahren die unverkennb­are Handschrif­t eines Mannes, dem breiter Publikumsg­eschmack nie viel bedeutete: Hans Hurch.

Seine Haltung war stets beseelt von der Idee des Widerstand­s: gegen den gedankenlo­sen Konsum von Laufbilder­n, die Vorherrsch­aft des Themas über die Form, die Einspeisun­g des Filmwunder­s in eine kunstfeind­liche Diskursmas­chinerie. Sogenannte Filmkultur interessie­rte ihn nicht, wie er oft betonte. Seine Leidenscha­ft galt dem Kino selbst. Von dessen Potenzial, die Welt zu verändern, war er fest überzeugt, er verstand die Viennale auch als Plattform für die Präsentati­on utopischer Entwürfe – aber er wurde dabei nicht zum Eiferer. Nicht umsonst sprechen Porträts von einem „sanften Rebellen“, einem „freundlich­en Terroriste­n“.

Frühe Begeisteru­ng in Schärding

Seine Kinobegeis­terung entwickelt­e er bereits früh, als Kind im oberösterr­eichischen Schärding, wo er in einem Haushalt ohne Fernsehapp­arat aufwuchs. Bei Schulvorfü­hrungen lernte er subversive Stummfilmk­omödien von Chaplin, Keaton, Laurel und Hardy kennen und lieben. Später nahm er diese immer wieder ohne besonderen Anlass ins Viennale-Programm. Nach der Matura zog es ihn Richtung Wien, wo er zur Stammkunds­chaft von Filmmuseum und Stadtkino gehörte – und nach einem Parcours durch diverse Studienric­htungen (Kunstgesch­ichte, Philosophi­e, Archäologi­e, Soziologie und Psychologi­e) für die junge Stadtzeitu­ng „Falter“zu schreiben begann.

Diese Tätigkeit markierte den Anfang einer lebenslang­en, intensiven Beschäftig­ung mit Film, zu der auch Regieassis­tenzen bei Arbeiten von Jean-Marie Straub und Dani`ele Huillet gehörten („Der Tod des Empedokles“, „Antigone“). In Hurchs persönlich­em Kanon standen das Künstlerpa­ar und dessen in jeder Hinsicht radikal unabhängig­es Werk ganz weit oben: Bis zuletzt kam keine Viennale ohne Straub-Beitrag aus. 1994 konnte sich Hurch im Zuge des staatliche­n Jubiläumsp­rojekts „hundertjah­rekino“als kundig-findiger Kurator profiliere­n und wurde schon drei Jahre später zum Viennale-Direktor berufen. Seine Beziehung zum Vorgänger Alexander Horwath, der im Gegenzug die Leitung des Österreich­ischen Filmmuseum­s übernahm, blieb stets angespannt – die Retrospekt­ive des Festivals konzipiert­en die beiden dennoch Jahr für Jahr gemeinsam.

Unter Hurch geriet die Viennale zum Schlaraffe­nland für Kino-Liebhaber, das den Finger fest am Puls der Zeit hatte. Jede Ausgabe bot einen Aufriss der spannendst­en Positionen des Gegenwarts­kinos und ihrer Wurzeln, mit Fokus auf Autorenfil­m. Zu vielen Regisseure­n unterhielt Hurch ein persönlich­es Verhältnis, er verschickt­e manch eine Einladung per Postkarte. Trotzdem verkam das Festival nie zu einem abgehobene­n Privatvere­in, im Gegenteil: Aus dem Wiener Masseneven­tkalender war es bald nicht mehr wegzudenke­n. Denn bei aller Selbstgenü­gsamkeit hatte Hurch ein Gespür für seine Zuschauer und wusste dieses geschickt zu nutzen, Sperriges und Spaßiges hielt sich bei seiner Auswahl bewusst die Waage. Bei öffentlich­en Auftritten gab er sich – bärtig, mit markanter Mähne und zumeist in Schwarz – betont bodenständ­ig: als weiser Schelm mit Hintersinn und Apercu-¸Talent, eine Art Herr Keuner des Kinos. Viele seiner Pressekonf­erenzen und Eröffnungs­reden enthielten Spitzen und Sticheleie­n; manchmal auch gegen die österreich­ische Kulturpoli­tik, mit deren Vertretern er sich aber gut verstand. Weniger fruchtbar war Hurchs Beziehung zum heimischen Filmschaff­en, das er in Interviews wiederholt abtat. 2012 zog Ulrich Seidl zwei seiner Arbeiten aus dem Viennale-Programm zurück, weil man sich nicht auf einen adäquaten Spieltermi­n einigen konnte.

Kritik an der heimischen Filmkritik

Auch auf die österreich­ische Filmkritik war Hurch nicht besonders gut zu sprechen. Zuletzt sorgte er mit einem „Falter“-Interview für Schlagzeil­en, in dem er Kritiker als „Sklavensee­len“und „Parksherri­fs“verunglimp­fte. Das war Ausdruck eines ausgeprägt­en Hangs zur kalkuliert­en Provokatio­n, der ihn konstant im Gespräch hielt. Aber am Ende ging es ihm doch um die Sache, wie Hurch 2015 bei einer Diskussion am Rande der Berlinale erklärte: „Ich weiß, dass ich es nicht schaffen werde, mit dem Programmie­ren von Filmen eine Revolution herbeizufü­hren, aber wenigstens habe ich immer noch die Ahnung im Hinterkopf, dass etwas anderes möglich ist als die bestehende Welt.“Am Sonntag starb Hans Hurch in Rom, wo er den Filmemache­r Abel Ferrara besucht hatte, an den Folgen eines Herzinfark­ts. Im Dezember wäre er 65 geworden, seine unlängst verlängert­e Viennale-Intendanz ging noch bis 2018. Die Ahnung einer anderen Welt – und eines anderen Kinos – müssen nun andere weitertrag­en.

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] APA ] Ein sanfter Rebell des Kinos mit Mut zu Utopien: Hans Hurch (1952–2017).

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