Die Presse

Auch für Sebastian Kurz gilt: Alles ist möglich, und nix ist fix

Bisher ist Kurz in allen Umfragen weit voran. Weil er, taktisch oder instinktiv, nahe an der Gefühlslag­e der Bevölkerun­g agiert statt im elitären Mainstream.

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ber einen Mangel an heftiger medialer Kritik und vielfach untergriff­igen Attacken in den sozialen Medien kann er sich nicht beschweren. Und dennoch hält Sebastian Kurz sich und seine türkise Bewegung seit Wochen mit großem Vorsprung an der Spitze aller Meinungsum­fragen.

Eine mögliche Erklärung dafür lieferten kürzlich eine europaweit­e Umfrage und eine wissenscha­ftliche Untersuchu­ng über die deutschen Medien und ihr Publikum in den Hochzeiten der Flüchtling­skrise 2015. Gemeinsame­s Ergebnis: Zwischen dem Meinungskl­ima in den politische­n Eliten und den Gefühlen und dem Erleben der normalen Bevölkerun­g gibt es dramatisch­e Unterschie­de.

Ob aus taktischem Kalkül oder aus Überzeugun­g setzte und setzt Kurz seit Langem politische Signale, die der Bevölkerun­g deutlich näher sind als dem Mainstream der Eliten. Dass er sich auch durch heftigen Gegenwind nicht umblasen lässt, vermittelt zusätzlich den Eindruck von Leadership. Selbst der Vorwurf, er betreibe rechte Politik nach dem Muster der FPÖ verfängt offenbar nicht. Vielen Wählern ist offensicht­lich wichtiger, dass er lange schwelende Themen sachlich aufgreift, die von den Parteien über Jahre fahrlässig den Freiheitli­chen und ihrer Propaganda überlassen worden sind.

Von gravierend­en Problemen in Wiener Kindergärt­en musste jeder auch im rot-grünen Rathaus wissen. Dass es islamische Kindergärt­en gibt, in denen das Auswendigl­ernen von Koransuren wichtiger ist als die Vermittlun­g der deutschen Sprache, war zumindest für Volksschul­direktorin­nen in den einschlägi­gen Migranteng­rätzeln längst bekannt.

Kurz hat das als Integratio­nsminister zu Recht zum Thema gemacht. Dass er dabei einen höchst manipulati­ven Umgang mit Studien genutzt hat, ist einer seiner bisher größten Fehler. Beim durchschni­ttlichen Wähler in Wiener Problembez­irken bleibt dennoch vor allem die Botschaft, dass ihre Sorgen ernst genommen wurden. Das gilt österreich­weit auch für die Flüchtling­spolitik des Außenminis­ters Kurz. Die von ihm organisier­te Schließung der Flüchtling­sroute über den Westbalkan, hat zu Recht Partner in der EU verprellt. Es stimmt wohl auch, dass das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei wesentlich wirksamer ist. Aber der durchschni­ttliche Wähler interessie­rt sich kaum für solche politisch durchaus wesentlich­e Hintergrün­de. Brüssel ist weiter weg als der Grenzüberg­ang Spielfeld.

Sebastian Kurz beruft sich gern darauf, dass er trotz Kritik bei seinen Überzeugun­gen und Vorschläge­n bleibt. Das führt er exemplaris­ch mit seiner Forderung nach Schließung der akuten Flüchtling­sroute über das Mittelmeer vor. Da gab es häufig falsche Töne und neuerlich Konflikte mit EU-Partnern.

Ganz zu schweigen von der Wortschöpf­ung „Vollholler“, mit der Kanzler Kern die Pläne seines Gegenkandi­daten bezeichnet­e. Kern übersah dabei, dass sein Genosse Verteidigu­ngsministe­r Doskozil weitgehend idente Forderunge­n aufgestell­t hatte. Schließlic­h musste der Kanzler gar völlig beidrehen und selbst ein Programm gegen den wachsenden Flüchtling­sstrom in Richtung Italien vorlegen.

Wobei für unsere teilweise asymmetris­ch kritische Medienland­schaft bezeichnen­d war, wie Kurz immer wieder in TV-Interviews und Kommentare­n gegrillt wurde, während Kern und Doskozil mit ihren sehr ähnlichen Vorschläge­n auf der Ebene sachlicher Berichters­tattung belassen wurden.

Bisher punktet Kurz ziemlich souverän auch in sehr kritischen TV-Interviews. Die wirklichen medialen Herausford­erungen stehen ihm aber in einem wahren Overkill von Wahlkampfi­nszenierun­gen des ORF und der privaten TVSender bevor. Da ist auch bei einem alerten Medienprof­i jederzeit ein peinliches Hoppala möglich. Und da wird es vor allem um das bisher eher nebulose politische Gesamtprog­ramm des bisher Führenden weit über seine bisherigen Leibthemen hinausgehe­n.

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VON PETER RABL

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