Neues von der Alltagschronistin
Literatur. Stefanie Sargnagels „Statusmeldungen“sind das politisch unkorrekte Protokoll bewegter zwei Jahre. In Österreich ebenso wie in ihrem persönlichen Leben.
Die „Statusmeldungen“, die Stefanie Sargnagel soeben als Buch veröffentlicht hat, sind das Protokoll zweier bewegter Jahre.
Eigentlich fällt es schwer, Stefanie Sargnagel misszuverstehen. Kaum jemand würde einen Satz wie „Mein Lieblingsautor bin ich, ehrlich gesagt“(29. 9. 2015) als Anfall von Selbstverliebtheit werten. Oder folgende Behauptung tatsächlich ernst nehmen: „Ich will nicht erwachsen werden. Erwachsene schwitzen so“(28. 9. 2015). Und doch gibt es Menschen, die Sargnagel nicht verstehen wollen. Die sich über Reiseberichte wie jenen, zugegeben nicht besonders originellen aus Marokko im vergangenen Februar beschweren, in dem sie von maßlosem Alkohol- und Marihuanakonsum schrieb und davon, dass ihre Mitreisende streunende Katzen misshandelt.
Die „Kronen Zeitung“nahm die Autorin hier beim Wort und löste im vergangenen März mit ihrer Anti-Sargnagel-Polemik eine Welle der Empörung im Internet aus, die vor allem Männer dazu veranlasste, offen gegen die Autorin zu hetzen und ihr Gewalt anzudrohen. Doch Stefanie Sargnagel nimmt solche Aufregungen mit erstaunlicher Gelassenheit und verfasst stattdessen Rap-Zeilen „an all die rechtskonservativen Männer, die mich mit Gewalt bedrohen“, mit Zeilen wie: „Eure Wut beflügelt mich, eure Angst nährt mein Herz. Der Versuch, mich leise zu kriegen, lässt mich in die Exosphäre schießen. Ich bin euer schlimmster Albtraum, und das spürt ihr . . .“
Covergirl feministischer Magazine
Diesen Rap hat Stefanie Sargnagel als Schlussrede in ihr soeben erschienenes neues Buch gestellt. In „Statusmeldungen“fasst sie ihre Facebook-Posts von Juli 2015 bis Februar 2017 zusammen. (Das Babykatzengate im März spart sie somit aus, was kein Fehler ist.) Es sind zwei wichtige Jahre, die Sargnagel mit Alltagsnotizen, Gedichten, To-doListen und bisweilen infantilen Zwischenrufen („Mamaaaaa, Orsch, auschwischi“, 29. 9. 2015) protokolliert hat. Zwei Jahre, in denen viel passiert ist. Aus der FacebookChronistin ist eine Autorin geworden, die auch außerhalb der Literaturszene vielen ein Begriff ist (und viele reizt), die Titelblätter von Magazinen ziert, aktuell etwa das des feministischen Magazins „Missy Magazine“, und längst von ihrem Schreiben leben kann. Ihren Job im Callcenter hat sie deshalb im Vorjahr aufgegeben. 30 ist sie im vergangenen Jahr geworden, eine Altersgrenze, die sie in ihren Statusmeldungen immer wieder thematisiert. Ebenfalls im Vorjahr war sie Teilnehmerin beim Wettlesen in Klagenfurt, was ihr den Bachmann-Publikumspreis und ein Stadtschreiber-Stipendium in der Kärntner Landeshauptstadt einbrachte.
Außerdem waren da Flüchtlingskrise, Zielpunkt-Pleite und Bundespräsidentenwahl. All diese Ereignisse und Erfahrungen fließen in Sargnagels „Statusmeldungen“ein, sie schreibt über ihre Lesereisen, das Wettlesen, abwechselnd über ihre Mutter und ihren Vater, ihren Freund Witzmann, der mittlerweile ihr Exfreund ist, immer wieder über Richard Lugner und den Wiener Bürgermeister. Der Großteil aber sind Auslassungen über die Unterschicht („Ich mag’s, wie die müden Familien sich beim Chinabuffet nie unterhalten“, 20. 2. 2016) und die anderen, die sogenannten Bobos („Keinen Nahversorger mehr zu haben schränkt meine Lebensqualität massiv ein“, 5. 3. 2016) – wobei sie sich wahlweise mit den einen (zum Beispiel in „uns Proleten“), dann wieder mit den anderen identifiziert.
Traiskirchen-Stickeralbum
Über Witz und Originalität vieler Statusmeldungen lässt sich diskutieren, doch eine von Sargnagels Stärken ist die Ambivalenz ihrer Texte. Ist sie einmal total von sich und ihrem Lebensstil überzeugt, zweifelt sie im nächsten Moment daran. In Sätzen wie „Ich check nicht, wie die Welt funktioniert“oder „Wenn ich traurig bin, esse ich einfach ganz viele Sachen“muss man die Ironie suchen. Sie wechselt permanent zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, sehnt sich nach Normalität, verachtet sie aber gleichzeitig.
Ambivalent sind auch die Themen, über die sie schreibt. Einerseits hat Sargnagel keine Berührungsangst bei Fäkal-oder Sexual- ausdrücken; „Furz“und „Schas“, „Fifi“und „Pudern“sind Worte, die sie häufig und wie es scheint genussvoll verwendet. Andererseits spart sie nicht mit ernsten Themen. So nimmt sie etwa deutlich Stellung gegen rechte Politik, Frauendiskriminierung oder macht sich lustig über die teilweise perversen Auswüchse der „Willkommenskultur“während der Flüchtlingskrise, obwohl sie sich da selbst engagierte („Gibt es eigentlich schon ein Traiskirchen-Stickeralbum, in das man seine Flüchtlinge kleben kann, die man beim Spendenbringen knipst?“, 20. 8. 2015.)
Als Service vor allem für die deutschen Leser hält Sargnagel auch ein Glossar bereit, in dem sie Orte (von Donauinsel bis zur Bäckereikette Josephbrot), Personen (wie Ursula Stenzel und Thomas Forstner) und Wiener Ausdrücke (wie „diaf“, „Goschn“oder „Schastrommel“) erklärt. Als „Ansellnern“zum Beispiel gilt „das unwillkürliche Urinieren in die eigene Hose“, angelehnt an Martin Sellner, den Leiter der rechtsextremen Identitären Bewegung. Sargnagels Kunst ist es, solche Begriffe wie selbstverständlich in ihre Texte aufzunehmen.