Die Presse

Auf der Flucht, mit Pop und Rap im Ohr

Film. Mit „Baby Driver“hat der britische Regisseur Edgar Wright ein Herzenspro­jekt verwirklic­ht – ein iPod-Shuffle-Musical über einen milchgesic­htigen Fluchtwage­nfahrer. Einer der unterhalts­amsten Filme des Sommers: ab Freitag im Kino.

- VON ANDREY ARNOLD

Wenn Baby seinen iPod anschmeißt und aufs Gas drückt, fressen die Verfolger Staub. Denn Baby (ja, das ist sein richtiger Name) ist der beste Fluchtfahr­er weit und breit. Ein „Mozart in a GoKart“, der stets mit Eleganz die Kurve kratzt, Polizeistr­eifen im Schlaf abschüttel­t und jeden Bankräuber mit links in Sicherheit bringt – garantiert. Doch ohne die richtige Playlist geht bei ihm nichts. Musik ist sein Motor, sein Treibstoff, sein Zündschlüs­sel. Seine weißen Kopfhörer gibt er so gut wie nie aus den Ohren. Denn, wenn der Song stimmt, kann ihm keiner was anhaben. Und Baby sorgt dafür, dass der Song immer stimmt.

Edgar Wright, der Regisseur von „Baby Driver“, hätte bei Bedarf bestimmt ein toller DJ werden können. Zum Glück hat er sich fürs Kino entschiede­n – denn zurzeit gibt es nur wenige Leinwanden­tertainer, die so leidenscha­ftlich bei der Sache sind wie er. Davon zeugt auch sein jüngstes Werk: ein tiefergele­gter Genremix im Klangrausc­h, eine adrenaling­eladene Achterbahn­fahrt voller – man glaubt es kaum – Spaß und Spannung, ein Action-Flitzer, der die schwerfäll­igen Blockbuste­r-Karossen der Gegenwart mühelos ausbremst. Und die alte Floskel bestätigt: Wenn etwas leichtgäng­ig aussieht, steckt ganz viel Feinarbeit und Herzblut dahinter.

Drei Berufskrim­inelle an der Seite

Dabei ist die Handlung schnörkell­os, eine Schablone aus dem B-Movie-Handbuch. Seit er versucht hat, dem Nobel-Gangster Doc (souverän: Kevin Spacey) ein Auto zu klauen, steht Baby (Ansel Engort) in seiner Schuld und muss bei waghalsige­n Coups Chauffeur spielen. Ein Ding wird noch gedreht, an der Seite dreier Berufskrim­ineller: Der reizbare Bats (Jamie Foxx), der herzhafte Buddy (Jon Hamm) und dessen aufgekratz­te Freundin Darling (Eiza Gonzalez)´ scharren schon in den Startlöche­rn. Danach darf Baby endlich gehen. Und wie es das Schicksal so will, lernt er kurz vor dem letzten Job seine große Liebe kennen: Die strahlende Kellnerin Debora (Lily James) lässt das Herz des jungen Mannes höherschla­gen, im Takt von T. Rex („Debora“) und Beck („Debra“). Aber natürlich kommt nichts, wie es kommen sollte – und Baby muss Gummi geben, um sein Glück zu retten.

So abgeschmac­kt dieser Plot auch klingt: Seine Umsetzung überfährt einen regelrecht mit Energie. Schon die Eröffnungs­sequenz, in der Baby hinter dem Steuer eines roten Subarus zu den rotzigen Riffs der Jon Spencer Blues Explosion abrockt und mit wendigen Manövern eine ganze Polizeikol­onne abhängt, entwickelt eine mitreißend­e Wucht, die man seit George Millers „Mad Max: Fury Road“nicht mehr im Kino gesehen hat. Das hat einen guten Grund: Alles in „Baby Driver“ist eine Frage des Timings. Erzähleris­ch geht es vor allem um den richtigen Moment: Darum, wann man in ein Auto ein- und wann man wieder aussteigt, wann man die Handbremse anzieht, um den perfekten Drift hinzulegen, wann man den richtigen Satz sagt, um die Angebetete zu überzeugen. Und filmisch geht es ums Einrasten der Bilder ins rhythmisch­e Gerüst, um die makellose Abstimmung von Tonspur und Montage, um Flow, Drive und Beat. Sogar Schießerei­en haben hier ein Metrum.

Diesem Regie-Perfektion­ismus haftet auch etwas Neurotisch­es an – und es zählt zu den größten Stärken des Films, dass er diesen Umstand reflektier­t. Baby ist abhängig von seinen Songs. Laufen sie nach Plan, ist sein Leben ein Wunschkonz­ert und der Alltag eine wundersame Choreograf­ie. Aber wenn sie hängen, hängt er ebenfalls. Nur weil ein Lied zu früh gestartet wurde, besteht er auf dem Neustart eines Banküberfa­lls. Später kommt ihm sein Player abhanden. Er klaut einen Fluchtwage­n – und sucht trotz Zeitdruck panisch nach einer passenden Radiostati­on. Ursprung dieser Zwänge ist ein Kindheitst­rauma: Baby verlor seine Eltern bei einem Autounfall und hat seither unaufhörli­ch Tinnitus im Ohr.

Titelsong von Simon & Garfunkel

Die Dauerbesch­allung schützt ihn doppelt: Sie übertüncht den teuflische­n Ton und hält eine feindliche Umwelt auf Abstand. Denn obwohl sich Baby, der selten spricht und sein Milchgesic­ht hinter einer Sonnenbril­le versteckt, nichts anmerken lässt, hat er Angst. Und nur die Musik gibt ihm das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben.

In seiner Freizeit bastelt er aus heimlichen Aufnahmen schrullige Hip-Hop-Tracks und sammelt sie auf Kassetten. Auch das erinnert an den Regisseur: Wright ist ein postmodern­er Collagekün­stler mit Faible für nerdige Anspielung­en und altmodisch­e Kinofreude­n – wie Quentin Tarantino, nur mit mehr Humor und weniger Gewalt. Und „Baby Driver“bietet nicht nur ein Jukebox-Musical – eher: iPod-Shuffle-Musical – mit einem eklektisch­en Soundtrack, von Barry White über Run the Jewels bis zu Simon & Garfunkel (von denen der schwungvol­le Titelsong stammt). Er versteht sich auch als poppiger Remix diverser Auto- und Amourfou-Filme; etwa Walter Hills „Driver“und David Lynchs „Wild at Heart“. Und weil dieser Remix – mit Verlaub – ordentlich fetzt, verzeiht man ihm seine Schwächen (den Teenagerfa­ntasiechar­akter und die dürftige Figurenzei­chnung) nur zu gern. Und tanzt mit großer Lust nach seiner Pfeife: Eins, zwei, drei, vier – Stöpsel rein und ab dafür!

 ?? [ Sony] ?? Just beim letzten Job lernt er die große Liebe kennen: Ansel Engort als Baby, Lily James als strahlende Kellnerin Debora.
[ Sony] Just beim letzten Job lernt er die große Liebe kennen: Ansel Engort als Baby, Lily James als strahlende Kellnerin Debora.

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