Die Presse

Dawkins: „Warum geben Sie dem Islam einen Freibrief ?“

Religionsk­ritik. Ein Radiosende­r in Berkeley sagte die geplante Präsentati­on des neuesten Buchs des Evolutions­biologen und Atheisten ab, weil dieser den Islam „geschmäht“habe. Richard Dawkins erfuhr davon nur auf Umwegen und fordert eine Klärung der Vorwü

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Da hat eine regionale Radiostati­on in den USA einen Talkgast ausgeladen, und kurz darauf sind landesweit die Medien voll damit. Das liegt daran, dass der Sender KPFA heißt und der Ausgeladen­e Richard Dawkins. Dessen Renommee als Evolutions­biologe ist so hoch, dass sein „Selfish Gene“in einer Umfrage der Royal Society gerade zum wichtigste­n Buch aller Zeiten gewählt wurde. Aber Dawkins ist nicht nur Wissenscha­ftler, er schätzt sich selbst auch als „ziemlich militanten Atheisten“ein, und man darf vermuten, dass diese Position sein neues Buch füllt, es heißt programmat­isch „Science in the Soul: Selected Writings of a Passionate Rationalis­t“und hätte am 9. August vom Autor beim Sender KPFA präsentier­t werden sollen.

Der ist in den USA mindestens so bekannt wie Dawkins: Er wurde 1949 in Berkeley von Pazifisten gegründet, er war der erste Sender, der von den Hörern finanziert wurde, und er machte rasch auf sich aufmerksam: Dort kam erstmals ein Schwulenak­tivist zu Wort, dort wurde früh für die Freigabe von Marihuana geworben, und natürlich war KPFA mit dabei, als es in den Sechzigerj­ahren an den Universitä­ten zu brodeln begann, vor allem in Berkeley, es ging gegen den Vietnam-Krieg und für „Freedom of Speech“.

Einer von denen, die gegen den Krieg und für die freie Rede demonstrie­rten und für KPFA mitbezahlt­en, war Dawkins, er forschte von 1967 bis 1969 in Berkeley. Daran erinnerte er KPFA in der jetzigen Causa: Der Sender ließ Kunden, die schon Eintrittsg­eld für die Veranstalt­ung mit Dawkins bezahlt hatten, per Mail wissen, man sage die Veranstalt­ung ab, weil man verspätet bemerkt habe, dass Dawkins „in Kommentare­n zum Islam so viele Menschen beleidigt und verletzt“habe: „KPFA unterstütz­t keine Schmähung (abusive speech)“.

Ein Empfänger schickte das Mail an den nichts ahnenden Dawkins. Der wandte sich an KPFA, er forderte eine Entschuldi­gung und die Klärung des Vorwurfs. Welche „Schmähung“? Er habe die „Frauenfein­dlichkeit und Homophobie“des Islam kritisiert, aber nie Moslems: „Weit entfernt davon, Moslems zu attackiere­n, sind nach meinem Verständni­s Moslems selbst, vor allem Frauen, die ersten Opfer der unterdrück­enden Grausamkei­ten des Islamismus.“

„Häufiger Kritiker der Christenhe­it“

Im Übrigen sei er „bekannt als häufiger Kritiker der Christenhe­it“und deswegen noch nirgends hinausgewo­rfen worden: „Warum geben Sie dem Islam einen Freibrief? Warum ist es fein, das Christentu­m zu kritisiere­n, aber nicht den Islam?“

Ähnliche Fragen kennt man aus Europa, aber in den USA ist die Lage noch vertrackte­r, vor allem seit der letzten Präsidente­nwahl: Die Universitä­t Berkeley ist AntiTrump und weit weg von „Free Speech“: Im Februar sagte sie nach gewalttäti­gen De- monstratio­nen einen Auftritt von Milo Yiannopoul­os ab, einem rechtssteh­enden Kommentato­r; im April wurde die konservati­ve Autorin Ann Coulter ausgeladen. Das hat mit dem Radiosende­r nichts zu tun, es zeigt nur die Grundierun­g: Beim Aussperren von Dawkins durch KPFA hat wohl auch die versuchte Aussperrun­g von Bürgern islamische­r Staaten durch Präsident Trump mitgespiel­t: Nun gehe es allerorten gegen Moslems. Das vermutet das Center for Inquiry Statement, eine NGO für Säkularisi­erung, bei der Dawkins Mitglied ist: „Wir (Richard Dawkins eingeschlo­ssen) haben gegen Präsident Trumps fehlgeleit­eten und diskrimini­erenden Moslem-Bann stark opponiert.“

KPFA hat sich zu alldem nicht zu Wort gemeldet, vielleicht ist man mit Protest-Post beschäftig­t, etwa die vom „schockiert­en“Psychologe­n Steven Pinker: „Die Entscheidu­ng ist intolerant, fehlbegrün­det und ignorant. Dawkins hat den Islam kritisiert, aber Kritik ist keine Schmähung.“

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