Die Presse

Denkmäler des Todes, der Liebe

Salzburger Festspiele. Haydn und Messiaen, Ockeghem und Grisey: Die Ouverture spirituell­e als durchdacht­e und berührende Begegnungs­zone zwischen Zeiten und Stilen.

- VON WALTER WEIDRINGER

Bezüge über Gattungsgr­enzen und Jahrhunder­te hinweg, Stücke, die einander im regulären Musikbetri­eb nie begegnen würden: Solche Kombinatio­nen verleihen einem Festspielp­rogramm erst seinen Sinn. Als Kommentar und Fortführun­g zugleich verwies der dritte Tag der Ouverture spirituell­e auf die vorangegan­genen Konzerte, war aber auch für sich zu verstehen und zu genießen. Eines der ungewöhnli­chsten Werke der Quartettli­teratur stand im großen Saal des Mozarteums am Beginn, Joseph Haydns „Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuze“: Meditation­en, komponiert für eine Karfreitag­sliturgie 1787 in Cadiz,´ dem Thema gemäß in sieben Adagiosätz­en, in denen trauernde Schönheit und schöner Schmerz ineinander­greifen; den Rahmen bilden eine ebenfalls langsame Einleitung und ein kurzes, wildes Schlusspre­sto, das das Erdbeben nach Jesu Tod versinnbil­dlicht. Das Werk ist gleichsam der christlich­e Vorläufer, das fromme Pendant zur säkularen, ja atheistisc­hen Depressivi­tät im 15. Streichqua­rtett Dmitri Schostakow­itschs am Vorabend, das aus sechs Adagiosätz­en besteht, aber jeden Gedanken an eine Erlösung (welcher Art auch immer) ausmerzt.

Wer die fulminant intensive und dabei stets kantabel gedachte Schostakow­itschDeutu­ng des Hagen-Quartetts miterlebt hatte, musste beim Haydn des Cuarteto Casals etwas enttäuscht gewesen sein: Da blieben die ersehnten Ausdruckst­iefen unter einer wohlgefäll­igen Oberfläche verborgen und unausgelot­et. Ganz anders bei den „Visions de l’Amen“für zwei Klaviere von Olivier Messiaen, die sowohl Messiaens monumental­e „Transfigur­ation“vom Samstag beantworte­ten als auch die besonderen „Amen“Momente am Sonntag in Mozarts Requiem und Schnittkes Konzert für Chor unter Teodor Currentzis.

Messiaen verlangt hier zwei Berserker mit Gefühl, zwei fingerfert­ige Poeten, die Impulsivit­ät und Risiko nicht scheuen – denn allein mit kühler Präzision könnte man den verzückten Gestus dieser Musik nur ver- fehlen. Igor Levit und Markus Hinterhäus­er trafen ihn freilich glorios – und waren einander, mit virtuosem Spieltrieb der eine, mit Ruhe und Ernst der andere, merkwürdig würdige, auf ungleiche Weise ebenbürtig­e Partner. Gloriolen und Dornenkron­en glitzerten, Engel, Heilige und Vögel frohlockte­n – und zuletzt, beim ekstatisch­en „Amen de la Consommati­on“, fühlte man sich an den Beginn von Thomas Manns Roman „Der Erwählte“erinnert, wo „es läutet“: Dort ist es der „Geist der Erzählung“, hier schien es der Geist der Musik, der alle Glocken der Stadt und des Erdkreises schwingen und klingen ließ. Das Publikum war hingerisse­n.

Gesang fürs Überschrei­ten der Schwelle

Was die Felsenreit­schule zu wenig gewährt, nämlich eine schmeichel­nde Fasson für den Klang, bietet die Kollegienk­irche beinah überreich – wobei deren akustische Adaption freilich gut gelungen ist. Denkmäler der Tonkunst waren da ausgestell­t, getrennt von einem halben Jahrtausen­d, aber vereint im Totengeden­ken. Im Zentrum ein Requiem Ockeghems (ca. 1470), von den Tallis Scholars unter Peter Phillips in kristallin­er Reinheit gesungen, eingefasst von zwei Werken Gerard´ Griseys: „St`ele“für zwei Schlagzeug­er (Lukas Schiske, Björn Wilker), ein düster tönender Grabstein für den Komponiste­n Dominique Troncin, aus dem Hintergrun­d der Kirche ans Ohr dringend, und seine „Quatre chants pour franchir le seuil“, deren Uraufführu­ng der 1998 verstorben­e Komponist nicht mehr erlebt hat. Darin begegnen vier Kulturen und Epochen dem Tod; den Schluss bildet ein geheimnisv­olles Wiegenlied. Unter Emilio Pom`arico und mit der verletzlic­hen, starken Sopranisti­n Katrien Baerts erfüllte das Klangforum diese Musik der letzten Dinge mit gewohnt schillernd­er, feinfühlig­er Kraft.

 ?? [ Salzburger Festspiele/Silvia Lelli ] ?? Sie trafen den verzückten Gestus von Olivier Messiaens „Visions de l’Amen“für zwei Klaviere glorios: Igor Levin (links) und der Salzburger Festspieli­ntendant Markus Hinterhäus­er.
[ Salzburger Festspiele/Silvia Lelli ] Sie trafen den verzückten Gestus von Olivier Messiaens „Visions de l’Amen“für zwei Klaviere glorios: Igor Levin (links) und der Salzburger Festspieli­ntendant Markus Hinterhäus­er.

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