Denkmäler des Todes, der Liebe
Salzburger Festspiele. Haydn und Messiaen, Ockeghem und Grisey: Die Ouverture spirituelle als durchdachte und berührende Begegnungszone zwischen Zeiten und Stilen.
Bezüge über Gattungsgrenzen und Jahrhunderte hinweg, Stücke, die einander im regulären Musikbetrieb nie begegnen würden: Solche Kombinationen verleihen einem Festspielprogramm erst seinen Sinn. Als Kommentar und Fortführung zugleich verwies der dritte Tag der Ouverture spirituelle auf die vorangegangenen Konzerte, war aber auch für sich zu verstehen und zu genießen. Eines der ungewöhnlichsten Werke der Quartettliteratur stand im großen Saal des Mozarteums am Beginn, Joseph Haydns „Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuze“: Meditationen, komponiert für eine Karfreitagsliturgie 1787 in Cadiz,´ dem Thema gemäß in sieben Adagiosätzen, in denen trauernde Schönheit und schöner Schmerz ineinandergreifen; den Rahmen bilden eine ebenfalls langsame Einleitung und ein kurzes, wildes Schlusspresto, das das Erdbeben nach Jesu Tod versinnbildlicht. Das Werk ist gleichsam der christliche Vorläufer, das fromme Pendant zur säkularen, ja atheistischen Depressivität im 15. Streichquartett Dmitri Schostakowitschs am Vorabend, das aus sechs Adagiosätzen besteht, aber jeden Gedanken an eine Erlösung (welcher Art auch immer) ausmerzt.
Wer die fulminant intensive und dabei stets kantabel gedachte SchostakowitschDeutung des Hagen-Quartetts miterlebt hatte, musste beim Haydn des Cuarteto Casals etwas enttäuscht gewesen sein: Da blieben die ersehnten Ausdruckstiefen unter einer wohlgefälligen Oberfläche verborgen und unausgelotet. Ganz anders bei den „Visions de l’Amen“für zwei Klaviere von Olivier Messiaen, die sowohl Messiaens monumentale „Transfiguration“vom Samstag beantworteten als auch die besonderen „Amen“Momente am Sonntag in Mozarts Requiem und Schnittkes Konzert für Chor unter Teodor Currentzis.
Messiaen verlangt hier zwei Berserker mit Gefühl, zwei fingerfertige Poeten, die Impulsivität und Risiko nicht scheuen – denn allein mit kühler Präzision könnte man den verzückten Gestus dieser Musik nur ver- fehlen. Igor Levit und Markus Hinterhäuser trafen ihn freilich glorios – und waren einander, mit virtuosem Spieltrieb der eine, mit Ruhe und Ernst der andere, merkwürdig würdige, auf ungleiche Weise ebenbürtige Partner. Gloriolen und Dornenkronen glitzerten, Engel, Heilige und Vögel frohlockten – und zuletzt, beim ekstatischen „Amen de la Consommation“, fühlte man sich an den Beginn von Thomas Manns Roman „Der Erwählte“erinnert, wo „es läutet“: Dort ist es der „Geist der Erzählung“, hier schien es der Geist der Musik, der alle Glocken der Stadt und des Erdkreises schwingen und klingen ließ. Das Publikum war hingerissen.
Gesang fürs Überschreiten der Schwelle
Was die Felsenreitschule zu wenig gewährt, nämlich eine schmeichelnde Fasson für den Klang, bietet die Kollegienkirche beinah überreich – wobei deren akustische Adaption freilich gut gelungen ist. Denkmäler der Tonkunst waren da ausgestellt, getrennt von einem halben Jahrtausend, aber vereint im Totengedenken. Im Zentrum ein Requiem Ockeghems (ca. 1470), von den Tallis Scholars unter Peter Phillips in kristalliner Reinheit gesungen, eingefasst von zwei Werken Gerard´ Griseys: „St`ele“für zwei Schlagzeuger (Lukas Schiske, Björn Wilker), ein düster tönender Grabstein für den Komponisten Dominique Troncin, aus dem Hintergrund der Kirche ans Ohr dringend, und seine „Quatre chants pour franchir le seuil“, deren Uraufführung der 1998 verstorbene Komponist nicht mehr erlebt hat. Darin begegnen vier Kulturen und Epochen dem Tod; den Schluss bildet ein geheimnisvolles Wiegenlied. Unter Emilio Pom`arico und mit der verletzlichen, starken Sopranistin Katrien Baerts erfüllte das Klangforum diese Musik der letzten Dinge mit gewohnt schillernder, feinfühliger Kraft.