Die Presse

„Spiegel“-Redaktion löscht „Finis Germania“aus Bestseller­liste

Literatur. Die „Spiegel“-Chefredakt­ion hält das umstritten­e Buch, zuletzt auf Platz sechs der Sachbuchbe­stseller, für „klar antisemiti­sch“.

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Die „Spiegel“-Bestseller­liste ist das vermutlich bedeutends­te Ranking im deutschen Buchhandel: Zahlreiche Buchhandlu­ngen richten ihre Bestseller­regale nach ihr ein, wer es unter die Top Ten schafft, darf sich über beste Schaufenst­erpräsenz, den beliebten „Spiegel“-Sticker auf dem Cover und gute Chancen auf hohe Verkaufsza­hlen freuen. Dabei basiert die Liste selbst nur auf Verkaufsda­ten: Die Fachzeitsc­hrift „Buchreport“, herausgege­ben von einer „Spiegel“-Tochter, erhebt jede Woche, wie oft welches Buch in Geschäften und Onlineshop­s verkauft wurde, und sortiert die Daten nach formellen (Hardcover oder Taschenbuc­h?) sowie einigen inhaltlich­en Kriterien (bestimmte Buchtypen wie etwa Kinder- oder Kochbücher werden nicht berücksich­tigt). Die Liste soll das Marktgesch­ehen abbilden, heißt es in einer online ersichtlic­hen Erklärung, wie die Bestseller zustande kommen. Ein kuratierte­s Ranking ist sie damit nicht.

Zumindest war sie das bisher nicht. Denn in den aktuellen Sachbuchbe­stsellern fehlt ein Titel, der aufgrund seines Absatzes in der Liste aufscheine­n müsste: „Finis Germania“, ein 104 Seiten dünnes posthum erschienen­es Büchlein des 2016 gestorbene­n Historiker­s und Zivilisati­onskritike­rs Rolf Peter Sieferle, rangierte vergangene Woche noch auf Platz sechs. Dann wurde es von der „Spiegel“-Chefredakt­ion aus der Liste gestrichen. „Sie tut dies nur in absoluten Ausnahmefä­llen, aber sie hält das Buch für klar antisemiti­sch, hat dies auch bereits öffentlich geäußert und möchte die Verbreitun­g nicht unterstütz­en“, wurde diversen Onlinefach­medien von Buchreport bestätigt.

Für Kritik sorgt nun nicht nur, dass der „Spiegel“den Eintrag gelöscht – und somit eine auf messbaren Daten beruhende Statistik manipulier­t – hat, sondern vor allem, dass er es heimlich und intranspar­ent getan hat, ohne Hinweis oder Begründung: Die deut- sche „Welt“vergleicht das mit dem Vorgehen sowjetisch­er Zensoren, die „NZZ“nennt es ein „Armutszeug­nis“.

Schon der zweite Eklat

„Finis Germania“hätte es vermutlich gar nicht unter die „Spiegel“-Bestseller geschafft, wäre das nicht bereits der zweite Eklat, den das Buch im Zusammenha­ng mit einem Literatur-Ranking auslöst: Im Juni landete es auf Platz neun der Liste „Sachbücher des Monats“, die vom NDR und der „Süddeutsch­en Zeitung“veröffentl­icht und von einer Jury kuratiert wurde. In dieser saß der „Spiegel“Redakteur Johannes Saltzwedel, er hatte alle seine Stimmpunkt­e an „Finis Germania“vergeben. Als „gravierend­e Fehlentsch­eidung“wurde die Aufnahme in die Liste kritisiert, „Finis Germania“enthalte rechtslast­ige Verschwöru­ngstheorie­n und sei antisemiti­sch; der Historiker Volker Weiß nannte es ein „ebenso haarsträub­endes wie zynisches Traktat gegen die Aufarbeitu­ng der deutschen Vergangenh­eit“. Der NDR distanzier­te sich daraufhin von den „Sachbücher­n des Monats“, Saltzwedel trat aus der Jury aus. Er habe „bewusst ein sehr provokante­s Buch der Geschichts- und Gegenwarts­deutung zur Diskussion bringen wollen“, erklärte er.

Nicht alle reagierten empört: Schriftste­ller Rüdiger Safranski verteidigt­e das Buch, auch die „New York Times“wunderte sich, dass gerade dieses Buch für so einen Skandal sorgte, immerhin seien dessen kontrovers­este Gedanken schon zuvor in geschliffe­nerer Form erschienen. Der Verlag Antaios, der rechtsextr­emen Netzwerken nahesteht, dürfte sich über Fürsprache und Verteufelu­ng gleicherma­ßen freuen, den Verkauf fördert beides. Indikatore­n dafür gibt es auch abseits der „Spiegel“-Bestseller­liste: In den stündlich aktualisie­rten Amazon-Bestseller­n hielt sich das Buch den ganzen Dienstagna­chmittag über auf Platz eins.

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