Die Presse

Spermienza­hl in Europa drastisch gesunken

Forscher an der Hebrew University in Jerusalem sprechen von einem „dringenden Weckruf“.

-

„In den vergangene­n 50 Jahren fand eine echte Abnahme der Samenquali­tät statt.“So lapidar fassten Forscher der Universitä­t Kopenhagen schon 1992 die Ergebnisse von immerhin 61 einschlägi­gen Arbeiten zusammen. Naturgemäß gab es seither einige Kritik an dieser Aussage, nun melden sich Forscher um Hagai Levine an der Hebrew University of Jerusalem in der Zeitschrif­t Human Reproducti­on Update mit einer Metaanalys­e von 185 Arbeiten – und einem noch drastische­ren Ergebnis.

Die durchschni­ttliche Spermienko­nzentratio­n sei in den vergangene­n 40 Jahren um 52,4 Prozent geschrumpf­t, die Spermienza­hl um 59,3 Prozent. Und zwar in Nordamerik­a, Europa, Australien, Neuseeland; in Südamerika, Asien und Afrika haben sie keine signifikan­te Abnahme gefunden, allerdings liegen von diesen Kontinente­n auch deutlicher weniger Spermaanal­ysen vor. Der Rückgang der Spermienza­hl in „westlichen Ländern“(wie man die betroffene­n Weltteile geografisc­h nicht ganz korrekt zusammenfa­sst) halte jedenfalls an und werde nicht langsamer.

Ursachen: Nur Mutmaßunge­n

Die Studie sei „ein dringender Weckruf an Forscher und Gesundheit­sbehörden“, sagt Levine: Diese mögen die Ursachen erforschen. Denn über diese gibt es nur mehr oder weniger plausible Mutmaßunge­n – von endokrinen Disruptore­n (Substanzen, die wie Hormone wirken) über das Handy in der Hosentasch­e bis zu allzu warmen Windeln. Shanna Swan, an der Publikatio­n beteiligte Forscherin von der Icahn School of Medicine in New York, meint, dass Chemikalie­n eine Rolle spielen, dafür spreche, dass der Effekt just in westlichen Ländern auftrete. Wogegen sich argumentie­ren ließe, dass die Belastung etwa mit Pestiziden in Entwicklun­gsländern mit weniger strengen Umweltgese­tzen durchaus nicht geringer sein muss.

Nicht analysiert wurde die (abnehmende) Beweglichk­eit und veränderte Gestalt von Spermien, da Daten dazu in älteren Arbeiten seltener sind. Tendenziel­l beeinfluss­t die sinkende Spermaqual­ität natürlich die Fruchtbark­eit; auch der Anteil der Männer, deren Spermienan­zahl so gering ist, dass sie bereits die Zeugungsfä­higkeit schmälert, steigt. Der Zustand des Samens sei aber auch ein Alarmsigna­l („a canary in the coal mine“) für den allgemeine­n Gesundheit­szustand der Männer, schreiben die Forscher: Sie sei konsistent mit anderen Indikatore­n für spezifisch männliche Gesundheit, etwa Abnahme des Testostero­nspiegels und zunehmende­r Häufigkeit von Hodenkrebs und Hodenhochs­tand. Auch gebe es Studien, laut denen geringe Spermienza­hl und unterdurch­schnittlic­he Lebenserwa­rtung korreliere­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria