Die Presse

Mehr Polizei = mehr Sicherheit? Irrtum!

Gastkommen­tar. Es ist trügerisch, sich mehr Polizei für ein besseres Sicherheit­sgefühl zu wünschen. Denn je mehr Polizei auf den Straßen, je mehr Tatütata – desto ängstliche­r werden wir und desto aufgewühlt­er wirkt die Stadt.

- VON HANS BACHMANN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Headlines sagen es uns derzeit wieder überdeutli­ch: Wir haben zu wenig Polizei! Es ist ziemlich in und immer eine fette Schlagzeil­e wert, nach mehr Polizei zu schreien. Und es ist sicher sehr unpopulär, diesen Chor mit einer Gegenstimm­e zu stören. Ich sage: Mehr Polizei produziert weder faktisch noch emotional mehr Sicherheit! Der Innenminis­ter nutzt die Gunst der Stunde, denn die Bevölkerun­g ist angesichts der Schlagzeil­en und der Flüchtling­e höchst besorgt um die allgemeine Sicherheit. Daher ist Aufstocken angesagt.

2000 Polizisten mehr seit 2009. Die rationale Frage wird ausgeblend­et: Bringen fünf Prozent mehr Polizisten – und Polizistin­nen wirklich 100 Prozent mehr Sicherheit. Und wenn nicht 100 Prozent – wie viel dann? Zehn Prozent, 20 Prozent? Und würde es dies objektiv gesehen – also rational und rein auf Fakten begründet – wirklich brauchen? Steigt die Zahl der Delikte? Bleibt sie gleich? Wer versorgt uns mit tauglichen Statistike­n und korrekten Interpreta­tionen?

Verschwieg­ene Fakten

Auch das Kuratorium für Verkehrssi­cherheit hat jahrelang nach mehr Kontrolle, mehr Vorschrift­en, mehr Rückbau, mehr Ausbau und mehr Investitio­nen gerufen – und dabei immer die Fakten verschwieg­en, dass trotz des kontinuier­lich massiv steigenden Verkehrsau­fkommens die Unfälle und Todesfälle absolut und nicht nur relativ gesunken sind. Zwischen Fact News und Fake News liegt oft nur das Verschweig­en.

Brauchen wir also wirklich noch mehr Polizei? Wenn ja, wofür? Das Deliktaufk­ommen sinkt – und dies nicht nur wegen der Polizei, sondern wegen privater und öffentlich­er elektronis­cher Überwachun­g, die im öffentlich­en Raum wie eine Section Control wirkt. Die Delikte verschiebe­n sich zu kleinen Einbrüchen und Diebstähle­n, zu häuslichen Gewaltorgi­en, zu elektronis­ch überwachba­ren Verbrechen, aber nicht zu öffentlich­em Aufruhr (wiewohl dieser manchmal gerechtfer­tigt wäre) und der Gefährdung der öffentlich­en Sicherheit.

Die Erhöhung der Polizeiprä­senz führt zuallerers­t einmal zur Erhöhung der „Produktion“von Symbolen: mehr Polizei auf den Straßen (die ohnehin videoüberw­acht sind), lautere und mehr Einsätze, damit die Bevölkerun­g sieht: „Hallo, wir sind da!“Das führt zu mehr energische­n Einschreit­ungen bei bloß kleineren verhaltens­auffällige­n Situatione­n.

Die kleinen Abweichung­en brauchen keine derart brachiale Inszenieru­ng. Die Polizei ist nicht mehr als Freund und Helfer beschäftig­t. Sie hat nicht die Sicherheit der Bevölkerun­g als oberstes Handlungsz­iel, sondern die Kontrolle derselben. Diese Kontrollau­fgabe bringt im öffentlich­en Raum signifikan­t mehr Blaulicht, mehr Tatütata, mehr Amtshandlu­ngen. Führt diese Entwicklun­g aber zur Beruhigung der Gesellscha­ft und zu einem erhöhten Sicherheit­sgefühl?

Inspektor gibt’s keinen mehr

Die Kommunikat­ion der allgegenwä­rtigen Gefahr ist lautstark. Sie macht unruhig und ängstlich, statt zu beruhigen und die Angst zu nehmen. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.

Früher gab es den Inspektor mit beschwicht­igenden Worten, den Freund und Helfer. Dieser ist verschwund­en. Viele kennen das Gefühl, wenn Polizei aktiv und aufgeregt wird. Da ist etwas im Gange, hier lauert Gefahr, hier geht’s um Gewalt. Das wirkt beunruhige­nd. Nicht zuletzt deshalb, weil dieses Unbehagen nicht nur von den „Tätern“ausgeht. Film- und Realszenen aus den USA zeigen uns deutlich, wie Polizeigew­alt aussieht und wie sie verstörend auch auf uns Normalster­bliche wirkt.

Polizeihan­dlungen wirken bedrohlich – besonders dort, wo relativ harmlose Menschen und Vorfälle in einer brachialen „Unterwerfu­ngsorgie“beamtshand­elt werden. Beispiele gefällig? Die Frau, die leicht angesäusel­t – vielleicht unhöflich –, aber keineswegs gefährlich von sechs Polizisten am Silvestera­bend am Franz Josefskai zu Boden geworfen und fixiert wurde. Sechs Polizisten?

Dürfte ein Einsatzzug sein, denn vor Kurzem in der U-BahnStatio­n Schwedenpl­atz das ähnliche Bild. Ein – möglicherw­eise drogenbeei­nträchtigt­er junger Mann wird laut. Laut darf man nicht sein, das darf nur das Folgetonho­rn. Der junge Mann krakeelt herum, tut aber niemandem etwas. Die Polizei schreitet, nein stürmt im Sechserpac­k ein und fixiert ihn. Er wird gegen die Wand gedrückt und in klassische­r Polizeiman­ier perlustrie­rt (seltsames Wort!).

Unverhältn­ismäßige Gewalt

Dabei passieren zwei Dinge: Manche Passanten spüren, dass diese Gewaltanwe­ndung unverhältn­ismäßig ist, und bleiben stehen. Sie werden von den Polizisten weggescheu­cht. Bis auf eine Frau, die die Szene beobachtet und fotografie­rt. Sie weist die Polizisten zurecht, dass sie wenigstens dem jungen Mann nicht vorsätzlic­h boshaft auf die Füße steigen sollen. „Das sicherste Mittel, einen Reflex der Polizei zu provoziere­n, besteht darin, den Anspruch der Polizei anzuzweife­ln, eine Situation zu definieren“(D. Graeber: „Bürokratie“, Klett-Cotta, 2016). Zu Deutsch: sich einzumisch­en oder blöd zu fragen – oder ein anderes „Deutungssc­hema“zu einem Vorfall zu haben ist extrem gefährlich. Das geht nur, wenn man eine pädagogisc­h geschulte Frau um die 50 ist, die die Mutter der meist jungen Polizistin­nen und Polizisten sein könnte.

Ein Radfahrer fährt ein kleines Stück gegen die Einbahn – Postgasse Wien, erster Bezirk. Er hat es eilig, aber blöderweis­e stehen zwei Polizisten und eine Polizistin unbeschäft­igt in einer Einfahrt. Sie rufen: „Das geht nicht, hallo, bleiben Sie stehen!“Der knapp 70-jährige (!) Mann ruft zurück: „Hab keine Zeit, hab’s eilig!“und radelt gemütlich davon. Aber die Polizisten sprinten dem ahnungslos­en alten Mann nach – holen ihn ein und zwingen ihn, vom Rad zu steigen. Anzeige statt Strafmanda­t.

Bürokratis­che Macht

Gerade, dass es nicht um Widerstand gegen die Staatsgewa­lt geht. Das „Kanonen auf Spatzensch­ema“wird noch so weit führen, dass wie in den USA die Prämisse gilt: „Zuerst schießen, dann fragen.“

„Der Einsatz des Polizeiknü­ppels ist jener Augenblick, in dem die bürokratis­che Gewalt angezweife­lt wird. Entwickelt­e Intelligen­z stellt die Fähigkeit dar, verschiede­ne Sichtweise­n (oder auch Wahrnehmun­gen) miteinande­r zu koordinier­en und sachlich einzuordne­n. Bürokratis­che Macht wird in dem Augenblick, in dem sie in Gewalt umschlägt, zu einer Form infantiler Dummheit“(Graeber).

Es ist trügerisch, sich mehr Polizei für ein besseres Sicherheit­sgefühl zu wünschen. Dieser Wunsch geht nach hinten los. Je mehr Polizei auf den Straßen, je mehr Tatütata, desto unsicherer und aufgewühlt­er wirkt die Stadt, desto gefährlich­er scheint das Leben, desto ängstliche­r werden wir. Das führt dann genau in die falsche Richtung: zu noch mehr Polizei. Und diese muss natürlich noch mehr tun und verfolgt dann selbst die kleinste Flatulenz, die einem Menschen unbedacht entweicht.

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 ?? [ Privat ] ?? Dr. Hans Bachmann (* 1948, Spittal/Drau) studierte Volkswirts­chaft und Politikwis­senschaft an der Universitä­t Wien und in Sydney. Er arbeitete als Werbetexte­r, Coach, Berater und Lehrer. Unterricht­stätigkeit als Dozent an den Fachhochsc­hulen Joanneum...
[ Privat ] Dr. Hans Bachmann (* 1948, Spittal/Drau) studierte Volkswirts­chaft und Politikwis­senschaft an der Universitä­t Wien und in Sydney. Er arbeitete als Werbetexte­r, Coach, Berater und Lehrer. Unterricht­stätigkeit als Dozent an den Fachhochsc­hulen Joanneum...

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