Wäre ich Kindergartenpädagogin, packte mich jetzt bald der Zorn
Ja, Kindergärten sind extrem wichtig. Warum bekommen sie dann nicht endlich, was ihnen zusteht: Ressourcen, Wertschätzung und wissenschaftliche Begleitung?
Normalerweise plädiere ich in den meisten Lebenslagen für Gelassenheit. Aber wenn ich mir kurz vorzustellen versuche, ich arbeitete seit Jahrzehnten in einem Kindergarten und verfolgte die permanente öffentliche Debatte über meine Arbeit – dann wäre Gelassenheit zu viel verlangt. Ich würde in diesem heißen Sommer vor Zorn an die Decke gehen.
Wäre ich Kindergartenpädagogin, ich wäre seit frühmorgens auf den Beinen. Kurz vor sieben die ersten gestressten Eltern: In 15 Minuten ist ihr Dienstbeginn, aber das Kind trödelt noch auf dem Laufrad; wenn es ganz blöd kommt, macht es der Mama noch einen Fleck aufs Gewand.
Die Langschläfereltern kommen erst zwei Stunden später – wenn eigentlich schon längst der Morgenkreis beginnt. Dafür wollen diese dann umso länger reden. Ein detaillierter Bericht über die kognitiven Fortschritte ihres Kindes muss neben der Gummistiefelablage Platz haben, dazu noch Anregungen für ein besseres Mittagsmenü – all das steht ihnen zu. Sie sind schließlich zahlende Kunden, und es ist ihr ganz besonderes Kind.
Wäre ich Kindergartenpädagogin, auch die Politik hätte tagtäglich gute Ratschläge für mich parat, vorgetragen in vorwurfsvollem Tonfall. Es gibt nämlich jede Menge Bereiche, in denen ich nicht gut genug bin, noch mehr leisten könnte oder gar schon gescheitert bin.
Immer noch habe ich die entscheidende Rolle nicht kapiert, die mir für die Entwicklung des einzelnen Kindes zukommt, ebenso wie für die gesamtgesellschaftliche Integration. Was bei den Dreijährigen versäumt wird, kann man nie wieder aufholen! Und eine Parallelgesellschaft, die sich schon im Kindergarten entwickelt, wird später nie wieder heil!
Individuelle Förderung wird erwartet. Ich soll alle Talente sämtlicher Kinder entdecken, gleichzeitig wachsam sein, was einen möglichen logopädischen oder motorischen Förderbedarf betrifft. Ich soll den Kindern Manieren beibringen, ihnen jene kulturellen Normen ver- mitteln, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, dabei jedoch sensibel für kulturelle Vielfalt sein. Ich bin dafür verantwortlich, dass sie genug Deutsch für die Schule lernen und gleichzeitig ihre Muttersprache kultivieren. Ich soll den Kindern Freiräume und Entschleunigung schenken und sie gleichzeitig fit machen, damit sie im harten kapitalistischen Wettbewerb bestehen.
Kurzum: Ich soll alles hinkriegen, was Eltern, Politik, Unternehmen und Bildungssystem nicht zustande bringen.
Dabei komme ich, wie es eine Kollegin in einer Studie der Arbeiterkammer ausdrückt, „an manchen Tagen nur dazu, einem Kind ,Hallo‘ und ,Pfiati‘ zu sagen“. Weil ich nämlich, viele Stunden am Stück, allein für 15 bis 25 Kinder verantwortlich bin. Weil ich in Räumen arbeite, in denen jedem Kind weniger als vier Quadratmeter zur Verfügung stehen. Weil mir keine Vorbereitungszeit für meine Arbeit bezahlt wird, weil ich zwischendurch auch noch putzen oder etwas reparieren muss. Und weil ich für sehr vieles, was von mir verlangt wird, gar nicht ausgebildet bin.
Niemand hat mir, angesichts 50 Prozent anderssprachiger Kinder in Wien, jemals Expertise in „Deutsch als Zweitsprache“vermittelt. Auf die Inklusion von Kindern mit Behinderungen bin ich ebenso wenig vorbereitet wie auf den Umgang mit traumatisierten Kindern. Wenn ich keine Pädagogin, sondern bloß Kindergartenhelferin bin, bringe ich womöglich überhaupt keine Qualifikationen mit, außer meiner „natürlichen Qualifikation“als Frau.
Dennoch tragen Helferinnen im ganzen Land die Verantwortung für ganze Kindergruppen. Während die Politik es nach Jahrzehnten immer noch nicht zustande gebracht hat, sich auf eine akademische Ausbildung, verbindliche Standards und ein bundesweites Kindergartengesetz zu verständigen.
„Macht’s endlich was!“, rufen die Kindergartenpädagoginnen. Zu Recht!