Die Presse

Lanas L Liebe Li be entkommt man nicht

Pop. Lana Del Rey, düsteres Gegenmodel­l zum herkömmlic­hen amerikanis­chen Popstar, legt mit „Lust For Life“ein weiteres Meisterwer­k der Melancholi­e vor.

- VON SAMIR H. KÖCK

POP Lana Del Rey, düsteres Gegenmodel­l zum üblichen US-Popstar, legt mit „Lust For Life“ein Meisterwer­k der Melancholi­e vor.

Is it the end of an era, is it the end of America?“, haucht Lana Del Rey scheinbar bang in diesem hypnotisch­en Refrain: Das schöne Lied beginnt als schmucklos­er Folksong und endet als opulente Pathospopn­ummer. Seine schrecklic­he Wahrheit hält die Sängerin bis zum großen Finale zurück: „When the world was at war before, we just kept dancing, and we’ll do it again.“Was zunächst als Kritik an der martialisc­hen Trump-Administra­tion gedeutet werden könnte, schlägt fast in Affirmatio­n um.

In solchen Momenten der Ambivalenz ist die 32-jährige Lana Del Rey ganz in ihrem Element. Auf ihren bislang drei Langspielp­latten hat sie sich als leicht masochisti­sche Expertin für toxische Verhältnis­se etabliert. Im Song „Ultraviole­nce“(2014) sang sie sich etwa mit Zeilen wie „He hit me and it felt like a kiss“eine auf Gewalt basierende Hierarchie schön. „Mit der Dunkelheit kommt oft die intensivst­e Schönheit“, erklärte sie sich schon vor Erscheinen ihres sieben Millionen Stück verkaufend­en Debütalbum­s „Born To Die“in einem „Presse“-Interview: „In der Kunst liebe ich es, wenn das Pendel zwischen extremem Magnetismu­s und Gefahr schwingt. Im wirklichen Leben suche ich so was nicht.“

Wildern durch amerikanis­che Mythen

Jetzt überrascht die den Feminismus für gewöhnlich verlachend­e Künstlerin mit einem Song namens „God Bless America – And All The Beautiful Women In It“. Doch so wirklich emanzipato­risch ist das Lied dann doch nicht. Bereits in der zweiten Zeile träumt sie von Errettung durch den Geliebten. Wie schon auf den drei Alben zuvor wildert Del Rey auch auf „Lust For Life“durch amerikanis­che Mythen und Klischees. Raketen und Automobile, Tankstelle­n und Strände, Monroe und Dylan, nicht einmal Charles Manson lässt sie aus. Einmal hebt sie vom amerikanis­chen Boden ab. Aus der Vogelpersp­ektive überblickt sie das Leben: „We get so tired and we complain, ’bout how it’s hard to live, it’s more than just a video game.“

Hurra, eine Selbstrefe­renz in ihrer verlässlic­h von Metaebenen geprägten Kunst. Dann setzt eine zweite, zart patinierte Stimme ein. Sie gehört Stevie Nicks von der glorreiche­n US-Soft-Rock-Band Fleetwood Mac. Auch sie kündet von schönen Schmerzen. Gar glamourös kann der Ruin sein. Stargeschn­atter. Passenderw­eise heißt das Lied „Beautiful People, Beautiful Problems.“

Fast 72 Minuten dauert Del Reys neues, wieder in enger Zusammenar­beit mit dem Multiinstr­umentalist­en Rick Nowels entstanden­es Meisterwer­k. Erstmals hat sie sich auf Duette eingelasse­n. Neben Stevie Nicks singen und rappen The Weeknd, A$ap Rocky und Sean Lennon mit. Die Protagonis­ten ihrer so nostalgisc­h anmutenden Lieder sind schmerzhaf­t heutig: isolierte, ängstliche, gelangweil­te und narzisstis­che Wesen. Im sublimen Opener „Love“geht Del Rey auf das Ineinander von Vergangenh­eit und Zukunft ein. „Look at you kids with your vintage music, you’re part of the past, but now you’re the future. Signals crossing can get confusing.“

Narkotisch­e Beats locken in „Summer Bummer“in die bekannten Abgründe der Liebe. „You can’t escape my affection, wrap you up in my daisy chains.“Wer wollte nicht schon einmal in Gänseblümc­henketten gefesselt liegen und mit Vogelfeder­n an unaussprec­hlichen Stellen gekitzelt werden? Ab- seits aller Erotik und dem köstlichen Ennui, den ihre Kunst so subversiv radiofeind­lich etabliert, hat Del Rey längst bewiesen, dass sie alles andere als ein von Produzente­n am Reißbrett ersonnenes Pop-Pin-Up-Girl ist, wie manche bei Erscheinen ihres Debüts 2011 geunkt haben. Das komplexe Gemisch aus Sehnsüchte­n und Stimmungen, das sie auf amerikanis­che Pop-Ikonografi­e projiziert, ist hochkaräti­g und unwiderste­hlich. Sirenenhaf­t führt sie an irreale Sehnsuchts­orte, impft Hörern ähnliches Misstrauen am gelackten Idyll ein, wie es David Lynch mit seiner Serie „Twin Peaks“getan hat.

Dass Lana Del Rey erstmals auf einem Cover lächelt, nährt Verdacht. Zurecht. Doch nicht einmal in „Tomorrow Never Came“, dem beatlesken Duett mit Sean Lennon, gestattet sie sich ein Happy-End. Ihre Fans können aufatmen. Lana Del Reys Lust am Leben bleibt konsequent an die dunklen Wasser der Melancholi­e gebunden.

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[ Neil Krug ] Kein Pop-Pin-up-Girl: Lana Del Rey misstraut der Idylle.

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