Fake News über die wachsende Ungleichheit
Verteilung. Die Schere zwischen Arm und Reich geht seit Jahren nur noch in der medialen Berichterstattung auf. Tatsächlich nimmt die Ungleichheit in Österreich und Deutschland tendenziell ab. Wahrnehmung und Realität klaffen auseinander.
Wien. Was wäre ein Wahlkampf ohne eine Debatte über Ungerechtigkeit und Einkommensverteilung. In Österreich und Deutschland hat dieses Thema zentrale Bedeutung. „Hol dir, was dir zusteht!“, heißt es bei uns, „Zeit für Gerechtigkeit“beim deutschen Nachbarn.
Zeit, sich die Fakten anzusehen, dachten wohl die Wirtschaftsforscher des IW Köln und von EcoAustria. Sie verglichen die tatsächliche Ungleichheit mit der me- dialen Berichterstattung. Das Ergebnis ist aufschlussreich: Während die Einkommensungleichheit sowohl in Deutschland als auch in Österreich seit dem Jahr 2005 nicht mehr steigt, zuletzt sogar zurückging, stieg die Anzahl der Medienberichte über steigende Ungleichheit. „Die Berichterstattung beeinflusst die Wahrnehmung der Bevölkerung“, sagt Tobias Thomas, Direktor von EcoAustria. Da gleichzeitig die Politik auf die Stimmung im Volk reagiert, „könnten die falschen politischen Schlüsse gezogen werden“.
Als Maß für die Einkommensverteilung gilt der Gini-Koeffizient. Je näher er bei 1 ist, umso ungleicher ist eine Gesellschaft, je mehr er Richtung 0 tendiert, umso egalitärer ist sie. Österreich zählt zu den Ländern mit einem sehr niedrigen Gini-Koeffizienten, er liegt bei 0,28 (2015). Allerdings ist er auch deshalb so niedrig, weil sehr stark umverteilt wird. Ohne staatliche Eingriffe läge er bei 0,48. In Deutschland sind es 0,56 vor und 0,30 nach Transfers. In beiden Ländern ist der Gini-Koeffizient seit Jahren stabil, er tendiert sogar leicht nach unten.
Die Autoren beziehen sich allerdings nur auf die Einkommen. Zählt man Vermögenswerte dazu, liegt der Gini-Koeffizient in Österreich bei 0,7. Das Vermögen steigt bei uns, die Armut allerdings nicht.
Laut Studie häuften sich von 2001 bis 2016 Medienberichte über „Armut“. Die Autoren analysierten 644.000 Berichte in den wichtigsten deutschen TV-, Print- und Digitalmedien. Nahmen die Meldungen über die Ungleichheit von 2001 bis 2012 noch 0,45 Prozent der analysierten Berichte ein, machten sie ab 2013 im Schnitt 0,8 Prozent aus. „Insgesamt verdreifachte sich von 2001 bis 2015 der Anteil der Berichterstattung zum Thema Ungleichheit“, heißt es.
300.000 Interviews analysiert
Im Gegensatz zu Österreich können deutsche Ökonomen auf die Auswertung eines Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zurückgreifen. Regelmäßig werden 30.700 Personen befragt, die einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung darstellen. Nun analysierten die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen Berichterstattung und subjektiven Sorgen der Menschen. Die Auswertung der 644.000 Medienberichte und über 300.000 Interviews ergab, dass die Menschen signifikant negativer eingestellt sind, wenn vor dem Interview in den Medien über wachsende Ungleichheit berichtet worden war.
2013 waren 88 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht. Interessanterweise machten sich aber zur selben Zeit immer weniger Menschen um ihre eigene Zukunft Sorgen. Während 2005 noch 54 Prozent der Befragten angaben, sich große Sorgen zu machen, waren es 2015 nur noch 16 Prozent. Offenbar reagieren die Menschen auch auf positive Wirtschaftsnews wie jene von der sinkenden Arbeitslosigkeit. „Die öffentliche Debatte sollte sich stärker an den Fakten orientieren“, sagt EcoAustria-Chef Tobias Thomas. Und das, da doch im Wahlkampf die Schere zwischen Wahrheit und Dichtung besonders stark aufzugehen scheint.