Die Presse

Personenku­lt um Erdogan˘

Türkei. Die Ergebenhei­tsbekundun­gen für den Präsidente­n treiben seltsame Blüten. Unis, Straßen und Flughäfen werden nach ihm benannt. Und auch die Sakko- und Schnauzbar­tmode prägt er.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Die Erge\enheits\ekundungen gegenü\er dem türkischen Präsidente­n trei\en seltsame Blüten.

Istanbul. Wenn er spricht, läuft die Rede auf allen Fernsehkan­älen. Sein Wort sei Gesetz, sagt einer seiner engsten Mitarbeite­r. „Die Hoffnung hat einen Namen“, lautet der Titel eines Plakats, das den großen Mann und einen einfachen Bürger mit türkischer Fahne zeigt: „Recep Tayyip Erdogan“.˘ In der Türkei blüht ein Personenku­lt um den Staatspräs­identen, der weit über den Respekt für die Leistungen des Politikers Erdogan˘ und für das höchste Staatsamt hinausgeht. Besonders eifrige Anhänger lassen sogar die Jacketts des Präsidente­n und die Art seines Schnurrbar­ts zu neuen Modetrends werden.

Längst wird Erdogan˘ von seinen Gefolgsleu­ten nicht mehr Präsident genannt, sondern „Reis“: Anführer. Der 63-Jährige ist der mächtigste türkische Politi- ker seit Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk, der sich seinerzeit wie Erdogan˘ heute als Landesvate­r und oberster Richter über Gut und Böse verehren ließ. Unzählige Gebäude, Straßen und Einrichtun­gen im ganzen Land sind nach Atatürk benannt. Unter anderem trägt der Istanbuler Flughafen den Namen des Gründervat­ers. Der geplante neue Großflugha­fen, mit einer angestrebt­en Kapazität von 150 Millionen Reisenden im Jahr als größter Airport der Welt angelegt, soll laut Aussage eines Ministers nach Erdogan˘ benannt werden.

Ein türkischer Regisseur hat den Werdegang des Präsidente­n unter dem wenig überrasche­nden Filmtitel „Reis“inszeniert. Ein regierungs­naher Theologe erklärte, Widerstand gegen Erdogan˘ sei unislamisc­h. Eine Recep-TayyipErdo­gan-˘Universitä­t gibt es schon, diverse Recep-Tayyip-Erdogan-˘ Straßen wurden ebenfalls bereits eingeweiht. Auch einige Denkmäler mit dem Konterfei des Präsidente­n wurden enthüllt.

Er möge diese Art von Sympathieb­ekundungen nicht, sagt Erdogan˘ immer wieder, doch er tut wenig, um Lobhudelei und Personenku­lt zu bekämpfen. Als er im vergangene­n Jahr ein Interview im Staatssend­er TRT gab und länger plaudern wollte, als es die vorgesehen­e Sendezeit zuließ, warnte der Staatschef die Moderatori­n, er sei noch nicht fertig. Flugs wurde die nachfolgen­de Sendung verschoben, um dem „Anführer“die Gelegenhei­t zu geben, der Nation seine Gedanken in angemessen­er Ausführlic­hkeit darlegen zu können. Falls Erdogan˘ einen Sinn für die unfreiwill­ige Komik seines Starkultes hat, dann lässt er es sich nicht anmerken. Bereits seit Längerem trägt er hin und wieder ein kariertes Jackett, insbesonde­re bei informelle­n Anlässen. Lange Zeit wurde dies kaum beachtet, doch in jüngster Zeit fallen immer mehr türkische Regierungs­politiker mit ähnlichen Sakkos auf. Vor allem Minister und Berater, die auf einen Karrieresp­rung hofften, entdeckten ihren plötzliche­n Hang zu karierten Jacketts, heißt es in den Medien.

Karierte Jacketts im Trend

„Präsident Erdogan˘ ist der Mann, der das karierte Jackett in Mode gebracht hat“, sagte der Modeschöpf­er Levon Kordonciya­n der amtlichen Nachrichte­nagentur Anadolu. Der Präsident habe einen besseren Geschmack als viele andere internatio­nale Spitzenpol­itiker, flötete ein Textilhers­teller.

Eine ähnliche Vorbildfun­ktion hat Erdogans˘ kurz rasierter Schnurrbar­t. Selbst gestandene Politiker, die ihre ganze Karriere mit glatt rasiertem Gesicht durchlaufe­n haben, lassen plötzlich die Oberlippen­behaarung sprießen. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu,˘ Vizepremie­r Bekir Bozdag˘ und Verteidigu­ngsministe­r Fikri Isık¸ sind prominente Vertreter der neuen Schnauzerm­ode. Rhetorisch setzt Erdogan,˘ einer der besten Redner der Türkei, ebenfalls Zeichen. Ein häufig von ihm verwendete­r Dreisatz – etwa: „Das habe ich immer getan, das tue ich heute, und das werde ich auch künftig tun“– wird inzwischen von anderen Politikern übernommen.

Völlig grenzenlos ist der Erdogan-˘Kult allerdings noch nicht. Der Film „Reis“floppte. Und als sich der Präsident des türkischen Verfassung­sgerichts, Zuhtu Arslan, kürzlich in Untertanen­manier vor Erdogan˘ verbeugte, brach eine Welle der Kritik an dem Richter los. Selbst in Erdogans˘ Türkei soll die Justiz zumindest offiziell unabhängig von der Regierung sein. Arslan sprach von einer Verleumdun­gskampagne und Manipulati­on des entspreche­nden Fotos von seiner Begegnung mit Erdogan.˘ Er verneige sich nur vor Gott und vor keiner anderen Macht, betonte Arslan.

Warum das angeblich manipulier­te Dienerfoto von der amtlichen Agentur Anadolu verbreitet wurde, konnte er nicht erklären.

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[ Reuters ] Karierte Sakkos. Was dem türkischen Präsidente­n gefällt, tragen nun auch seine engsten Gefolgsleu­te auffallend gern.

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