Personenkult um Erdogan˘
Türkei. Die Ergebenheitsbekundungen für den Präsidenten treiben seltsame Blüten. Unis, Straßen und Flughäfen werden nach ihm benannt. Und auch die Sakko- und Schnauzbartmode prägt er.
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Istanbul. Wenn er spricht, läuft die Rede auf allen Fernsehkanälen. Sein Wort sei Gesetz, sagt einer seiner engsten Mitarbeiter. „Die Hoffnung hat einen Namen“, lautet der Titel eines Plakats, das den großen Mann und einen einfachen Bürger mit türkischer Fahne zeigt: „Recep Tayyip Erdogan“.˘ In der Türkei blüht ein Personenkult um den Staatspräsidenten, der weit über den Respekt für die Leistungen des Politikers Erdogan˘ und für das höchste Staatsamt hinausgeht. Besonders eifrige Anhänger lassen sogar die Jacketts des Präsidenten und die Art seines Schnurrbarts zu neuen Modetrends werden.
Längst wird Erdogan˘ von seinen Gefolgsleuten nicht mehr Präsident genannt, sondern „Reis“: Anführer. Der 63-Jährige ist der mächtigste türkische Politi- ker seit Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, der sich seinerzeit wie Erdogan˘ heute als Landesvater und oberster Richter über Gut und Böse verehren ließ. Unzählige Gebäude, Straßen und Einrichtungen im ganzen Land sind nach Atatürk benannt. Unter anderem trägt der Istanbuler Flughafen den Namen des Gründervaters. Der geplante neue Großflughafen, mit einer angestrebten Kapazität von 150 Millionen Reisenden im Jahr als größter Airport der Welt angelegt, soll laut Aussage eines Ministers nach Erdogan˘ benannt werden.
Ein türkischer Regisseur hat den Werdegang des Präsidenten unter dem wenig überraschenden Filmtitel „Reis“inszeniert. Ein regierungsnaher Theologe erklärte, Widerstand gegen Erdogan˘ sei unislamisch. Eine Recep-TayyipErdogan-˘Universität gibt es schon, diverse Recep-Tayyip-Erdogan-˘ Straßen wurden ebenfalls bereits eingeweiht. Auch einige Denkmäler mit dem Konterfei des Präsidenten wurden enthüllt.
Er möge diese Art von Sympathiebekundungen nicht, sagt Erdogan˘ immer wieder, doch er tut wenig, um Lobhudelei und Personenkult zu bekämpfen. Als er im vergangenen Jahr ein Interview im Staatssender TRT gab und länger plaudern wollte, als es die vorgesehene Sendezeit zuließ, warnte der Staatschef die Moderatorin, er sei noch nicht fertig. Flugs wurde die nachfolgende Sendung verschoben, um dem „Anführer“die Gelegenheit zu geben, der Nation seine Gedanken in angemessener Ausführlichkeit darlegen zu können. Falls Erdogan˘ einen Sinn für die unfreiwillige Komik seines Starkultes hat, dann lässt er es sich nicht anmerken. Bereits seit Längerem trägt er hin und wieder ein kariertes Jackett, insbesondere bei informellen Anlässen. Lange Zeit wurde dies kaum beachtet, doch in jüngster Zeit fallen immer mehr türkische Regierungspolitiker mit ähnlichen Sakkos auf. Vor allem Minister und Berater, die auf einen Karrieresprung hofften, entdeckten ihren plötzlichen Hang zu karierten Jacketts, heißt es in den Medien.
Karierte Jacketts im Trend
„Präsident Erdogan˘ ist der Mann, der das karierte Jackett in Mode gebracht hat“, sagte der Modeschöpfer Levon Kordonciyan der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Der Präsident habe einen besseren Geschmack als viele andere internationale Spitzenpolitiker, flötete ein Textilhersteller.
Eine ähnliche Vorbildfunktion hat Erdogans˘ kurz rasierter Schnurrbart. Selbst gestandene Politiker, die ihre ganze Karriere mit glatt rasiertem Gesicht durchlaufen haben, lassen plötzlich die Oberlippenbehaarung sprießen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu,˘ Vizepremier Bekir Bozdag˘ und Verteidigungsminister Fikri Isık¸ sind prominente Vertreter der neuen Schnauzermode. Rhetorisch setzt Erdogan,˘ einer der besten Redner der Türkei, ebenfalls Zeichen. Ein häufig von ihm verwendeter Dreisatz – etwa: „Das habe ich immer getan, das tue ich heute, und das werde ich auch künftig tun“– wird inzwischen von anderen Politikern übernommen.
Völlig grenzenlos ist der Erdogan-˘Kult allerdings noch nicht. Der Film „Reis“floppte. Und als sich der Präsident des türkischen Verfassungsgerichts, Zuhtu Arslan, kürzlich in Untertanenmanier vor Erdogan˘ verbeugte, brach eine Welle der Kritik an dem Richter los. Selbst in Erdogans˘ Türkei soll die Justiz zumindest offiziell unabhängig von der Regierung sein. Arslan sprach von einer Verleumdungskampagne und Manipulation des entsprechenden Fotos von seiner Begegnung mit Erdogan.˘ Er verneige sich nur vor Gott und vor keiner anderen Macht, betonte Arslan.
Warum das angeblich manipulierte Dienerfoto von der amtlichen Agentur Anadolu verbreitet wurde, konnte er nicht erklären.