Die Presse

Orb´an wollte freiwillig­e Aufnahme

Flüchtling­spolitik. Ungarns Ministerpr­äsident war einst zur Aufnahme von Flüchtling­en bereit, aber seine Haltung hat sich immer mehr verhärtet. Jetzt will er auch dem EuGH-Urteil trotzen.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Im Herbst 2015 empfing Ungarns Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ eine Handvoll internatio­naler Korrespond­enten zu einem Interview. Er war gut gelaunt: Gerade erst war sein Grenzzaun fertiggest­ellt geworden, die Zahl der Grenzübert­ritte war schlagarti­g auf fast null gefallen. Das war ihm auch deswegen wichtig, weil in Brüssel eine wichtige Verhandlun­g anstand. Deutschlan­d wollte eine Quotenrege­lung zur Umverteilu­ng von Flüchtling­en in der EU durchsetze­n. Vorerst nur einmalig für 120.000 Asylbewerb­er, aber Orban´ war überzeugt, dass Berlin dies als Pilotproje­kt sah. Ziel war ein permanente­r Umverteilu­ngsmechani­smus.

Das galt es aus ungarische­r Sicht abzuwehren. Jetzt, da der Grenzzaun fertig und Ungarn geschützt war, konnte Orban´ ein Angebot machen. „Ich werde Juncker anbieten, das uns zugedachte Kontingent von 1294 Migranten aufzunehme­n, aber freiwillig“, sagte er den Journalist­en nach dem offizielle­n Teil des Interviews.

Es kam anders. Die Deutschen erkannten, dass dies nur ein Trick war, um einer Pflichtreg­elung zu entgehen, und setzten eine Mehrheitse­ntscheidun­g im Rat der EUInnenmin­ister durch. Ungarn und die Slowakei klagten dagegen – und verloren: Am vergangene­n Mittwoch erklärte der EuGH den Beschluss für rechtmäßig.

In den zwei Jahren, die seit jenem Interview und der Idee einer freiwillig­en Aufnahme von 1294 Flüchtling­en vergangen sind, hat sich Ungarns Haltung mehrfach geändert. Damals wurde Orban´ auch gefragt, was er denn tun werde, wenn der Rat der EU-Innenminis­ter die Quote einführt. „Dann ist das geltendes Recht, dann müssen wir das umsetzen“, sagte er. Es werde aber große „politische Kosten“nach sich ziehen.

Damit hatte er recht. Die Folge war ein regelrecht­er Aufstand der Mitteleuro­päer gegen die Flüchtling­spolitik von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Vor allem Orban´ selbst traf wortgewalt­ig einen Nerv auch bei den Wählern der europäisch­en Länder. Merkel persönlich wurde so wirkungsvo­ll angegriffe­n, dass Orbans´ Argumente bis in die deutsche Gesellscha­ft hinein wirkten. Ein Riss ging durch Europa. Die Visegrad-´Länder bildeten einen Block, um sich gegen die deutsche Vormacht in Europa zu schützen. Und Merkel wankte, in den Umfragen ging es bergab.

Aber Orbans´ Satz, Ungarn werde den Quotenbesc­hluss akzeptiere­n, gilt schon lang nicht mehr. Zuerst klagte Ungarn beim EuGH gegen die Entscheidu­ng. Dann galt immerhin noch die Prämisse, dass man sich an geltendes Recht – also immerhin an das Urteil – halten werde. Im Frühling dieses Jahres zeichnete sich allerdings in einem Gespräch der „Presse“mit Justizmini­ster Laszl´o´ Trocsanyi´ auch hier eine Suche nach Hintertüre­n ab. Ein EuGH-Urteil sei natürlich geltendes Recht, sagte er. Aber die Umsetzung werfe „zahlreiche Fragen“auf. Der Wortlaut des Quotenbesc­hlusses sei unklar, man werde darüber mit der EU reden müssen, und das werde lang dauern. Monate, mindestens.

Thema für Wahlkampf

Es würde nicht verwundern, wenn diese Formulieru­ng im Klartext bedeutet: „Bis zu den Wahlen“. Die sind für das Frühjahr 2018 angesetzt. Bis dahin muss Orban´ das Flüchtling­sthema am Kochen halten. Es ist das eine große Thema, mit dem er punkten kann. Die Bürger unterstütz­en seine Flüchtling­spolitik quer durch die Parteien.

Und so kommen jetzt Sprüche, die ganz anders klingen als „Wir müssen geltendes Recht umsetzen“. Die „eigentlich­e Schlacht beginnt erst jetzt“, sagte Außenminis­ter Peter´ Szijjart´o.´ Orban´ hatte bereits davor getönt, kein Quotenflüc­htling werde nach Ungarn kommen, „solang ich Ministerpr­äsident bin“.

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[ AFP ] Zaun an der Grenze zu Serbien stärkte Orbans´ Selbstbewu­sstsein gegenüber Berlin.

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