Wiens hungrigste Gasse und ihr Neuzugang
Kulinarik. Die Servitengasse wird um ein weiteres Delikatessengeschäft reicher. Eine höhere Dichte an Essund Trinkbarem findet man in der Stadt schwer. Eine Geschichte über alte Portale und junge Russinnen, Eclairs und frische Artischocken.
Wien. Die Parkbank neben der alten Litfaßsäule wird im Buchungssystem als Tisch Nummer eins geführt: Mit dem Gästeandrang musste man schließlich in der Mercerie Ecke Servitengasse/Berggasse von Anfang an kreativ umgehen. Die Kombination aus Originalinterieur einer alten Drogerie und Eclairs, die aus Paris eingeflogen werden, oder Baguette, das im Keller gebacken wird, zieht. Und zwar für die gesamte Servitengasse. La Mercerie ist ein Motor für das Viertel.
„Wer bei mir keinen Platz mehr bekommt, und das sind viele, geht weiter.“Lange suchen muss in dieser Gasse, wohl jener Gasse Wiens mit dem dichtesten Angebot an Essen und Trinken, niemand. Die Servitengasse ist gewissermaßen ein Indoormarkt, bestehend aus aneinandergereihten Geschäftslokalen, deren Besitzer miteinander meist gut vernetzt sind.
„Wir haben im Dezember 2016 in der Früh aufgesperrt, die Polizei hat zugesperrt. Um 14 Uhr.“Gregory Gouillard, Chef der Mercerie, erzählt diese Geschichte wohl nicht zum ersten Mal. „Die Leute sind bis zum Palmers hinüber angestanden – wie heißt das, Störung öffentlichen Ärgernisses?“Werbung für sein Lokal musste der Franzose nie machen, das besorgen andere, etwa eine Russin mit sechs Millionen Followern auf der Fotoplattform Instagram. „Eine Stunde später wollten Hunderte Wiener Russinnen herein.“Der Anteil an Russen ist in dem Lycee-´ nahen Servitenviertel hoch, viele schicken ihre Kinder in die französische Schule. „Wir sind ein Treffpunkt für Lycee-´Mütter“, sagt Gouillard. Und nicht nur für diese.
Gleich in den Anfangstagen war die Mercerie so überlaufen, dass schon zur Mittagszeit ein entnervt handgekritzelter Zettel an der Tür hing: „Keine Croissants mehr. Kein Baguette mehr.“Das kleine Eckgeschäft im 1904 erbauten Servitenhof war einst eine Drogerie, davor, noch im deutlich kleineren Vorgängerbau, befand sich hier ein Knopfgeschäft. In den zahllosen winzigen Laden der alten Holzvertäfelung, beschriftet mit „Wimpernscheren“oder „Luller Vollgummi“, lagern heute Besteck oder Servietten.
Frankophiler Neuzugang
Vom leer stehenden Lokal am Servitengassen-Entree,´ das nun eben die Mercerie ist, erfuhr Gouillard durch einen befreundeten Anrainer namens Gerald König. Welcher wiederum am Samstag, dem 9. September, dank der Vermittlung von Gouillard auf Nummer 6 den jüngsten kulinarischen Neuzugang der Gasse aufsperrt: das frankophile Delikatessengeschäft König. Hier wird es Rohmilchkäse geben, frische Artischocken aus dem Marchfeld, Biotrauben von Paul Achs, Senf von Amora oder Traiteur-Spezialitäten wie Terrinen. Gerald König meint, „es gibt ja im neunten Bezirk vieles, aber keinen Markt“. König, mit einer Französin verheiratet und schon lange in der Lebensmittelbranche umtriebig, ist stolz darauf, eines der wenigen verbliebenen alten Portale der Servitengasse zu haben: „Die Gasse war Anfang des 20. Jahrhunderts schon eine Einkaufsstraße, mit einheitlichen Portalen. Mein Geschäft hat noch ein solches und das Xocolat. Und die Fliesen, die wir beim Umbau gefunden haben, sind die gleichen wie in der Mercerie vorn!“Der Neogreißler kennt viele Vorgängergeschichten. Sein eigenes Geschäft etwa gehörte einst dem k. k. Hofbäcker Ludwig Plank, der für die Servitenpfarre jedes Jahr die riesigen Peregrini-Kipferl buk, nach denen stets die ganze Gasse duftete.
„Die Servitengasse war ja in den Neunzigern ziemlich heruntergekommen“, meint Gerald König. Heute ist sie ein Anziehungspunkt, man lobt ihr angebliches Pariser Flair. Hier finden sich sowohl eine der besten Kaffeeadressen der Stadt, das Caff`e a Casa, als auch die Produktionsstätte des Schokoladehändlers Xocolat, die durch große Scheiben Einblicke gewährt. Die Suppenwirtschaft ist ebenso gut besucht wie die Konditorei Bürger, die Pasteria mit ihren frisch gemachten Nudeln, das mediterrane Scala oder der ambitionierte Servitenwirt, direkt neben der frühbarocken Kirche gelegen. Eine weitere kleine Neuerung gibt es mit 15. September: Aus dem Pacado wird das Eatalia. Das italienische Angebot − man kann sowohl hier essen als auch einkaufen − behält Ana Maria Winter bei: Olivenöle, Sugo, nostalgische Limonaden, Mortadella, Antipasti . . . „Die Leute essen hier und kaufen danach gleich ein. Diese Gasse ist wie ein Markt.“