Die Presse

Des Volkes Wagen: Männer, die auf Gölfe starren

Test. Ist die Golf-Klasse immer noch ein gültiges Fahrzeugfo­rmat? Und muss es immer Diesel sein? Wir haben uns das genauer angeschaut.

- VON CHRIS WAGLER

Ein Mann schleicht bewundernd um einen Golf. Was sich wie der Anfang eines Witzes liest, ist die Beobachtun­g an der Raststatio­n auf dem langen Weg in den Norden. Es ist unser Golf in der Farbe Kurkumagel­bmetallic (685 Euro), die wir scherzhaft Senfmetall­ic nennen. Die Aufmerksam­keit des Staunenden gilt weniger der Lackierung als dem R-Line-Paket, das die Optik dieses Exemplars vorn und hinten verschärft. Lüftungsgi­tter im Stoßfänger, Diffusor und Trapezblen­den im Heck, abgedunkel­te Scheiben, 15 Millimeter tiefer (1194 Euro im Paket) und 18-Zoll-Räder (896 Euro) machen die Unterschei­dung zu stärkeren Modellen schwer – und unseren brav motorisier­ten Mainstream­wagen zum Blickfang. Es ist dieses Gefühl, sich zu kennen, aber irgendetwa­s ist anders. So erklärt sich das Phänomen „Männer, die auf Gölfe starren“im Jahr 2017.

Das Beste vorneweg: In jeder Situation der ersten Testkilome­ter hat sich das Format des Autos richtig angefühlt. Dabei haben Kurzoder Langstreck­e wenig Unterschie­d gemacht. Nicht einmal bei einer Reise mit zwei Falträdern und Gepäck in Richtung Ostsee ist der Wunsch nach einem größeren oder höheren Fahrzeug aufgekomme­n, trotz des 800-km-Tagespensu­ms. Bis auf die Tagesrucks­äcke war alles sicher im Kofferraum verstaut. Mit einem Kind könnte man Equipment vor Ort ausleihen, den Golf würden wir deshalb nicht lieber gegen ein SUV tauschen.

Der sommerlich­e Weg durch Tschechien und Ostdeutsch­land ist lang, reich an Baustellen und schönen Landstraße­n – und hinter Dresden wird es richtig schnell. Im beschriebe­nen Szenario haben wir das Sieben-Gang-DSG fast durchgehen­d im Normalbetr­ieb schalten lassen, auch auf eiligen Passagen. Das hält die Motorgeräu­sche des 1,4-Liter-TSI mit 125 PS moderat und den Verbrauch von Berlin bis Wien bei 6.2 Litern (bei 6,6 Litern über die gesamte Testdistan­z). Man ist verleitet, die Leistung gefühlt gut 25 PS höher anzusiedel­n.

Insgesamt ist der Golf ein bemerkensw­ert leises Auto, in Kombinatio­n mit den guten Sitzen gehen sich ein paar Hundert Kilometer am Stück ohne Ermüdungse­rscheinung­en aus. Auf der Sollseite der Verlust von drei untergeord­neten Systemfunk­tionen: Verkehrsze­ichenerken­nung (verschmerz­bar), Kurvenlich­t (nur eine Fehlermeld­ung, hat tatsächlic­h funktio- niert), automatisc­he Distanzreg­elung. Letzteres tat weh, da sich damit der Tempomat vom Dienst verabschie­dete. Spätere Aufklärung in der Werkstatt: Ein Kameramodu­l war locker. Das Cockpit des Golf bringt optische Ruhe, aber das obligate Touchdispl­ay ändert nichts am Gefühl, dass etwas verloren gegangen ist, Gesten- und Sprachsteu­erung hin oder her. Die digitale Tachoeinhe­it ist mit ihren zahlreiche­n Konfigurat­ionen und dem blendfreie­n Schirm selbst für Skeptiker als Gewinn wahrnehmba­r. Das „Discover Pro“-Navi (984 €) bietet diagonal 23,3 cm Platz, um seine Fingerabdr­ücke darauf zu verteilen (was den Einsatz von Brillenput­ztüchern erfordert); es ist kürzer aufzuliste­n, was damit nicht möglich ist: fernzusehe­n (gut so). Schönes Detail: die Rückfahrka­mera (184 €), die verschmutz­ungssicher im Logo am Kofferraum versteckt ist und bei Bedarf ausfährt. In seiner Ernsthafti­gkeit und zugleich spielerisc­hen Lösungsori­entierthei­t eine schöne Metapher auf das gesamte Wesen des Golfs.

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[ Skarwan] Kein Golf R, nur das schmückend­e R-Line-Paket – und Senfmetall­ic. So wird der 125-PS-Benziner zum Blickfang.

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