Des Volkes Wagen: Männer, die auf Gölfe starren
Test. Ist die Golf-Klasse immer noch ein gültiges Fahrzeugformat? Und muss es immer Diesel sein? Wir haben uns das genauer angeschaut.
Ein Mann schleicht bewundernd um einen Golf. Was sich wie der Anfang eines Witzes liest, ist die Beobachtung an der Raststation auf dem langen Weg in den Norden. Es ist unser Golf in der Farbe Kurkumagelbmetallic (685 Euro), die wir scherzhaft Senfmetallic nennen. Die Aufmerksamkeit des Staunenden gilt weniger der Lackierung als dem R-Line-Paket, das die Optik dieses Exemplars vorn und hinten verschärft. Lüftungsgitter im Stoßfänger, Diffusor und Trapezblenden im Heck, abgedunkelte Scheiben, 15 Millimeter tiefer (1194 Euro im Paket) und 18-Zoll-Räder (896 Euro) machen die Unterscheidung zu stärkeren Modellen schwer – und unseren brav motorisierten Mainstreamwagen zum Blickfang. Es ist dieses Gefühl, sich zu kennen, aber irgendetwas ist anders. So erklärt sich das Phänomen „Männer, die auf Gölfe starren“im Jahr 2017.
Das Beste vorneweg: In jeder Situation der ersten Testkilometer hat sich das Format des Autos richtig angefühlt. Dabei haben Kurzoder Langstrecke wenig Unterschied gemacht. Nicht einmal bei einer Reise mit zwei Falträdern und Gepäck in Richtung Ostsee ist der Wunsch nach einem größeren oder höheren Fahrzeug aufgekommen, trotz des 800-km-Tagespensums. Bis auf die Tagesrucksäcke war alles sicher im Kofferraum verstaut. Mit einem Kind könnte man Equipment vor Ort ausleihen, den Golf würden wir deshalb nicht lieber gegen ein SUV tauschen.
Der sommerliche Weg durch Tschechien und Ostdeutschland ist lang, reich an Baustellen und schönen Landstraßen – und hinter Dresden wird es richtig schnell. Im beschriebenen Szenario haben wir das Sieben-Gang-DSG fast durchgehend im Normalbetrieb schalten lassen, auch auf eiligen Passagen. Das hält die Motorgeräusche des 1,4-Liter-TSI mit 125 PS moderat und den Verbrauch von Berlin bis Wien bei 6.2 Litern (bei 6,6 Litern über die gesamte Testdistanz). Man ist verleitet, die Leistung gefühlt gut 25 PS höher anzusiedeln.
Insgesamt ist der Golf ein bemerkenswert leises Auto, in Kombination mit den guten Sitzen gehen sich ein paar Hundert Kilometer am Stück ohne Ermüdungserscheinungen aus. Auf der Sollseite der Verlust von drei untergeordneten Systemfunktionen: Verkehrszeichenerkennung (verschmerzbar), Kurvenlicht (nur eine Fehlermeldung, hat tatsächlich funktio- niert), automatische Distanzregelung. Letzteres tat weh, da sich damit der Tempomat vom Dienst verabschiedete. Spätere Aufklärung in der Werkstatt: Ein Kameramodul war locker. Das Cockpit des Golf bringt optische Ruhe, aber das obligate Touchdisplay ändert nichts am Gefühl, dass etwas verloren gegangen ist, Gesten- und Sprachsteuerung hin oder her. Die digitale Tachoeinheit ist mit ihren zahlreichen Konfigurationen und dem blendfreien Schirm selbst für Skeptiker als Gewinn wahrnehmbar. Das „Discover Pro“-Navi (984 €) bietet diagonal 23,3 cm Platz, um seine Fingerabdrücke darauf zu verteilen (was den Einsatz von Brillenputztüchern erfordert); es ist kürzer aufzulisten, was damit nicht möglich ist: fernzusehen (gut so). Schönes Detail: die Rückfahrkamera (184 €), die verschmutzungssicher im Logo am Kofferraum versteckt ist und bei Bedarf ausfährt. In seiner Ernsthaftigkeit und zugleich spielerischen Lösungsorientiertheit eine schöne Metapher auf das gesamte Wesen des Golfs.