Die Presse

Die Ernte nach der Leidenszei­t

Radsport. Stefan Denifl genießt seinen Vuelta-Etappensie­g. „Mir wurde nichts geschenkt.“Trotz der Erfolge hat der Verband zu kämpfen.

- VON SENTA WINTNER

Santander/Wien. Ein Verspreche­n hat Stefan Denifl nach dem größten Erfolg seiner Karriere gebrochen. „Ich habe immer gesagt, wenn ich eine große Etappe gewinne, fahre ich am nächsten Tag nach Hause“, erzählte der Tiroler. Auf dem 17. Teilstück der Vuelta a Espan˜a gelang ihm ebendieses Kunststück, am Tag darauf nahm er dennoch die 169 km von Suances nach Santo Toribio de Liebana´ in Angriff. Partnerin Melanie und der vier Wochen alte Sohn, Xaver, müssen sich also noch gedulden. Am Donnerstag gewann der Belgier Sander Armee,´ Chris Froome behauptete das Rote Trikot vor Vincenzo Nibali (+1:37 Min.).

Denifl, 27, hat sich bewusst auf die schweren Bergetappe­n der vergangene­n Woche konzentrie­rt und auf dem Schlussans­tieg nach Los Machucos (bis zu 28 Prozent Steigung) erst den dreifachen VueltaTage­ssieger Daniel Moreno abgeschütt­elt und dann Alberto Contador auf Distanz gehalten. „Alle haben die Messer ausgepackt, mir wurde nichts geschenkt“, sagte der Profi vom irischen Team Aqua Blue Sport nach dem ersten rot-weiß-roten Etappensie­g bei der SpanienRun­dfahrt seit Max Bulla 1935 – der sechste eines Österreich­ers bei einer Grand Tour insgesamt.

Triumph statt Karriereen­de

In der Heimat sah Nationaltr­ainer Franz Hartl bei Denifls Triumphfah­rt zu. „Wie er Moreno abgehängt hat, war ganz stark“, sagt der Linzer. Überrascht hat ihn der Erfolg des diesjährig­en Gesamtsieg­ers der Österreich-Rundfahrt aber nicht. „Er hat Freiheiten, fährt Rennen im Rennen und hat es ja schon bei der ersten Bergankunf­t der höchsten Kategorie (14. Etappe, Anm.) probiert.“Hartl begleitet den Tiroler seit Jahren, umso mehr freut ihn dessen Comeback nach langer Leidenszei­t. Eine Knieverlet­zung ließ Denifl um die Karriere bangen. „Er hat sämtliche Tiefs erlebt, jetzt ist endlich Erntezeit.“

Mit Denifl und Giro-Etappensie­ger Lukas Pöstlberge­r stehen somit gleich zwei Grand-Tour-Tagessiege­r im Kader für die Rad-WM in Bergen (ab 17. September). „Das ist unglaublic­h und kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden“, betont der Chefcoach. In Anbetracht des Streckenpr­ofils und der Vuelta-Strapazen ist Denifl in Absprache aber nur als Ersatz nominiert. Bei Rückblicke­n auf Bullas glorreiche Zeiten (drei Etappensie­ge bei der Tour, zwei bei der Vuelta) mahnt Hartl zur Vorsicht. „Das war in den 1930er-Jahren und kann man mit dem heutigen Radsport überhaupt nicht vergleiche­n.“

Nach den Solojahren Bernhard Eisels stehen heuer acht Österreich­er und damit so viele wie nie zuvor bei World-Tour-Teams unter Vertrag. Das gelte es wie die Erfolge zu genießen, sich jedoch nicht davon blenden zu lassen. „Wir haben eine dünne Decke und können im Konzert der ganz Großen nicht mithalten“, sagt Hartl und verweist auf das ungleiche Duell mit Russland um WM-Quotenplät­ze. „Wir haben nicht die Breite und sind am Maximum. Es kommen gute Junge nach, aber das nächste Loch ist absehbar.“So wird etwa in Norwegen bei den Junioren das Aufgebot nicht ausgeschöp­ft.

Finanziell­e Gratwander­ung

Der Radsport ist in Österreich eine Randsporta­rt und hat daher mit Geldproble­men zu kämpfen. „So, wie wir agieren, ist es eigentlich ein Wunder, dass wir da stehen, wo wir sind“, erklärt Hartl und spricht gegenüber der „Presse“von einer „finanziell­en Gratwander­ung“. 300 bis 400 Euro pro Monat verdienen Nachwuchsf­ahrer bei den drittklass­igen Continenta­l-Teams, aus Geldmangel können nicht alle Rennen besetzt werden. Dank staatliche­r Förderunge­n müssen sich inzwischen zumindest die Talentiert­esten nicht mit Existenzso­rgen plagen, sondern können sich auf den Sport konzentrie­ren. Enge Kontakte wie etwa zum deutschen WorldTour-Team Bora-Hansgrohe, das mit Christian Pömer über einen österreich­ischen Manager verfügt, geben eine langfristi­ge Perspektiv­e. „Das ist eine Startrampe. Die Qualität muss natürlich da sein.“

2018 gastiert die WM in Tirol und soll dem heimischen Radsport ins Rampenlich­t verhelfen. Das Verhältnis zwischen Organisato­ren und Verband ist jedoch nicht das beste, an einen sportliche­n Heimvortei­l glaubt Hartl angesichts der Streckenpl­äne nicht. „Für uns wäre ein weniger schwerer Kurs besser, dann wäre mit Glück etwas möglich“, meinte der Trainer vor der offizielle­n Kurspräsen­tation bei den Titelkämpf­en in Bergen. Zu viel wolle er aber nicht jammern. „Ich freue mich über Erfolge, leiste meinen Beitrag und bringe den Sportlern Respekt und Wertschätz­ung entgegen.“

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[ APA ] Als sechster Österreich­er gewann Stefan Denifl bei der Vuelta eine Grand-Tour-Etappe, sein Glück konnte er im Ziel auf dem Alto de los Machucos kaum fassen.

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