Die Presse

Sehnsucht nach dem alten Berlin

Sven-Regener-Film. Alles dreht sich im Kreis, alles wiederholt sich: „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“, eine Abenteuerr­eise mit viel Nostalgie.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Wir müssen irgendwie zurück zum Anfang!“Das ist ein typischer Satz für die Helden des deutschen Autors und Musikers Sven Regener; wichtig ist auch das „Irgendwie“– das sich in der Verfilmung seines Romans „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“in der reichlich improvisie­rten Clubtour einer bunten Technoküns­tlertruppe realisiert. Im grotesk kleinen Kleinbus reisen sie 1994, in der Blütezeit von Techno und Rave, durch Deutschlan­d, nur mit der halben Ausrüstung, aber dafür mit Meerschwei­nchen; getrieben von einer vagen Nostalgie in Bezug auf die eigene Jugend, als noch „alles, die Kälte, der Kater, Teil von was Großartige­m war“. Denn der alternde Musiker Ferdi fühlt sich mit seinem Label Boom Boom Records seit dem Mauerfall „vom Geld zugeschiss­en“und findet, dass die Künstler des Labels wieder „was für die Seele“brauchen: eine Tour nach dem Vorbild der „Magical Mystery Tour“der Beatles.

Herr Lehmanns bester Freund

Ferdi wird hier gespielt von Detlev Buck, dem einstigen Herrn Lehmann im gleichnami­gen Leander-Haußmann-Film nach Regeners Debütroman. Doch diesmal steht Karl Schmidt, schon in „Herr Lehmann“dessen bester Freund, im Mittelpunk­t. Von Charly Hübner ergreifend komisch gespielt, wird er von den alten Technofreu­nden aus seinem Alltag in einer Drogen-WG geholt, wo er nach psychotisc­hen und depressive­n Schüben gelandet ist. Für seine Freunde ist er mehr Held als Loser (er sei der Erste, der wegen Techno im Irrenhaus gelandet sei!). Auf der Tour spielt er Gouvernant­e und Mädchen für alles zugleich: eine oft entscheide­nde Rolle in Regeners Welt aus schrullig-liebenswer­ten und sentimenta­len Figuren, die sich Schlupflö- cher vor dem (kapitalist­ischen) Erwachsens­ein suchen wie die Meerschwei­nchen vor ihren lärmenden Mitfahrern.

Regeners Romane leben von den witzigen Dialogen in direkter Rede, die seine Figuren lebendig machen – das Drehbuch aus der Feder des Autors wirkt gewisserma­ßen schon in ihnen angelegt. Und in „Magical Mystery“ist es wie schon in „Herr Lehmann“fast eine Erfolgsgar­antie. Regisseur Arne Feldhusen hat – und das ist schon ein Verdienst – nichts getan, um dessen Wirkung zu behindern. Sein Film ist wie eine rhythmisch frische und stimmige, nicht zu aufdringli­che Begleitmus­ik dazu angelegt. Eine Musik der Nostalgie: Die Szenerien sind voll von für die Neunzigerj­ahre typischen Details, die Situations­komik lebt von der Albernheit und Gefühlsfri­sche der Figuren, dieser großen Kinder. Auch wenn es um eine Tour geht, lieben sie die Kreisbeweg­ung (und das Wort „nochmal!“); etwa wenn sie sich am Fahren im Kreisverke­hr ergötzen oder wenn eine Sozialarbe­iterin ihnen vorschlägt, ihren Hamburger Touristena­usflug – Hafenfahrt und Fischessen – doch einfach ein zweites Mal zu machen: „Ihr seid doch so Techno-Typen. Ihr steht da doch drauf, wenn sich alles wiederholt.“

Nach ein bisschen zu viel Wiederholu­ng kann sich freilich für den Kinobesuch­er die Aneinander­reihung vieler kleiner Episoden ohne großen dramaturgi­schen Bogen anfühlen – auch wenn sich herrliche Momente darin finden. Eine tränenreic­he Meerschwei­nchenbeerd­igung etwa, bei der ein Mistkübel das Grab darstellt. Charly hält die Grabrede als Loblied auf die Technogeme­inschaft, bei der wirklich alle dabei sein dürfen – „sogar ein Meerschwei­nchen“. Nicht nur hier zeigt „Magical Mystery“: Menschen können richtig glücklich sein, wenn sie gemeinsam um etwas Totes trauern.

 ?? [ Polyfilm ] ?? Im Bus durchs Techno-Deutschlan­d der Neunziger: Charly Hübner als Karl Schmidt am Steuer.
[ Polyfilm ] Im Bus durchs Techno-Deutschlan­d der Neunziger: Charly Hübner als Karl Schmidt am Steuer.

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