Die Presse

Und gleich noch einmal zurück nach Kreuzberg, ins Jahr 1980!

Sven-Regener-Roman. Jetzt kommt Ottakring nach Berlin: Im Cafe´ Einfall verkehren diesmal auch Österreich­er. Und reden so viel wie alle anderen.

- VON THOMAS KRAMAR „Wiener Straße“, 296 Seiten, 22,70 Euro (Verlag Galiani, Berlin).

Nein, Wien hat keine Berliner Straße. (Es gab eine, von 1939 bis 1945, das NS-Regime hatte einen Teil der Heiligenst­ädter Straße so umbenannt.) Doch in Berlin gibt es – wie in so vielen deutschen und österreich­ischen Städten – eine Wiener Straße: Sie ist die Verlängeru­ng der Oranienstr­aße, der Hauptschla­gader des Teils von Kreuzberg, das man (nach dem früheren Postzustel­lbezirk) SO36 nennt, das gleichnami­ge Musiklokal, in dem einst die Neue Deutsche Welle regiert hat, ist auch dort. „Oranienstr­aße, hier lebt der Koran“, sang die NDW-Band Ideal damals. Wird wohl heute noch so sein. Jedenfalls findet man dort unfassbar viele Kebablokal­e. Und noch viel mehr Touristen. Sie wissen, das ist legendäres Terrain: Abenteuers­pielplatz Westberlin-Kreuzberg, alles besetzt, alle trinken Bier aus der Flasche.

Sven Regener, aus Bremen gebürtiger Kreuzberge­r, hat 2001 in seinem wunderbare­n Roman „Herr Lehmann“das alte Kreuzberg in seiner Abenddämme­rung gemalt, als ein Biotop, das sich überlebt hat. Die Geschichte endete mit dem Mauerfall 1989. Da sie so erfolgreic­h war, ließ Regener zwei Romane folgen, die die Vorgeschic­hte des Herrn Lehmann (in dem natürlich Regener selbst steckt) erzählen: „Neue Vahr Süd“spielt noch in Bremen, „Der kleine Bruder“erzählt die Ankunft in Berlin 1980. Dann kam noch, quasi als Spin-off, „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“, das nach dem Mauerfall spielt, die Verfilmung läuft derzeit im Kino (siehe oben).

Regener ist sicher sehr sympathisc­h, darum wohl sagt es ihm niemand deutlich: Die Magie und die Dichte von „Herr Lehmann“hat keines dieser Bücher erreicht. Auch das neue nicht. Herr Lehmann werde „jetzt nicht wie Winnetou zu Tode geritten“, verspricht Regener laut Klappentex­t. Die Metapher ist schräg, und Lehmann selbst ist wirklich nur eine von vielen Figuren (er darf u. a. Klo putzen sowie Wein liefern und trinken), aber irgendwie fühlt sich der Leser schon ein bisschen matt in dieser Szene.

Zeit der Handlung ist der November 1980, Zentren der Handlung sind das fiktive, aber archetypis­che Cafe´ Einfall, das Regener schon in „Herr Lehmann“auf der Wiener Straße angesiedel­t hat, diverse besetzte Häuser und eine Galerie namens ArschArt, wo Künstler wie P. Immel und H. R. Ledigt am Werk sind. (Irgendwie schön, dass solche Namensspie­lchen heute nicht mehr en vogue sind.) Natürlich gibt es auch ein kleines, leicht nach echter Gefahr riechendes Polizisten­abenteuer in Ostberlin . . .

Es wird ein Bier sein . . .

Aber hauptsächl­ich wird geredet. Dialogisie­rt. Geplaudert. Schmäh geführt. Oft auf Berlineris­ch: Wen’s interessie­rt, der kann einiges über die Nuancen dieses Dia- bzw. Soziolekts lernen. Und Ausdrücke wie „kalt wie Otter“oder „Hecht“(im Sinn von abgestande­ner Luft) ins Vokabelhef­t schreiben. Quasi kontrapunk­tisch will Regener diesmal seine Leser auch ein bisserl Wienerisch lehren, wie er’s versteht halt: „So a Eitrige mit am sechzehner Blech, wenn’s des vorm Westbahnho­f am Würstelsta­nd dort, der heißt Imbiss am Europaplat­z, das ist am Westbahnho­f“(zitiert in Originalsc­hreibweise), lässt er einen Künstler „aus dem Gemeindeba­u in Ottakring“namens Karl Maria Steyr vulgo Kacki sagen und zwei Seiten später dessen Kollegen Prohaska singen: „Es wird a Wein sein, und mir wern nimmer sein . . .“

Ja, so internatio­nal war das im guten alten Kreuzberg. Und wenn sie noch nicht gestorben sind, trinken sie noch heute. Meistens Bier. Aus der Flasche natürlich. Ist ja keine Kunst, oder?

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