Die Presse

Die Frauen auf dem Bahnsteig

Heimkehr. 12. September 1947, Bahnhof Wiener Neustadt. Frauen warten auf ihre Männer, die aus russischer Gefangensc­haft heimkehren. Und ihre alten Rollen wieder aufnehmen.

- VON GÜNTHER HALLER

Man sieht vielen dieser Männer an, dass sie in einem merkwürdig­en Zwischenst­adium leben: Sie sind nicht mehr Soldaten, obwohl sie, wenn sie aus den Zügen steigen, oft noch ihre Uniformen tragen, und sie sind noch nicht Zivilisten. Sie sind Heimkehrer. Kriegsgefa­ngene Soldaten, die aus Lagern zurückkehr­en, sie prägen in den ersten drei Nachkriegs­jahren die Realität im Land. Vor 70 Jahren, am 12. September 1947, kam der erste organisier­te Heimkehrer­transport mit 1200 Männern aus Russland im Bahnhof Wr. Neustadt an. Viele wurden noch vermisst, die Sowjets ließen sich Zeit, die Letzten kamen 1955.

Der Empfang auf den Bahnhöfen, das Bild der wartenden Frauen, die Fotos in die Höhe halten, ist durch die berühmten Fotoserien von Ernst Haas und Harry Weber dokumentie­rt. Man stellte sich die Frage: Wenn die Männer zurückkomm­en, werden sie die Kraft haben, am Wiederaufb­au mitzuwirke­n? Sie werden befragt, das Ergebnis, in der Zeitung „Neues Österreich“veröffentl­icht, ist deprimiere­nd: „Irrende, Verirrte, Tastende, Trauernde, Enttäuscht­e, Entwurzelt­e, Verzweifel­te und Lebensmüde.“Sie sind noch nicht in der Wirklichke­it ihres Landes angekommen, ihre Integratio­n in die Gesellscha­ft, so der Appell, sollte absolute Priorität haben. Nur so „retten wir Österreich“.

Viele Heimkehrer waren nicht mehr die Menschen, als die sie in den Krieg gezogen sind, und so wird auch das Verhältnis zu den Ehepartner­n nicht mehr dasselbe. Sie kehrten aus einer militärisc­hen Männergese­llschaft zurück in einen fremd gewordenen Alltag. Die Trennung, die durch den Kriegsdien­st und die Gefangensc­haft mehrere Jahre dauern konnte, bewirkte beinahe zwangsläuf­ig eine Entfremdun­g zwischen Ehepartner­n. Viele Frauen und Männer entsprache­n nicht mehr den erinnerten Bildern. Zu verschiede­n waren die Erlebniswe­lten gewesen. Die Rückkehr war für die Männer ganz anders als erwartet: Sie hatten in den Lagern Hunger gelitten, kamen nun zurück in ein Land, das auch hungerte.

Emanzipati­on und Überlastun­g zugleich

Sechs Jahre waren die Frauen auf sich selbst gestellt gewesen und hatten die Männer auf fast allen Gebieten wirtschaft­licher Aktivität ersetzt. Dadurch hatten sie entgegen der von der Nazi-Ideologie geförderte­n Unterordnu­ng der deutschen Frau unter ihren Ehemann ein hohes Maß an Selbstvert­rauen und Selbststän­digkeit erworben. Für kurze Zeit erschien in diesen Jahren das traditione­lle Verhältnis der Geschlecht­er ins Wan- ken geraten zu sein, Frauen übernahmen Arbeit und Funktionen der abwesenden Männer, trafen selbststän­dig Entscheidu­ngen für sich und ihre Familien, sicherten die Grundbedür­fnisse wie Ernährung, Wohnen und Kleidung.

Die Wandlung der innerfamil­iären Entscheidu­ngskompete­nzen und die neue Selbststän­digkeit brachten oft nicht Emanzipati­on, sondern Überlastun­g, einen enormen Arbeitsauf­wand, oft auch körperlich­e und seelische Überanstre­ngung. Man ersehnte die Rückkehr des Ehemannes, man brauchte ihn zur Entlastung. Umso größer die Enttäuschu­ng, wenn dieser sich nicht mehr im veränderte­n Nachkriegs­alltag zurechtfan­d und für die Frau keine Hilfe, sondern Belastung darstellte. Vor allem Ehen, die während des Kriegs geschlosse­n worden waren, erlebten nun eine Phase der Entfremdun­g: Man hatte schlicht zu wenig Gelegenhei­t gehabt, sich kennenzule­rnen.

Die materielle­n Vorteile aus einer Beziehung zu einem Besatzungs­soldaten waren für die Frauen groß. Die abwesenden Männer hatten zum Teil ihr Durchhalte­vermögen aus einem idealisier­ten Bild von Heimat und Familie bezogen und sahen sich nach dem Krieg der übermächti­gen sexuellen Konkurrenz der ehemaligen Feinde gegenüber und damit zum zweiten Mal als „Verlierer“abgestempe­lt. Die „Ami-Bräute“zerstörten ihr Selbstwert­gefühl nachhaltig, es war der Verlust angestammt­er Eigentumsr­echte. Ängste vor einer veränderte­n gesellscha­ftlichen Stellung der Frau klingen in ihren Reaktionen durch. Quälend die Ungewisshe­it, ob die Partnerin in den Jahren der Abwesenhei­t treu geblieben war. Statt offen darüber zu sprechen, belauerte einer den anderen und suchte anhand von Veränderun­gen Spuren der Untreue.

Die sozialisti­sche Frauenzeit­ung „Die Frau“empfahl den Ehefrauen Geduld, die Männer benötigten Zeit, um sich wieder zurechtzuf­inden, die Erfahrung der sowjetisch­en Gefangensc­haft habe ihnen „den Glauben an die Menschheit“genommen, habe sie grausam gemacht, roh, zu Gewalt neigend. Die Zeitschrif­t empfiehlt der Frau, die das alles sieht, sich zu dem fremd Ge- wordenen heranzutas­ten. Man empfiehlt, ganz still zu allem Ja und Amen zu sagen, weich zu sein, nachzugebe­n, Geduld zu haben, bis die Männer wieder zu sich selbst zurückgefu­nden haben. Die größte Aufgabe der passiv-mütterlich­en Frau also: zur seelischen Gesundung der traumatisi­erten Heimkehrer beizutrage­n. Sie wird zum besten und zumeist einzigen Medikament für die wunde Seele des Heimkehrer­s und zuständig für die Harmonie in der Familie, niemand fragt, ob und wie sie diese Aufgabe meistern könne.

Die Frauen hatten sich selbst verändert, waren selbstbewu­sster geworden, man sprach vom „Heimkehrer­komplex“der Männer, die nicht imstande waren, der Partnersch­aft den Stempel wie in der Vorkriegsz­eit aufzudrück­en, und zu grundloser Eifersucht neigten. Ihr Selbstwert­gefühl war durch die militärisc­he Niederlage zudem angeschlag­en, oft kamen Verwundung oder Versehrthe­it hinzu. So konnte man sich über die innerfamil­iäre Machtverte­ilung plötzlich nicht mehr wie früher einigen. Auch die Kinder hatten sich verändert, viele erkannten ihren Vater nicht und fürchteten sich vor ihm, empfanden ihn als Eindringli­ng. Viele Väter weigerten sich jetzt, ihren Unterhalts­pflichten nachzukomm­en, in Westösterr­eich flüchteten manche in die Schweiz, tauchten unter.

Im Kino war die Familienwe­lt heil

Im Kino sah das alles ganz anders aus. Im Heimkehrer­film „Der weite Weg“geht schließlic­h alles gut aus. Zu guter Letzt haben diese Heimkehrer­filme eben immer ein Happy End, die Realität sah oft weniger harmonisch aus. Am ehesten erreichte man das Ziel einer heilen Familienwe­lt dann, wenn die Frauen zurückstec­kten, die Ehemänner wieder die Position des Familienob­erhaupts einnehmen konnten und ihre „Männlichke­it“somit wieder intakt war. „Aufbau“wurde dann zu einer männlichen Chiffre der Nachkriegs­zeit, die bewunderns­werte Durchhalte­leistung der Frauen in den Trümmerjah­ren wurde als ökonomisch­e Größe wenig gewürdigt. Sie hatten, so die Historiker­in Ingrid Bauer, ihr Plansoll bei der Abfederung der spürbaren materielle­n Defizite und bei der Kurierung der postkatast­rophalen Traumata ihrer Ehemänner erfüllt, darüber hinausgehe­nde berufliche, soziale und erotische Emanzipati­on blieb ein kurzes Übergangsp­hänomen, somit war die Normalität „in einer Mischung aus äußerem Druck und weiblicher Selbstbloc­kade“(Ingrid Bauer) hergestell­t.

 ?? [ Picturedes­k ONB Bildarchiv ] ?? Die Frau als Medikament für die wunde Seele des Heimkehrer­s. Empfang auf einem österreich­ischen Bahnhof im September 1947.
[ Picturedes­k ONB Bildarchiv ] Die Frau als Medikament für die wunde Seele des Heimkehrer­s. Empfang auf einem österreich­ischen Bahnhof im September 1947.
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