Die Neoliberalisierung der Freiheitlichen
Gastkommentar. Die FPÖ unterscheidet sich in ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik kaum von der ÖVP. Eine Chance für die SPÖ.
Am 1. Mai 2009, dem ersten Tag der Arbeit nach Ausbruch der Finanzkrise, hielt die FPÖ eine Kundgebung auf dem Linzer Urfahranermarkt ab. In diesem genau gewählten Setting verkündete Heinz-Christian Strache, dass „die Zeit der Yuppies, die auf Kosten anderer ihre Gewinne gemacht haben“vorüber sein müsse, dass man in einem System der Schandlöhne lebe. „Die einen sind eine Schande, weil sie so niedrig sind, dass sie zum Leben nicht reichen. Und die anderen sind wie bei den Managern schandhaft hoch.“
Die ärgsten Bettler säßen in den Führungsetagen der Banken. Strache lud Bundeskanzler Faymann zu einem runden Tisch über eine Millionärssteuer ein. Der Neoliberalismus, so Strache, sei genauso gescheitert wie der Marxismus (sprich die SPÖ), darum brauche es einen dritten Weg.
In den Folgejahren kampagnisierte die FPÖ gegen „Bank und Spekulant“sowie eine „EU der Konzerne“und dafür, Millionäre und Banken zur Kasse zu bitten. Von der Vermögensteuer distanzierte sich die Partei nach mehreren Pirouetten letztlich. Dafür wurde im Nationalratswahlkampf 2013 ein Mindestlohn von 1600 Euro gefordert sowie eine volle jährliche Wertanpassung aller Familienleistungen und Pensionen. Die FPÖ warb obendrein für eine drastische Senkung der Abgabenquote, und das ohne neue Schulden. Mehr Ausgaben, weniger Steuern plus Nulldefizit, das ist die Quadratur des Kreises.
Nein zum Freihandelsvertrag
Ein Blick in das Handbuch freiheitlicher Politik zeigt, dass die FPÖ parallel zu diesem tagespolitischen Brachialpopulismus durchaus versuchte, Bausteine für eine eigenständige Weltanschauung zusammenzutragen. Die Partei sprach sich gegen den Freihandelsvertrag TTIP aus, wollte in Schlüsselsektoren öffentliches Eigentum halten und lehnte die Senkung des Spitzensteuersatzes ab („regressive Abgabenbelastung sozialpolitisch hoch problematisch“). Die FPÖ unterstellte der ÖVP, sich nur Großbetrieben und Großbanken zu widmen. „Marktfundamentalismus und Monetarismus“seien jedoch „aus politisch-patriotischen Gründen“abzulehnen.
Das Handbuch zeichnete ein durchaus stimmiges Bild einer nationalistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Alle Einschränkungen nationaler Handlungsfähigkeit – und damit das Vorantreiben der Globalisierung – wurden abgelehnt. Das betraf den Freihandel genauso wie die EU. Der Staat soll schlank (Bürokratieabbau), aber gleichzeitig stark sein (pro öffentliches Eigentum), es soll auch zwischen Gebietskörperschaften Wettbewerb geben, das Steuersystem soll aber umverteilen. Die FPÖWirtschaftspolitik war mit ihrer national-protektionistischen Ausrichtung nahe dran an einem dritten Weg zwischen Sozialdemo-
kratie und Neoliberalismus. Die Partei verabsäumte es jedoch, aus diesen Ansätzen für ein eigenständiges ideologisches Gerüst widerspruchsfreie tagespolitische Forderungen abzuleiten.
Seit einigen Jahren setzen sich in der FPÖ, womöglich bestärkt durch manche regionale Regierungsbeteiligung, zunehmend marktliberale Überzeugungen durch. Die kürzliche Präsentation des Wirtschaftsprogramms besiegelt diesen Kurswechsel. Beim Thema Standort spricht die FPÖ direkt aus Arbeitgebersicht, wenn sie verlautbart, dass „für potenzielle Investoren die Zustände in Österreich erschreckend“sind. Unter allen „Schwächen“Österreichs stellt die FPÖ die geringe „Flexibilität bei der Lohnfestsetzung“an erste Stelle.
Das Kollektivvertragssystem, das Arbeitnehmern eine weltweit fast einmalige Sicherheit gibt, wird plötzlich infrage gestellt. Beim Thema Steuern will die Partei explizit weniger Umverteilung und möchte „stärker auf indirekte Steuern setzen“. Der Abtausch zwischen direkten Einkommensteuern, die Besserverdienende überproportional trifft, mit indirekten Verbrauchssteuern, die Ärmere überproportional hart spüren, ist ein Abschied von solidarischer Lastenverteilung im Steuersystem.
Zuletzt schlachtet die FPÖ eine heilige Kuh, wenn sie sich zu Freihandel und mehr internationaler Wirtschaftsverflechtung bekennt, weil Globalisierung zu günstigeren Preisen und wirtschaftlicher Stabilität führe. All dies ist ein deutlicher Bruch mit dem Handbuch, in dem es noch hieß, Freihandel sei kein Naturgesetz und stehe in Konflikt mit Humanität, Freiheit und Verteilungsgerechtigkeit.
FPÖ verliert Erkennbarkeit
Während die FPÖ an ihrem Wirtschaftsprogramm tüftelte, kam es parallel zu einer brisanten Entwicklung in der ÖVP. Der neue Chef, Sebastian Kurz, brachte sämtliche wirtschafts- und sozialpolitischen Fragestellungen – Steuerreform, Pflegeregress, Mindestsicherung, Pensionserhöhung – kon- sequent in Verbindung mit den Themen Migration und Asyl. Diese Umdeutung sozialer Fragen in kulturelle oder ethnische Probleme ist aber die Essenz des Rechtspopulismus. Mit dieser Hinwendung von Kurz zu einem „Rechtspopulismus mit Manieren“hat die FPÖ ihr gesellschaftspolitisches Alleinstellungsmerkmal verloren. Seitdem liegt die FPÖ in Umfragen deutlich hinter der Volkspartei.
Alle Ansätze eingestampft
Just in einer Situation, in der die Abgrenzung zur ÖVP schon schwierig geworden ist, übernimmt die FPÖ nun 1:1 deren wirtschaftspolitisches Programm. Die Freiheitlichen haben es, wie erwähnt, verabsäumt, eine national-protektionistische Wirtschaftspolitik als Alleinstellungsmerkmal vollständig zur Reife zu bringen. Jetzt stampft die Partei sogar alle diesbezüglichen Ansätze ein. Die FPÖ hat damit innerhalb weniger Monate sowohl ihre gesellschaftspolitische als auch ihre wirtschaftspolitische Erkennbarkeit eingebüßt. Sie unterscheidet sich praktisch nicht mehr von der ÖVP.
Das sind ideale Bedingungen für schwarz-blaue Koalitionsgespräche, aber nicht für einen blauen Wahlerfolg. Es wird der FPÖ nichts bringen, die ÖVP wirtschaftspolitisch zu kopieren. Das konservativ-wirtschaftsliberale Milieu wird den marktliberalen Schmied wählen, nämlich Kurz, und nicht den Schmiedel. Dafür öffnet die FPÖ mit ihrem neoliberalen Bekennerschreiben eine andere Flanke. Alle jene, die den Staat als Garanten ihrer wirtschaftlichen Existenz und ihres sozialen Status betrachten, werden die marktradikalen Töne nicht gutheißen.
Das ist die unerwartete Chance der Sozialdemokratie. Sie könnte jetzt gegen eine schwarz-blaue Einheitspartei polemisieren, weil das Programm beider Parteien quasi identisch ist: die Forcierung der exportgetriebenen Globalisierung Österreichs inklusive möglicher Eingriffe in die Kollektivverträge und eine von FPÖVP quasi paktierte 14-Mrd.-Steuersenkung inklusive entsprechend substanzieller staatlicher Leistungskürzungen. Das wirtschaftspolitische Programm der FPÖ ist ein unverhofftes Geschenk an die SPÖ, eine Aufforderung, diesen Wahlkampf exklusiv auf die soziale Frage zuzuspitzen. Die SPÖ hat sich jedoch noch nicht entschieden, ob sie dieses Geschenk annimmt oder lieber auf dem von FPÖ, ÖVP und Liste Pilz beackerten Themenfeld Migration, Asyl, Islam selbst ein paar populistische Punkte zu ergattern versucht.