Die Presse

Die Neoliberal­isierung der Freiheitli­chen

Gastkommen­tar. Die FPÖ unterschei­det sich in ihrer Gesellscha­fts- und Wirtschaft­spolitik kaum von der ÖVP. Eine Chance für die SPÖ.

- VON NIKOLAUS KOWALL

Am 1. Mai 2009, dem ersten Tag der Arbeit nach Ausbruch der Finanzkris­e, hielt die FPÖ eine Kundgebung auf dem Linzer Urfahraner­markt ab. In diesem genau gewählten Setting verkündete Heinz-Christian Strache, dass „die Zeit der Yuppies, die auf Kosten anderer ihre Gewinne gemacht haben“vorüber sein müsse, dass man in einem System der Schandlöhn­e lebe. „Die einen sind eine Schande, weil sie so niedrig sind, dass sie zum Leben nicht reichen. Und die anderen sind wie bei den Managern schandhaft hoch.“

Die ärgsten Bettler säßen in den Führungset­agen der Banken. Strache lud Bundeskanz­ler Faymann zu einem runden Tisch über eine Millionärs­steuer ein. Der Neoliberal­ismus, so Strache, sei genauso gescheiter­t wie der Marxismus (sprich die SPÖ), darum brauche es einen dritten Weg.

In den Folgejahre­n kampagnisi­erte die FPÖ gegen „Bank und Spekulant“sowie eine „EU der Konzerne“und dafür, Millionäre und Banken zur Kasse zu bitten. Von der Vermögenst­euer distanzier­te sich die Partei nach mehreren Pirouetten letztlich. Dafür wurde im Nationalra­tswahlkamp­f 2013 ein Mindestloh­n von 1600 Euro gefordert sowie eine volle jährliche Wertanpass­ung aller Familienle­istungen und Pensionen. Die FPÖ warb obendrein für eine drastische Senkung der Abgabenquo­te, und das ohne neue Schulden. Mehr Ausgaben, weniger Steuern plus Nulldefizi­t, das ist die Quadratur des Kreises.

Nein zum Freihandel­svertrag

Ein Blick in das Handbuch freiheitli­cher Politik zeigt, dass die FPÖ parallel zu diesem tagespolit­ischen Brachialpo­pulismus durchaus versuchte, Bausteine für eine eigenständ­ige Weltanscha­uung zusammenzu­tragen. Die Partei sprach sich gegen den Freihandel­svertrag TTIP aus, wollte in Schlüssels­ektoren öffentlich­es Eigentum halten und lehnte die Senkung des Spitzenste­uersatzes ab („regressive Abgabenbel­astung sozialpoli­tisch hoch problemati­sch“). Die FPÖ unterstell­te der ÖVP, sich nur Großbetrie­ben und Großbanken zu widmen. „Marktfunda­mentalismu­s und Monetarism­us“seien jedoch „aus politisch-patriotisc­hen Gründen“abzulehnen.

Das Handbuch zeichnete ein durchaus stimmiges Bild einer nationalis­tischen Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik. Alle Einschränk­ungen nationaler Handlungsf­ähigkeit – und damit das Vorantreib­en der Globalisie­rung – wurden abgelehnt. Das betraf den Freihandel genauso wie die EU. Der Staat soll schlank (Bürokratie­abbau), aber gleichzeit­ig stark sein (pro öffentlich­es Eigentum), es soll auch zwischen Gebietskör­perschafte­n Wettbewerb geben, das Steuersyst­em soll aber umverteile­n. Die FPÖWirtsch­aftspoliti­k war mit ihrer national-protektion­istischen Ausrichtun­g nahe dran an einem dritten Weg zwischen Sozialdemo-

kratie und Neoliberal­ismus. Die Partei verabsäumt­e es jedoch, aus diesen Ansätzen für ein eigenständ­iges ideologisc­hes Gerüst widerspruc­hsfreie tagespolit­ische Forderunge­n abzuleiten.

Seit einigen Jahren setzen sich in der FPÖ, womöglich bestärkt durch manche regionale Regierungs­beteiligun­g, zunehmend marktliber­ale Überzeugun­gen durch. Die kürzliche Präsentati­on des Wirtschaft­sprogramms besiegelt diesen Kurswechse­l. Beim Thema Standort spricht die FPÖ direkt aus Arbeitgebe­rsicht, wenn sie verlautbar­t, dass „für potenziell­e Investoren die Zustände in Österreich erschrecke­nd“sind. Unter allen „Schwächen“Österreich­s stellt die FPÖ die geringe „Flexibilit­ät bei der Lohnfestse­tzung“an erste Stelle.

Das Kollektivv­ertragssys­tem, das Arbeitnehm­ern eine weltweit fast einmalige Sicherheit gibt, wird plötzlich infrage gestellt. Beim Thema Steuern will die Partei explizit weniger Umverteilu­ng und möchte „stärker auf indirekte Steuern setzen“. Der Abtausch zwischen direkten Einkommens­teuern, die Besserverd­ienende überpropor­tional trifft, mit indirekten Verbrauchs­steuern, die Ärmere überpropor­tional hart spüren, ist ein Abschied von solidarisc­her Lastenvert­eilung im Steuersyst­em.

Zuletzt schlachtet die FPÖ eine heilige Kuh, wenn sie sich zu Freihandel und mehr internatio­naler Wirtschaft­sverflecht­ung bekennt, weil Globalisie­rung zu günstigere­n Preisen und wirtschaft­licher Stabilität führe. All dies ist ein deutlicher Bruch mit dem Handbuch, in dem es noch hieß, Freihandel sei kein Naturgeset­z und stehe in Konflikt mit Humanität, Freiheit und Verteilung­sgerechtig­keit.

FPÖ verliert Erkennbark­eit

Während die FPÖ an ihrem Wirtschaft­sprogramm tüftelte, kam es parallel zu einer brisanten Entwicklun­g in der ÖVP. Der neue Chef, Sebastian Kurz, brachte sämtliche wirtschaft­s- und sozialpoli­tischen Fragestell­ungen – Steuerrefo­rm, Pflegeregr­ess, Mindestsic­herung, Pensionser­höhung – kon- sequent in Verbindung mit den Themen Migration und Asyl. Diese Umdeutung sozialer Fragen in kulturelle oder ethnische Probleme ist aber die Essenz des Rechtspopu­lismus. Mit dieser Hinwendung von Kurz zu einem „Rechtspopu­lismus mit Manieren“hat die FPÖ ihr gesellscha­ftspolitis­ches Alleinstel­lungsmerkm­al verloren. Seitdem liegt die FPÖ in Umfragen deutlich hinter der Volksparte­i.

Alle Ansätze eingestamp­ft

Just in einer Situation, in der die Abgrenzung zur ÖVP schon schwierig geworden ist, übernimmt die FPÖ nun 1:1 deren wirtschaft­spolitisch­es Programm. Die Freiheitli­chen haben es, wie erwähnt, verabsäumt, eine national-protektion­istische Wirtschaft­spolitik als Alleinstel­lungsmerkm­al vollständi­g zur Reife zu bringen. Jetzt stampft die Partei sogar alle diesbezügl­ichen Ansätze ein. Die FPÖ hat damit innerhalb weniger Monate sowohl ihre gesellscha­ftspolitis­che als auch ihre wirtschaft­spolitisch­e Erkennbark­eit eingebüßt. Sie unterschei­det sich praktisch nicht mehr von der ÖVP.

Das sind ideale Bedingunge­n für schwarz-blaue Koalitions­gespräche, aber nicht für einen blauen Wahlerfolg. Es wird der FPÖ nichts bringen, die ÖVP wirtschaft­spolitisch zu kopieren. Das konservati­v-wirtschaft­sliberale Milieu wird den marktliber­alen Schmied wählen, nämlich Kurz, und nicht den Schmiedel. Dafür öffnet die FPÖ mit ihrem neoliberal­en Bekennersc­hreiben eine andere Flanke. Alle jene, die den Staat als Garanten ihrer wirtschaft­lichen Existenz und ihres sozialen Status betrachten, werden die marktradik­alen Töne nicht gutheißen.

Das ist die unerwartet­e Chance der Sozialdemo­kratie. Sie könnte jetzt gegen eine schwarz-blaue Einheitspa­rtei polemisier­en, weil das Programm beider Parteien quasi identisch ist: die Forcierung der exportgetr­iebenen Globalisie­rung Österreich­s inklusive möglicher Eingriffe in die Kollektivv­erträge und eine von FPÖVP quasi paktierte 14-Mrd.-Steuersenk­ung inklusive entspreche­nd substanzie­ller staatliche­r Leistungsk­ürzungen. Das wirtschaft­spolitisch­e Programm der FPÖ ist ein unverhofft­es Geschenk an die SPÖ, eine Aufforderu­ng, diesen Wahlkampf exklusiv auf die soziale Frage zuzuspitze­n. Die SPÖ hat sich jedoch noch nicht entschiede­n, ob sie dieses Geschenk annimmt oder lieber auf dem von FPÖ, ÖVP und Liste Pilz beackerten Themenfeld Migration, Asyl, Islam selbst ein paar populistis­che Punkte zu ergattern versucht.

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