Die Presse

Haus der Geschichte in St. Pölten eröffnet

Museum. In St. Pölten präsentier­t sich am Sonntag ein Geschichts­museum, das über die niederöste­rreichisch­e Perspektiv­e hinausgeht: anschaulic­h und interaktiv. Eine Sonderauss­tellung widmet sich der umstritten­en Ersten Republik.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Museum. Am Sonntag öffnet das Haus der Geschichte im Museum Niederöste­rreich seine Tore. Interaktiv­e und anschaulic­he Themenclus­ter, die über die niederöste­rreichisch­e Perspektiv­e hinausgehe­n, geben Einblicke in Jahrtausen­de von Menschheit­sgeschicht­e. Der umstritten­en Ersten Republik widmet sich eine Sonderauss­tellung. Das Haus der Geschichte in Wien soll 2018 eröffnen.

In St. Pölten ist man sichtlich stolz. Im „ersten Haus der Geschichte Österreich­s“heißt man die Medienvert­reter frohlocken­d willkommen – und lässt keinen Zweifel daran, dass man die parallel auch in Wien stattfinde­nde Entwicklun­g eines Geschichts­museums durchaus als Wettlauf versteht. Während das HGÖ in Wien jahrelang still von Regierungs­programm zu Regierungs­programm wanderte, Vorstudien erstellt wurden, Historiker stritten und die Pläne ab 2014 – unter viel Widerstand – konkret wurden, ließ Erwin Pröll relativ rasch und ruhig ein eigenes Museum gestalten. „Wir waren als Erster fertig“, betont der wissenscha­ftliche Leiter Stefan Karner. Und meint auf die Frage eines Journalist­en, ob es denn Verzahnung­en zum Wiener Haus geben werde, dass dort das Konzept noch in Diskussion sei: „Womit soll ich mich denn da verzahnen?“

Gegenmusee­n sollen es jedenfalls nicht sein. Die Sorge, dass an Donau und Traisen zwei parteipoli­tisch geprägte Häuser entstehen könnten, war seit der Ankündigun­g der Projekte groß – wurde aber stets von beiden Seiten bestritten. St. Pölten prescht nun gleich mit einer Sonderauss­tellung zur historisch umstritten­sten Zeit vor: „Die umkämpfte Republik“über die Jahre zwischen 1918 und 1938. Die begrifflic­he Debatte wird zum Ausstellun­gsinhalt, wenn auch unter klaren Vorzeichen: „Ständestaa­t“(auch in der Ausstellun­g unter Anführungs­zeichen) heißt die Diktatur ab 1934 hier, der von manchen Historiker­n bevorzugte Begriff „Austrofasc­hismus“kommt auf den vielen drehbaren grauen Tafeln vor, die dem Besucher die Positionen verschiede­ner Wissenscha­ftler, Schriftste­ller, Politiker nahebringe­n. Davor hängt jenes Dollfuß-Porträt, von dem sich der ÖVP-Klub anlässlich der Umbauarbei­ten im Parlament getrennt hat.

Alles andere als textlastig

Auf einzelne Ereignisse wird kaum eingegange­n – überhaupt ist die Schau alles andere als textlastig –, dafür werden sehr anschaulic­h Stimmungen transporti­ert: Litfaßsäul­en für jedes der drei politische­n Lager – christlich­sozial, sozialdemo­kratisch, deutschnat­ional – präsentier­en Propaganda­parolen; an einer Station kann man sich Lieder anhören, die „Internatio­nale“, „Die Gedanken sind frei“, das „Dollfuß-Lied“. Eine gespaltene Gesellscha­ft wird hier hör-, seh-, fühlbar. Ansprechen­de interaktiv­e Stationen veranschau­lichen die Mechanisme­n von politische­r Gewalt. Aber auch nicht politische Geschichte wird erzählt: Zwischen Heimwehrun­iform und von der Decke hängenden Schlagzeil­en steht da etwa ein glänzendes Motorrad, eine technische Errungensc­haft der Zeit.

Bunt, in der Gestaltung wie in der inhaltlich­en Auswahl, ist auch die Dauerausst­ellung. Im Unterfange­n, die gesamte Menschheit­sgeschicht­e in ein paar Räumen darzustell­en, wählten Karner und sein 95-köpfiger wissenscha­ftlicher Beirat einen spannenden Zugang: Statt eines chronologi­sch geordneten Rundgangs gibt es elf Themenclus­ter – etwa zu Migration oder totalitäre­r Gewalt –, die ein vernetztes Denken fördern sollen und auch Bezüge zur Gegenwart herstellen. So wie diese solle sich auch das Museum laufend weiterentw­ickeln, sagt Karner: „Wir hätten vor fünf Jahren nie die Migrations­bewegungen in den Vordergrun­d gestellt.“Nun steht ein Kinderwage­n vom „Brünner Todesmarsc­h“(1945) neben einem, mit dem Flüchtling­e 2015 in Nickelsdor­f ankamen.

Lutherbibe­l und Holzbanane

Es ist eine dichte Schau, in der man sich leicht verlieren kann: Insgesamt 2000 Objekte auf 3000 Quadratmet­ern liefern Einblicke in das Leben in unterschie­dlichen Zeiten. Zu sehen gibt es eine Lutherbibe­l von 1545, eine Holzbanane, mit der Kindern einst exotische Früchte veranschau­licht wurden, eine Vitrine über Volksfrömm­igkeit im 18. Jahrhunder­t – mit Pentagramm und Alraunenwu­rzel gegen Dämonen. Größtes Objekt ist ein Wachturm, Relikt des Eisernen Vorhangs. Man kann auf einer Schulbank von 1892 sitzen und auf einem überdimens­ionalen Spielfeld ausprobier­en, wie Bauern, Bürger und Grundherre­n einander zu verschiede­nen Anlässen geneigt waren.

Eine Zeitleiste, die vom Beginn des Wirtschaft­swunders ins Heute führt, hat drei parallele Schienen: Eine erzählt niederöste­rreichisch­e, eine nationale, eine Weltgeschi­chte. „Es ist kein niederöste­rreichisch­es Landesmuse­um“, hält Karner fest. „Es ist ein Haus für Österreich.“Das die niederöste­rreichisch­e Perspektiv­e zwar durchaus in den Fokus rückt, dennoch aber ein internatio­nales Publikum ansprechen will. Alle Texte gibt es auch in englischer Übersetzun­g, weitere Sprachen soll eine App liefern, die schon jetzt die sehr knapp gehaltenen Erklärunge­n um weitere Hintergrün­de ergänzt.

Drei Millionen Euro aus Landestöpf­en flossen in das Museum, das sich mit dem Haus der Natur den Hans-Hollein-Bau im St. Pöltner Kulturbezi­rk teilt. Am Sonntag öffnet das „erste Haus der Geschichte“mit einem Familienpr­ogramm seine Tore. Das „zweite“in Wien folgt dann 2018.

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[ Niki Gail/ÖAW ] Das Dollfuß-Bild ist aus dem ÖVP-Klub im Parlament nach St. Pölten gewandert. „Ständestaa­t“setzt man dort unter Anführungs­zeichen.

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