Horrorshow mit biblischen Plagen
Kino. Bei den Filmfestspielen von Venedig hat „Mother!“die Kritik gespalten, jetzt startet der Fantasy-Thriller in Österreich. Er stürzt Jennifer Lawrence in einen surrealen Psychostrudel.
Bei den Filmfestspielen von Venedig hat „Mother!“die Kritik gespalten, jetzt startet der Fantasythriller mit Jennifer Lawrence in Österreich.
Es war einmal ein Dichter, der lebte mit seiner Frau in einem Anwesen am grünen Rand der Welt. Obwohl sich die beiden ein trautes Heim eingerichtet hatten, wollte sich das Glück nicht einstellen. Denn der Dichter litt unter einer Schreibblockade. Selbst die bedingungslose Liebe seiner Frau konnte da nicht helfen. Eines Tages begegnete ihm beim Spaziergang ein großer Verehrer seiner Arbeit. Und weil das Gespräch ihn belebte, lud er ihn nach Hause ein. Die Freude seiner Partnerin über den Gast hielt sich in Grenzen. Nur ihrem Mann zuliebe fügte sie sich. Vielleicht wäre alles gut ausgegangen, wenn es bei diesem einen Besucher geblieben wäre. Aber schon bald stand wieder jemand vor der Tür.
Die Moral von der Geschicht? Gute Frage. So gut, dass sie alle anderen Fragen überflüssig macht. Zumindest wirkt es so, wenn man das mediale Rauschen rund um Darren Aronofskys jüngstes Kino-Kabinettstück „Mother!“– das Rufzeichen ist Absicht – über sich ergehen lässt. Denn wie obige Synopsis andeutet, stellt der Film seinen Parabelcharakter unverhohlen aus. Und seit seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig, wo er eine Schneise durch die versammelte Kritik zog, toben Online-Debatten über die „wahre“Bedeutung hinter den Symbolkapriolen des surrealistischen Fantasy-Thrillers.
Dabei lässt er einem beim Schauen kaum Zeit für Exegesen. Denn Aronofsky mag sich selbst als Orakelfilmer präsentieren – letztlich ist er vor allem ein Showman. Und „Mother!“folgt einer klassischen Eskalationsdramaturgie. Es beginnt mit (schein-)idyllischen Sze- nen einer Ehe: er (Javier Bardem) liebevoll, sie (Jennifer Lawrence) barfuß und voller Demut. Die Villa luftig und licht – aber auch labyrinthisch und ein bisschen unheimlich. Als der erste Gast (Ed Harris) aufkreuzt, fragt man sich womöglich noch, wo’s hingehen soll. Doch spätestens beim nächsten (genüsslich untergriffig: Michelle Pfeiffer) zieht der Psychostrudel an: Mit pulsierenden Herzen in der Wand, Fleischklumpen im Klo und sonstigem Horrorbudenzauber.
Gehetzte Kamera
Nun geht es Schlag auf Schlag. Die meisten Schläge muss die von Lawrence verkörperte Frauenfigur einstecken – zum Teil buchstäblich. Die gehetzte Kamera pickt ständig auf dem zwischen Besorgnis und Entsetzen oszillierenden Gesicht der Hauptdarstellerin (die seit den Dreharbeiten mit dem Regisseur liiert ist) und spart nicht mit Aufnahmen aus der Subjektiven. Wie bei Aronofskys schrillem Ballett-Reißer „Black Swan“muss man dabei an Paranoia-Klassiker von Roman Polanski denken; damals war’s „Repulsion“, hier eher „Rosemarys Baby“. Doch die relative Subtilität dieser Meisterwerke ist dem US-Autorenfilmer fremd. Er attackiert den Zuschauer frontal – und lässt es sich nicht nehmen, eine Apokalypse vom Zaun zu brechen, inklusive biblischer Plagen. Dass das Pandämonium in seiner überkandidelten Extravaganz mitreißt, kann man nicht leugnen.
Ist „Mother!“also ein übersteuertes Moralstück über eine Frauenseele, die vom Egorausch des Künstlergatten niedergewalzt wird? Das wäre nicht genug. Schon die ersten Einstellungen machen klar, dass es allegorisch gemeint ist – was bald von der Abwe- senheit „realistischen“menschlichen Verhaltens bekräftigt wird. Allerdings soll es nicht irgendein Schmalspursinnbild sein, nein: Aronofsky will die komplette Allegorie. In einem Schreibanfall habe er das Drehbuch zu Papier gebracht, sagt er in Interviews, alle seine Gefühle über den Zustand der Welt seien darin enthalten. Für ihn repräsentiert Lawrences Figur Mutter Erde. Die Außenwelt steht für die Hybris des Menschen. Und eine Neuinterpretation des Schöpfungsmythos bietet das Ganze auch. Alles schön und gut. Aber in erster Linie stellt „Mother!“das Musterexemplar eines modernen KunstfilmBlockbusters dar. Im Kino setzt es Stars und Theaterdonner, danach darf man über den Sinn der Sache rätseln. Und wenn sie keinen macht, baut man ihn sich selbst.