Die Presse

Horrorshow mit biblischen Plagen

Kino. Bei den Filmfestsp­ielen von Venedig hat „Mother!“die Kritik gespalten, jetzt startet der Fantasy-Thriller in Österreich. Er stürzt Jennifer Lawrence in einen surrealen Psychostru­del.

- VON ANDREY ARNOLD

Bei den Filmfestsp­ielen von Venedig hat „Mother!“die Kritik gespalten, jetzt startet der Fantasythr­iller mit Jennifer Lawrence in Österreich.

Es war einmal ein Dichter, der lebte mit seiner Frau in einem Anwesen am grünen Rand der Welt. Obwohl sich die beiden ein trautes Heim eingericht­et hatten, wollte sich das Glück nicht einstellen. Denn der Dichter litt unter einer Schreibblo­ckade. Selbst die bedingungs­lose Liebe seiner Frau konnte da nicht helfen. Eines Tages begegnete ihm beim Spaziergan­g ein großer Verehrer seiner Arbeit. Und weil das Gespräch ihn belebte, lud er ihn nach Hause ein. Die Freude seiner Partnerin über den Gast hielt sich in Grenzen. Nur ihrem Mann zuliebe fügte sie sich. Vielleicht wäre alles gut ausgegange­n, wenn es bei diesem einen Besucher geblieben wäre. Aber schon bald stand wieder jemand vor der Tür.

Die Moral von der Geschicht? Gute Frage. So gut, dass sie alle anderen Fragen überflüssi­g macht. Zumindest wirkt es so, wenn man das mediale Rauschen rund um Darren Aronofskys jüngstes Kino-Kabinettst­ück „Mother!“– das Rufzeichen ist Absicht – über sich ergehen lässt. Denn wie obige Synopsis andeutet, stellt der Film seinen Parabelcha­rakter unverhohle­n aus. Und seit seiner Premiere bei den Filmfestsp­ielen von Venedig, wo er eine Schneise durch die versammelt­e Kritik zog, toben Online-Debatten über die „wahre“Bedeutung hinter den Symbolkapr­iolen des surrealist­ischen Fantasy-Thrillers.

Dabei lässt er einem beim Schauen kaum Zeit für Exegesen. Denn Aronofsky mag sich selbst als Orakelfilm­er präsentier­en – letztlich ist er vor allem ein Showman. Und „Mother!“folgt einer klassische­n Eskalation­sdramaturg­ie. Es beginnt mit (schein-)idyllische­n Sze- nen einer Ehe: er (Javier Bardem) liebevoll, sie (Jennifer Lawrence) barfuß und voller Demut. Die Villa luftig und licht – aber auch labyrinthi­sch und ein bisschen unheimlich. Als der erste Gast (Ed Harris) aufkreuzt, fragt man sich womöglich noch, wo’s hingehen soll. Doch spätestens beim nächsten (genüsslich untergriff­ig: Michelle Pfeiffer) zieht der Psychostru­del an: Mit pulsierend­en Herzen in der Wand, Fleischklu­mpen im Klo und sonstigem Horrorbude­nzauber.

Gehetzte Kamera

Nun geht es Schlag auf Schlag. Die meisten Schläge muss die von Lawrence verkörpert­e Frauenfigu­r einstecken – zum Teil buchstäbli­ch. Die gehetzte Kamera pickt ständig auf dem zwischen Besorgnis und Entsetzen oszilliere­nden Gesicht der Hauptdarst­ellerin (die seit den Dreharbeit­en mit dem Regisseur liiert ist) und spart nicht mit Aufnahmen aus der Subjektive­n. Wie bei Aronofskys schrillem Ballett-Reißer „Black Swan“muss man dabei an Paranoia-Klassiker von Roman Polanski denken; damals war’s „Repulsion“, hier eher „Rosemarys Baby“. Doch die relative Subtilität dieser Meisterwer­ke ist dem US-Autorenfil­mer fremd. Er attackiert den Zuschauer frontal – und lässt es sich nicht nehmen, eine Apokalypse vom Zaun zu brechen, inklusive biblischer Plagen. Dass das Pandämoniu­m in seiner überkandid­elten Extravagan­z mitreißt, kann man nicht leugnen.

Ist „Mother!“also ein übersteuer­tes Moralstück über eine Frauenseel­e, die vom Egorausch des Künstlerga­tten niedergewa­lzt wird? Das wäre nicht genug. Schon die ersten Einstellun­gen machen klar, dass es allegorisc­h gemeint ist – was bald von der Abwe- senheit „realistisc­hen“menschlich­en Verhaltens bekräftigt wird. Allerdings soll es nicht irgendein Schmalspur­sinnbild sein, nein: Aronofsky will die komplette Allegorie. In einem Schreibanf­all habe er das Drehbuch zu Papier gebracht, sagt er in Interviews, alle seine Gefühle über den Zustand der Welt seien darin enthalten. Für ihn repräsenti­ert Lawrences Figur Mutter Erde. Die Außenwelt steht für die Hybris des Menschen. Und eine Neuinterpr­etation des Schöpfungs­mythos bietet das Ganze auch. Alles schön und gut. Aber in erster Linie stellt „Mother!“das Musterexem­plar eines modernen KunstfilmB­lockbuster­s dar. Im Kino setzt es Stars und Theaterdon­ner, danach darf man über den Sinn der Sache rätseln. Und wenn sie keinen macht, baut man ihn sich selbst.

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 ?? [ Paramount Pictures ] ?? Der schreibblo­ckierte Dichter (Javier Bardem) lädt sich Gäste ein – das ist seiner Frau (Jennifer Lawrence) von Anfang an nicht ganz geheuer. Sie soll recht behalten.
[ Paramount Pictures ] Der schreibblo­ckierte Dichter (Javier Bardem) lädt sich Gäste ein – das ist seiner Frau (Jennifer Lawrence) von Anfang an nicht ganz geheuer. Sie soll recht behalten.

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