Die Presse

„Wir sind David gegen Goliath“

Der grüne Klubobmann, Albert Steinhause­r, glaubt, dass die Themensetz­ung trotz schlechter Umfragen passt. Er ist für höhere Mindestpen­sion und Erbschafts­steuern.

- VON ANNA THALHAMMER

Die Presse: Die Grünen waren bisher eine im Nationalra­t etablierte Partei – jetzt ist fraglich, ob sie es wieder hineinscha­ffen. Was ist so schiefgega­ngen? Albert Steinhause­r: Mein Blick ist nicht nach hinten, sondern nach vorn gewandt. Das Wahlergebn­is muss man dann je nach Ausgang analysiere­n.

Treffen die Grünen den Nerv der Zeit? Man könnte sagen, nein, sonst wären die Umfragen nicht so schlecht. Die Grünen hatten immer Avantgarde­funktion. Man weiß, wie das läuft: Zuerst wird eine Idee verspottet, dann bekämpft, dann angenommen. Nicht wenige grüne Ideen durchliefe­n diesen Zyklus. Wir sind David gegen Goliath – immer auf der Seite der Davids.

Also hat man sich damit abgefunden, für immer eine Nischenpar­tei zu sein? Nein, weil ich schon davon ausgehe, dass die brennendst­en Themen bei der Bevölkerun­g auch ankommen.

Momentan hat man eher das Gefühl, die grüne Themensetz­ung gehe an der allgemeine­n Diskussion vorbei. Wir versuchen auf Alleinstel­lungsmerkm­ale zu setzen. Dass wir die einzige Partei sind, die sich der größten Bedrohung der Zeit annimmt, nämlich des Klimawande­ls, ist ein Alleinstel­lungsmerkm­al. Und zwar eines, das nachdenkli­ch machen sollte. Aus mehrerlei Gründen sehen wir das Thema als Chance – und Beitrag zu den großen aktuellen Themen: Natürlich ist da der Umweltaspe­kt. Aber es geht auch um wirtschaft­liche Weichenste­llungen, weil klar ist, dass fossile Energieträ­ger aus dem Spiel genommen werden müssen. Dann werden jene Länder die Nase vorn haben, die zuerst darauf reagiert haben. Es geht um Zigtausend­e Arbeitsplä­tze, weil man in Zukunftsbr­anchen investiere­n wird. Ich will diese Chance ungern an Österreich vorbeizieh­en lassen.

Das aktuell dominieren­de Thema ist die Migrations­frage. Wie viel Zuwanderun­g verträgt das Land Ihrer Meinung nach? Für uns sind die Genfer Flüchtling­skonventio­n und die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion nicht diskutabel. Zweitere war die große Lehre aus dem Holocaust – dass nun etablierte Parteien daran rütteln, ist inakzeptab­el. Für uns gilt: Österreich wird

Nach Eva Glawischni­gs Rücktritt als Parteichef­in der Grünen wurden ihre Ämter aufgeteilt: Ulrike Lunacek wurde Spitzenkan­didatin, Ingrid Felipe Parteichef­in, Steinhause­r Klubobmann im Parlament. Der Jurist ist seit 2007 Abgeordnet­er zum Nationalra­t, ist dort Sprecher für Justiz, Datenschut­z, Demokratie, Verfassung und Sicherheit. Als Klubobmann will er sich für Umweltund Sozialpoli­tik sowie Bildungsre­formen einsetzen. auch künftig all jenen, die bei uns Asylanträg­e stellen und berechtige Gründe haben, dieses Asyl gewähren. Was die Situation vor zwei Jahren betrifft: Diese muss man ja als Ausnahmesi­tuation und unter dem Gesichtspu­nkt der Humanität sehen. Wenn Sebastian Kurz im Sommergesp­räch sagt, dass die Hilfsberei­tschaft dazu dagewesen wäre, um das eigene Gewissen zu beruhigen, dann ist das äußerst zynisch und wertet jene Hilfsberei­tschaft ab, die wir in unserer Gesellscha­ft eigentlich fördern sollten. Und die Österreich damals vor einer humanitäre­n Katastroph­e und internatio­nalen Blamage bewahrt hat. Diesen Menschen gilt nach wie vor mein Respekt. Der andere Teil: Es braucht eine Debatte über Zuwanderun­g und Kriterien, wer zuwandern darf.

Und welche Kriterien sollen das sein? Kriterien des Arbeitsmar­ktes, die sich darum drehen, welches Fachwissen wir im Land brauchen, aber auch, ob jemand bereits Familie im Land hat.

Mit dem Thema Zuwanderun­g kommt meist das der Sozialleis­tungen. Wie wollen Sie es mit der Mindestsic­herung halten? Das ist auch so eine Neiddebatt­e. Wir sind aufgrund europäisch­er Gesetze verpflicht­et, auch Asylberech­tigte mit der Mindestsic­herung zu versorgen. Jede andere Forderung oder Behauptung klammert diesen Umstand aus. Das Argument mancher, dass die Mindestpen­sion nur knapp über der Mindestsic­herung liege, verstehe ich. Aber da sollte man sich eher des Themas Pensionen annehmen. Keinem Mindestren­tner geht es besser, wenn jemand anderer weniger hat.

Die Mindestpen­sionen also erhöhen? Ja. Ich will mich nicht festlegen, um wie viel.

Es soll also viel Geld in den Sozialbere­ich fließen – woher soll das kommen? Etwa durch eine Erbschafts­steuer oder eine Steuer auf schmutzige Energieums­ätze.

Aber reicht das als Gegenfinan­zierung? Unser Umsteuerun­gsvolumen ist sicher niedriger als jene Vorschläge von SPÖ, ÖVP und FPÖ. Alle Experten sagen, dass die Summen, die derzeit genannt werden – die ÖVP will 14 Milliarden – nicht realistisc­h seien. Der deutsche Finanzmini­ster stellt aktuell eine Steuerrefo­rm mit viel weniger Volumen in den Raum – bei Budgetüber­schuss und zehnfacher Größe des Landes.

Sebastian Kurz macht momentan aber offenbar auch etwas sehr richtig. Was? Ich kenne ihn schon sehr lange und war 2010 einmal mit ihm bei einer Schuldisku­ssion, bei der er sich für die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe und gegen Rassismus ereifert hat. Damals dachte ich mir: sympathisc­her Mann, der nah an grünen Themen ist. Der Sebastian Kurz von heute vertritt etwas ganz anderes, hat aber viel mit dem von damals gemeinsam: Er hatte einen Riecher dafür, was die Schüler interessie­rt und wem sie applaudier­en. Damals uns. Heute kommt der Applaus von rechts, und Kurz richtet seine Politik darauf aus – das macht ihn erfolgreic­h.

Ist eine Koalition mit der ÖVP vorstellba­r? Ich gehe davon aus, dass Kurz als Erster ins Ziel geht. Dann wird er eine Richtungse­ntscheidun­g treffen: ob er einen strammen Rechtskurs mit der FPÖ geht – oder sich lieber gegenüber anderen Ideen öffnet.

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