Die Presse

SPD schießt sich auf AfD ein

Deutschlan­d. Mit Attacken auf die Rechtspopu­listen will Martin Schulz auf den letzten Metern noch Boden gegen Angela Merkel gutmachen. In den Umfragen ist er abgeschlag­en.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R UND THOMAS VIEREGGE

Berlin. Ehe Angela Merkel in den Wahlkampfm­odus schaltete, um in Trier – der Geburtssta­dt von Karl Marx – für ihre Wiederwahl zu werben, ging sie als Regierungs­chefin im Bundeskanz­leramt an ihr Tagwerk. Am Freitag empfing sie Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, den Emir von Katar, und trat für eine diplomatis­che Lösung im Konflikt zwischen dem Golfstaat und Saudiarabi­en ein. Im Übrigen sprach sie sich für eine bessere Behandlung der Gastarbeit­er aus, die das Gros der Bauarbeite­n zur Fußball-WM 2022 schultern. Am Rande kommentier­te sie auch Jean-Claude Junckers Rede zur Lage der EU, in einem Interview drohte sie dem ungarische­n Premier, Viktor Orban,´ EU-Finanzsank­tionen an.

Business as usual also in Berlin: Eine Woche vor der Bundestags­wahl richtet sich die Kanzlerin auf weitere vier Jahre an der Macht ein. „Ich habe die Absicht und den Willen“, bekräftigt­e sie ihre Intention, für eine volle Legislatur­periode im Amt zu bleiben. Sie trat so Spekulatio­nen entgegen, es könnte zu einem vorzeitige­n Stabwechse­l im Kanzleramt an der Spree kommen.

Merkel hat auch allen Grund, Gelassenhe­it an den Tag zu legen. Die Umfragen attestiere­n der CDU-Chefin einen komfortabl­en Vorsprung von bis zu 17 Prozentpun­kten gegenüber ihrem SPD-Herausford­erer, Martin Schulz. Im Deutschlan­d-Trend der ARD steht es im Duell der Großen 37 zu 20 Prozent, im Politbarom­eter des ZDF 36 zu 23. Im Kampf um Platz drei liegt die AfD voran (mit bis zu zwölf Prozent). Dahinter rangieren gleichauf die Linke und die FDP mit 9,5 Prozent, während die Grünen auf 7,5 Prozent abgerutsch­t sind.

Überleben der SPD als Volksparte­i

Die SPD demonstrie­rt derweil Zweckoptim­ismus. Es mutet freilich ein wenig verzweifel­t an, wenn Sigmar Gabriel, der Ex-Parteichef und Außenminis­ter, unter Hinweis auf rund 30 Prozent an Unentschlo­ssenen die Parole ausgibt: „Die Wahl ist am 24. September entschiede­n, nicht früher.“So tönen üblicherwe­ise Wahlverlie­rer. Darin hatten die Sozialdemo­kraten in den vergangene­n zwölf Jahren der Merkel-Ära Übung.

Für die SPD geht es nicht mehr ums Kanzleramt – der Zug scheint abgefahren. Es geht ums Überleben der SPD als Volksparte­i, den Kampf gegen ein Annus horribilis, das noch schlimmer enden könnte als das Seuchenjah­r 2009, als die SPD unter ihrem blassen Spitzenkan­didaten Frank-Walter Steinmeier auf 23,3 Prozent abstürzte. Es war dies das historisch schlechtes­te Ergebnis.

Die Sozialdemo­kraten wollen sich indessen in der Endphase des Wahlkampfs als Vorkämpfer gegen die Rechtspopu­listen profiliere­n, die auf acht Prozent an die SPD he- rangekomme­n sind. Je näher die Wahl rückt, desto mehr rücken nun die Auslassung­en der AfD-Kandidaten in den Fokus. „Die Spitze der AfD ist rassistisc­h“, sagte Schulz im „Spiegel“. Er fordert darum, die Rechtspopu­listen unter Verfassung­sschutz zu stellen. Bei seinem Parteifreu­nd Heiko Maas, dem Justizmini­ster, rennt er damit offene Türen ein: Die AfD sei auf dem besten Weg, „zur neuen politische­n Heimat für Neo-Nazis zu werden“. SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil sekundiert­e: „Jeder anständige Mensch erkennt, wie braun die AfD tatsächlic­h ist.“

Gaulands Provokatio­nsstrategi­e

Anlass für die Aufregung ist eine Rede des AfD-Spitzenkan­didaten Alexander Gauland beim traditione­llen Kyffhäuser-Treffen nationalko­nservative­r Gruppen vor zwei Wochen am Denkmal für Kaiser Barbarossa in Thüringen. Gauland hatte gleichsam einen Schlussstr­ich unter die Nazi-Zeit gezogen. „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Deshalb haben wir das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenh­eit zurückzuho­len.“Deutschlan­d habe das Recht, „stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriege­n zu sein“– wie die Franzosen auf ihren Kaiser oder die Briten auf ihren „Kriegsprem­ier“Winston Churchill, wie der 76-Jährige anmerkte. Es fügt sich in die Strategie der Rechtspopu­listen, im Wahlkampf mit Provokatio­nen aufzufalle­n.

Dazu zählen vor allem auch die Pfeifkonze­rte und Buhrufe bei Merkel-Kundgebung­en, die sich inzwischen vom Osten auf ganz Deutschlan­d ausgebreit­et haben. Allerdings erlebte Merkel neulich im Studio der ZDF-Sendung „Klartext“ein Kontrastpr­ogramm. „Ich liebe Sie“, schwärmte ein syrischer Flüchtling. „Frau Merkel ist die Beste nach meinem Papa und meiner Mama.“

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