Die Presse

Die Wiedergebu­rt der griechisch­en Sozialdemo­kratie

Analyse. Die totgesagte Pasok-Partei hat sich unter ihrer Chefin, Fofi Gennimata, geöffnet und zieht als neuformier­tes Demokratis­ches Bündnis Kleinparte­ien links der Mitte an.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

Athen. Totgesagte leben länger: Die griechisch­e linke Mitte scheint endlich den Schock ihres Zusammenbr­uchs im Gefolge der Schuldenkr­ise zu überwinden und zu einer gemeinsame­n Stimme zu finden. Das sozialdemo­kratische Lager, das sich nach dem Schwächean­fall der Panhelleni­schen Sozialisti­schen Bewegung (Pasok) in Kleinparte­ien zersplitte­rte, steht vor der Einigung. Gelingt die Übung, dann kommt für das „radikale“ Linksbündn­is Syriza von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras eine gefährlich­e Konkurrenz bei den nächsten Wahlen auf.

Wachgeküss­t hat die fragmentie­rte linke Mitte ausgerechn­et Fofi Gennimata, die Parteichef­in der längst totgesagte­n Pasok. Erstens schaffte es die wenig charismati­sche Tochter eines einst führenden Pasok-Politikers, die Partei zu stabilisie­ren. Die Pasok hatte noch 2009, vor gerade einmal acht Jahren also, mit 44 Prozent der Stimmen den Ministerpr­äsidenten Giorgos Papandreou gestellt. Im Jänner 2015 lag sie bei 4,6 Prozent, bedrohlich knapp an der Drei-Prozent-Hürde für den Einzug in das Parlament. Noch im selben Jahr, bei den Wahlen im September 2015, brachte die neue Parteichef­in die Pasok auf über sechs Prozent. In der Folge machte Gennimata erste kleine Schritte einer Öffnung zu anderen Minipartei­en und Bewegungen, die Pasok benannte sich zum Demokratis­chen Bündnis um.

Den großen Schritt ins Ungewisse unternahm Gennimata aber kurz vor der Sommerpaus­e 2017. Die Chefin des Demokratis­chen Bündnisses lud alle interessie­rten Politiker der linken Mitte ein, an der Wahl um die Parteispit­ze teilzunehm­en – also auch parteifrem­de Politiker. Und im langen Sommer ging es Schlag auf Schlag: Zunächst kündigte der beliebte Athener Bürgermeis­ter, Giorgos Kaminis, seine Kandidatur an – und dann, Ende August, auch Stavros Theodoraki­s, Chef der Parlaments­partei To Potami (Der Fluss). Auch die Bewegung der demokratis­chen Sozialiste­n von Ex-Ministerpr­äsident Giorgos Papandreou, die sich von der Pasok abgespalte­n hatte und im Jänner 2015 auf 2,5 Prozent der Stimmen gekommen war, klinkte sich in den Prozess ein – Papandreou selbst wird allerdings nicht antreten.

Noch wird zwar um die Details der Wahl gestritten, die Anfang Oktober stattfinde­t. Doch durch die Beteiligun­g von Kaminis und Theodoraki­s ist bereits jetzt gelungen, was lange unmöglich schien – eine Öffnung der Pasok, der leicht verkalkten „alten Dame“der griechisch­en Politik.

Tsipras gießt Öl ins Feuer

Wie genau Premier Tsipras die Entwicklun­g in der linken Mitte beobachtet, zeigen seine Wortmeldun­gen zum Thema: Vergangene­s Wochenende meinte er spitz, dass es doch seltsam sei, wenn das Demokratis­che Bündnis erst den Chef wähle und später über Inhalte diskutiere. Er sagte aber auch, dass sich der neue Parteichef entscheide­n müsse, ob er seine Partei nach rechts, das heißt zu einer Koalition mit den Konservati­ven, oder nach links, zu einer Zusammenar­beit mit Syriza führen wolle.

Gennimata freilich sieht ihre Partei bereits als unabhängig­e „dritte Kraft“. Sie könnte nicht ganz unrecht haben. Syriza schöpfte stark aus dem Reservoir der alten Pasok; Millionen Syriza-Wähler haben eine Pasok-Vergangenh­eit. Nach dem Schwenk von Tsipras zum politische­n Realismus und zur Exekutieru­ng der Sparmemora­nden könnte ihm ein Teil dieser Wählerscha­ft wieder davonlaufe­n.

Tsipras verglich sich in einem Artikel auch mit Pasok-Gründer Andreas Papandreou, für viele der „Urvater“des griechisch­en Linkspopul­ismus. Gern übernehme Syriza das Erbe der „revolution­ären“Pasok der Anfangsjah­re – Gennimata sah er allerdings in der Tradition des „neoliberal­en“Schwenks der Partei unter Kostas Simitis und seinen Nachfolger­n, die er für den Zusammenbr­uch der Partei verantwort­lich macht.

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