Die Wiedergeburt der griechischen Sozialdemokratie
Analyse. Die totgesagte Pasok-Partei hat sich unter ihrer Chefin, Fofi Gennimata, geöffnet und zieht als neuformiertes Demokratisches Bündnis Kleinparteien links der Mitte an.
Athen. Totgesagte leben länger: Die griechische linke Mitte scheint endlich den Schock ihres Zusammenbruchs im Gefolge der Schuldenkrise zu überwinden und zu einer gemeinsamen Stimme zu finden. Das sozialdemokratische Lager, das sich nach dem Schwächeanfall der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) in Kleinparteien zersplitterte, steht vor der Einigung. Gelingt die Übung, dann kommt für das „radikale“ Linksbündnis Syriza von Ministerpräsident Alexis Tsipras eine gefährliche Konkurrenz bei den nächsten Wahlen auf.
Wachgeküsst hat die fragmentierte linke Mitte ausgerechnet Fofi Gennimata, die Parteichefin der längst totgesagten Pasok. Erstens schaffte es die wenig charismatische Tochter eines einst führenden Pasok-Politikers, die Partei zu stabilisieren. Die Pasok hatte noch 2009, vor gerade einmal acht Jahren also, mit 44 Prozent der Stimmen den Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou gestellt. Im Jänner 2015 lag sie bei 4,6 Prozent, bedrohlich knapp an der Drei-Prozent-Hürde für den Einzug in das Parlament. Noch im selben Jahr, bei den Wahlen im September 2015, brachte die neue Parteichefin die Pasok auf über sechs Prozent. In der Folge machte Gennimata erste kleine Schritte einer Öffnung zu anderen Miniparteien und Bewegungen, die Pasok benannte sich zum Demokratischen Bündnis um.
Den großen Schritt ins Ungewisse unternahm Gennimata aber kurz vor der Sommerpause 2017. Die Chefin des Demokratischen Bündnisses lud alle interessierten Politiker der linken Mitte ein, an der Wahl um die Parteispitze teilzunehmen – also auch parteifremde Politiker. Und im langen Sommer ging es Schlag auf Schlag: Zunächst kündigte der beliebte Athener Bürgermeister, Giorgos Kaminis, seine Kandidatur an – und dann, Ende August, auch Stavros Theodorakis, Chef der Parlamentspartei To Potami (Der Fluss). Auch die Bewegung der demokratischen Sozialisten von Ex-Ministerpräsident Giorgos Papandreou, die sich von der Pasok abgespalten hatte und im Jänner 2015 auf 2,5 Prozent der Stimmen gekommen war, klinkte sich in den Prozess ein – Papandreou selbst wird allerdings nicht antreten.
Noch wird zwar um die Details der Wahl gestritten, die Anfang Oktober stattfindet. Doch durch die Beteiligung von Kaminis und Theodorakis ist bereits jetzt gelungen, was lange unmöglich schien – eine Öffnung der Pasok, der leicht verkalkten „alten Dame“der griechischen Politik.
Tsipras gießt Öl ins Feuer
Wie genau Premier Tsipras die Entwicklung in der linken Mitte beobachtet, zeigen seine Wortmeldungen zum Thema: Vergangenes Wochenende meinte er spitz, dass es doch seltsam sei, wenn das Demokratische Bündnis erst den Chef wähle und später über Inhalte diskutiere. Er sagte aber auch, dass sich der neue Parteichef entscheiden müsse, ob er seine Partei nach rechts, das heißt zu einer Koalition mit den Konservativen, oder nach links, zu einer Zusammenarbeit mit Syriza führen wolle.
Gennimata freilich sieht ihre Partei bereits als unabhängige „dritte Kraft“. Sie könnte nicht ganz unrecht haben. Syriza schöpfte stark aus dem Reservoir der alten Pasok; Millionen Syriza-Wähler haben eine Pasok-Vergangenheit. Nach dem Schwenk von Tsipras zum politischen Realismus und zur Exekutierung der Sparmemoranden könnte ihm ein Teil dieser Wählerschaft wieder davonlaufen.
Tsipras verglich sich in einem Artikel auch mit Pasok-Gründer Andreas Papandreou, für viele der „Urvater“des griechischen Linkspopulismus. Gern übernehme Syriza das Erbe der „revolutionären“Pasok der Anfangsjahre – Gennimata sah er allerdings in der Tradition des „neoliberalen“Schwenks der Partei unter Kostas Simitis und seinen Nachfolgern, die er für den Zusammenbruch der Partei verantwortlich macht.