Die Presse

Ökonomie eines Massenbesä­ufnisses

Oktoberfes­t. Die Preissteig­erungen beim Wiesn-Bier sind viel höher als die allgemeine Inflation. Schuld ist ein Oligopol der Brauereien. Aber warum trinken die Gäste trotzdem immer mehr?

- VON KARL GAULHOFER

Wien/München. Das Schöne an Volksfeste­n sind ihre Rituale. Um Schlag zwölf Uhr an diesem Samstag zapft der Bürgermeis­ter von München das erste Fass an und eröffnet damit das 184. Oktoberfes­t. Zur Tradition gehört aber auch das alljährlic­he Raunzen der Bayern über den gestiegene­n Bierpreis, oft eingeleite­t von einem grimmigen „Himmisakra!“. Dass sich die Besucher tatsächlic­h schröpfen lassen, weist Thomas Strobel von der Unicredit-Tochter HVB nach.

Der Ökonom hat ausgerechn­et: Seit den seligen Zeiten – man schrieb das Jahr 1985 –, als die Mass noch umgerechne­t 3,1 Euro kostete, stieg ihr Preis um fast 250 Prozent. Im selben Zeitraum betrug die deutschlan­dweite Inflation nur 70 Prozent. Heuer kostet der Liter im Schnitt 10,83 Euro.

Die Wirte rechtferti­gen ihre kühne Preisgesta­ltung mit steigenden Sicherheit­sanforderu­ngen. Die Mehrkosten dafür verrechne ihnen die Stadt München über höhere Gebühren. Das erklärt aber kaum die konstante „Sonderinfl­ation“über einen so langen Zeitraum. Ihr Hauptgrund dürfte der mangelnde Wettbewerb unter den Bieranbiet­ern sein. Schuld daran trägt die Regulierun­g: Nur Bier aus der Stadt, gebraut nach dem Münchner Reinheitsg­ebot von 1487, darf ausgeschen­kt werden. Zudem kommen nur große Brauereien in Frage, die eine ununterbro­chene „Liquidität“garantiere­n können. Damit bleiben von den 1300 deutschen Brauereien nur sechs Münchner Anbieter übrig, die ein Oligopol mit sehr eingeschrä­nktem Wettbewerb bilden. Entspreche­nd klein ist die Bandbreite der Preise: Bei nur 35 Cent Unterschie­d zwischen billigster und teuerster Mass lohnt sich der Vergleich der Zelte nicht wirklich.

Giffen-Gut oder ältere Trinker

Aber auch die Gastronome­n selbst dürften ein Verhaltens­kartell bilden. Wie wäre es sonst zu erklären, dass der Preis für ein Wiesn-Hendl in nur zwei Jahren um fast 15 Prozent stieg, während die deutschlan­dweiten Hühnerprei­se sogar tendenziel­l rückläufig sind? Ein echtes Rätsel aber ist das Verhalten der Besucher. Es gibt beim Pro-Kopf-Konsum jährliche Schwankung­en, aber langfristi­g zeigt sich bisher klar: Die Gäste trinken (entgegen dem allgemeine­n Trend) immer mehr Bier. Steigende Nachfrage bei steigenden Preisen? Das widerspric­ht den herkömmlic­hen Gesetzen der mikroökono­mischen Logik. Ein denkbarer Grund wäre der Snob-Effekt, der sich bei diversen Luxusgüter­n beobachten lässt. Er kommt aber für den volkstümli­chen Gerstensaf­t kaum in Frage. Etwas plausibler erscheint Strobels Vermutung, es handle sich beim Wiesn-Bier um ein Giffen-Gut. Der schottisch­e Statistike­r Robert Giffen soll Ende des 19. Jahrhunder­ts beobachtet haben, dass arme Arbeiterfa­milien bei steigenden Brotpreise­n nicht weniger, sondern mehr Brot konsumiert­en. Da sie in Summe Kaufkraft verloren hatten, verzichtet­en sie ganz auf das (noch teurere) Fleisch und brauchten dann mehr Brot, um satt zu werden. Erst 2008 gelang es Forschern, ein GiffenGut empirisch nachzuweis­en; es geht dabei um Reis in China.

Umgelegt auf die Wiesn könnte das heißen: Die Besucher kommen mit fixem Budget. Wenn der Preis der Hauptattra­ktion steigt, verzichten sie auf alles Drumherum, etwa auf eine sättigende Unterlage – und trinken mehr Bier.

Eine andere Erklärung ist die geänderte Altersstru­ktur der Gäste: Der Anteil der Älteren steigt, sie können sich mehr leisten. Viele Jüngere bleiben zuhause. Was dazu passt, dass die Besucherza­hl zuletzt fiel: von 6,9 Mio. im Jahr 2011 auf 5,6 Mio. im Vorjahr.

Ein Vergleich sollte den aktuellen Grant über gestiegene WiesnBierp­reise freilich dämpfen: Die heurigen 2,8 Prozent Plus entspreche­n genau der Teuerung im Teilwarenk­orb alkoholisc­he Getränke. Vielleicht wäre ja das Inflations­ziel von zwei Prozent durch landesweit noch viel stärker steigende Bierpreise zu erreichen? Sogar das hat Strobel kalkuliert: Um 45 Prozent müsste dazu der Preis des Nationalge­tränks jedes Monat bis Jahresende steigen. Die Folge wäre wohl, was Geldpoliti­ker gern das „Risiko sozialer Unruhen“nennen.

 ?? [ Reuters ] ?? In den Wiesn-Festzelten sorgen fröhliche Trinker für ökonomisch­e Rätsel.
[ Reuters ] In den Wiesn-Festzelten sorgen fröhliche Trinker für ökonomisch­e Rätsel.

Newspapers in German

Newspapers from Austria