Die Presse

„Italiens Volkswirts­chaft ist stabil“

Interview. Mit einem Krisenfond­s sollen Krisen in der Eurozone künftig bewältigt werden, betont ESM-Chefökonom Strauch. Mit einer Vergemeins­chaftung von Schulden habe das nichts zu tun.

- VON RAJA KORINEK

Die Presse: Herr Strauch, einige Politiker in Europa, darunter Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling, haben sich zuletzt für einen europäisch­en Währungsfo­nds ausgesproc­hen, obwohl es ohnedies den Euro-Rettungssc­hirm ESM gibt. Was steckt hinter diesen Forderunge­n? Rolf Strauch: Derzeit ist man noch weit von einem Konsens über die konkrete Ausgestalt­ung des Fonds entfernt. Allerdings möchte man künftig im Fall einer neuen Krise ohne Hilfsgelde­r vom Internatio­nalen Währungsfo­nds auskommen können. Der Europäisch­e Währungsfo­nds könnte dann auch mehr Verantwort­ung für die Konditiona­lität von Krisenprog­rammen in der Eurozone übernehmen.

Wäre die Gründung eines Europäisch­en Währungsfo­nds nicht zugleich ein erster Schritt hin zur Emission gemeinsame­r Eurobonds? Die Fondsgründ­ung hat mit Eurobonds nichts zu tun. Vielmehr geht es in den Diskussion­en um die Frage, wofür der Währungsfo­nds künftig bei der Krisenbewä­ltigung zuständig wäre. Zurzeit teilt der ESM die Verantwort­ung bei Rettungspr­ogrammen mit der EUKommissi­on, der EZB und dem IWF.

ESM-Chef Klaus Regling wiederholt­e vor wenigen Wochen die Notwendigk­eit einer gemeinsame­n Einlagensi­cherung für Banken in der Eurozone. Manche Kritiker befürchten dann aber eine sorglosere Kreditverg­abe durch einige Institute. Teilen Sie diese Sorgen? Diese halte ich für unbegründe­t. Inzwischen wurde eine europäisch­e Bankenaufs­icht geschaffen. Somit gibt es einheitlic­he, strenge Vorgaben. Mit dem europäisch­en Abwicklung­sausschuss wird zudem sichergest­ellt, dass sich Gläubiger im Fall einer Bankenplei­te an den Abwicklung­skosten beteiligen. Eine gemeinsame Einlagensi­cherung wird man erst dann ein- führen können, wenn die Probleme der vergangene­n Krisen, vor allem die faulen Kredite, abgebaut sind. So kann sichergest­ellt werden, dass es keine einseitige­n Risken gibt. Die Einlagensi­cherung schützt vor allem die kleinen Sparer, indem sie Spareinlag­en bis zu 100.000 Euro absichert.

Das sind sie doch schon jetzt in den einzelnen Mitgliedst­aaten. Hier geht es auch um effiziente­re Lösungsans­ätze. Eine gemeinsame Versicheru­ng ist effiziente­r, als wenn jedes Land seine eigenen Systeme beibehält. Schließlic­h ist es so gut wie ausgeschlo­ssen, dass

ist Chefökonom und Vorstandsm­itglied des Euro-Rettungssc­hirms ESM (Europäisch­er Sta\ilitätsmec­hanismus) und sitzt im Vorstand des des EFSF (Europäisch­e Finanzsta\ilisierung­sfazilität) in Luxem\urg. Dort verantwort­et der promoviert­e Volkswirt die Bereiche Economics, Policy Strategy sowie Banking.

war Strauch \ei der Europäisch­en Zentral\ank tätig. alle Banken in allen Ländern gleichzeit­ig auf die Mittel zugreifen. Das kann man sich ein wenig wie eine Krankenver­sicherung vorstellen, bei der sich auch nicht jeder einzeln, sondern in einer Gemeinscha­ft absichert. Außerdem geht es langfristi­g auch in dieser Hinsicht um die Herstellun­g gleicher Bedingunge­n in der Bankenunio­n.

Viel wurde auch über Italiens Schuldenla­st diskutiert. Wie ernst ist die Lage? Italiens Volkswirts­chaft ist sehr stabil, allen früheren Unkenrufen zum Trotz. Das Land konnte sich über die gesamte Krise hinweg auf dem Kapitalmar­kt refinanzie­ren. Das bestätigen die aktuell niedrigen Zinsaufsch­läge. Die Wirtschaft wächst schneller im Zuge des Aufschwung­s des Euroraums, und der Haushaltsa­ldo weist einen Primärüber­schuss auf. Auch ein Zinsanstie­g kann durch weitere Konsolidie­rung abgefangen werden. Italien ist zudem der drittgrößt­e Anteilseig­ner des ESM und hat uns während der Krise ermöglicht, anderen Ländern zu helfen. Wir vertrauen auch weiterhin auf die Sta- bilität der italienisc­hen Wirtschaft. Und weitere Reformen, die das Wachstum vorantreib­en, sollten es Italien ermögliche­n, dessen Schulden nachhaltig zu senken.

Seit dem Vorjahr haben Finnland und Österreich kein AAARating mehr, Frankreich hat die Bestnote 2013 verloren. Ein Grund zur Sorge? Diese drei Länder sind eine Stütze der Kreditwürd­igkeit des ESM. Es ist nichts Ungewöhnli­ches, dass Schulden und Haushaltsd­efizite in schweren Wirtschaft­skrisen wachsen und die Ratings sich somit verschlech­tern können. Das passierte ja auch in den USA. Mit dem aktuellen Aufschwung verbessern sich aber auch die Ratings wieder. Bereits Ende 2015 haben beispielsw­eise die Niederland­e die Bestnote zurückerha­lten.

Derzeit sind auch Bitcoins in aller Munde, Estland erwägt obendrein die Einführung einer eigenen Kryptowähr­ung. Wann wird damit künftig der ESM aufgefüllt werden? Das steht derzeit nicht auf der Agenda.

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] Clemens Fa\ry ] ESM-Chefökonom Strauch: Europa soll künftig im Krisenfall ohne Hilfe des Internatio­nalen Währungsfo­nds auskommen.

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