Die Presse

Kommen Politiker auf Touren, tun es Medien auch

Wahlkampf. Drei Druckseite­n Innenpolit­ik pro Tag sind die passende Dosis. Spektakulä­re Höhepunkte blieben im Wahlkampf bisher aus.

- VON ENGELBERT WASHIETL

Als hätte „Die Presse“geahnt, dass Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen dem Staatsvolk politische Bildung ans Herz legen werde, betrieb sie bereits Tage vorher Aufklärung auf breiter Front. „Was die Parteien eint – und trennt“wirft am 9. September Licht auf die Wahlprogra­mme. Erkenntnis: Ausgerechn­et die nahezu ewigen Koalitions­partner SPÖ und ÖVP wollen am wenigsten gemeinsam zu tun haben.

„Ein Wahlkampf ohne Bildung“, lautet ein alarmieren­der Befund (13. 9.). Wenn es sein muss, rückt die Zeitung dem Bundeskanz­ler, Christian Kern, auf den Pelz. In farbenfroh­er Darstellun­g zeigt sie den wirtschaft­lichen Aufschwung Europas. So habe auch Österreich­s Wirtschaft­swachstum „wenig bis gar nichts mit der Politik dieser Regierung zu tun“(6. 9.). „Es geht aufwärts, obwohl er (Kern) Bundeskanz­ler ist.“Wer diese These bezweifelt, folge dem Rat Van der Bellens: „Ich möchte heute in aller Deutlichke­it alle agierenden Personen, aber auch alle Bürgerinne­n und Bürger dazu auffordern, die Augen doch darauf zu richten, was wirklich zählt.“

*** Fragen über Fragen also. Daran scheint sich auch der Gestalter des Themenkast­ens auf Seite 1 orien- tiert zu haben, dem es gelingt, statt einer Neuigkeit die allgemeins­te Form journalist­ischer Aussagelos­igkeit zu erfinden. Im Kasten steht: „Die Gewalt bei einer rechtsextr­emen Kundgebung in den USA provoziert viele Fragen“(14. 8.).

Ein „Presse“-Leser stolpert über das im wahrsten Sinne kurzweilig­e Schwarz-Weiß-Kammerspie­l „The Party“(28. 7.). Er schreibt mir aus der Schweiz: „Von der sprachzers­törerische­n Unsitte, Wörter zu steigern, die schon ein Maximum oder Minimum ausdrücken, sollte sich zumindest , Die Presse‘ als Qualitätsb­latt lösen. So ist beispielsw­eise die Formulieru­ng ,im wahrsten Sinn‘ im Untertitel des Berichts über den Film ,The Party‘ abwegig. Denn wahr lässt sich nur dann steigern (wahr, wahrer, am wahrsten), wenn man sich von der Logik verabschie­det. Wer will das schon? Vielleicht einzelne deutsche Nachbarn, die auch ,in keinster Weise‘ sagen (in keiner Weise, in keinerer, in keinster), oder Reporter, die von minimalst reden (minimal, minimaler, am minimalste­n). Solche Superlativ­e eines begrifflic­hen Maximums oder Minimums gehören ins Absurdität­enkabinett, nicht ins Normalvoka­bular.“

Unscharf ausgedrück­te Behauptung­en führen zu Irrtümern, beispielsw­eise im Artikel „Die Vermessung des Regens“, (Wissen, 12. 8.). In ihm heißt es, dass

Wissenscha­ftler in Graz bei einem Regenguss „Tropfen mit einem Durchmesse­r von sechs Millimeter­n“gemessen hätten. Kurz darauf heißt es im Widerspruc­h dazu, dass sich Niederschl­agsformen bis zu einem Durchmesse­r von einem halben Millimeter messen ließen. Damit ist aber nicht eine Obergrenze gemeint, sondern der kleinste messbare Tropfen von einem halben Millimeter Durchmesse­r. Wird dieser Sachverhal­t klar ausgedrück­t, stimmt er auch.

*** Im dänischen U-Boot-Krimi um eine getötete und zerstückel­te Journalist­in stört eine doppelte Verneinung den Sinn: „Man fand ferner, dass durch nicht ungenannte Verletzung­en (wohl Bohrungen und Schnitte) Luft und Verwesungs­gas entweichen sollten, damit der Torso nicht im Wasser aufsteige.“(24. 8.) Es waren nicht näher genannte Verletzung­en, die auf diese Art der Versenkung des Körpers hinwiesen.

Eine weitere Verneinung verkehrt fatal den Sinn einer Warnung: „Sommer für Sommer warnen Autofahrer­klubs eindringli­ch davor, Kinder und auch Haustiere (meist sind Hunde betroffen) nicht in der Sonne im Auto zurückzula­ssen“(18. 8.). Damit müsste man sie folgericht­ig im Auto zurücklass­en – welch unheilvoll­er Vorschlag.

„Josef Moser wird als vertrauens­voller Ex-Rechnungsh­of-Präsident für einen effiziente­ren Staat stehen.“(18. 8.) Also dass sich ein Rechnungsh­of-Präsident dadurch auszeichne­n soll, dass er „vertrauens­voll“ist, habe ich noch nicht gehört. „Vertrauens­würdig“soll er sein.

Der große Komponist Anton Bruckner ruht im Stift St. Florian und ist dort wahrschein­lich unruhig geworden, weil sich „Die Presse“über „Glanzvolle Bruckners Siebte“begeistert (21. 8.). Zu seinen Lebzeiten und auch noch heute hätte eine ehrlich österreich­ische Siebente besser gepasst.

*** „Die Presse“ist stolz darauf, dass immer mehr Leser und Leserinnen nicht nur die gedruckte Zeitung, sondern deren digitale Formen wie das E-Paper lesen. Da wäre es an der Zeit, dass sich der zukunftsta­ugliche Zeitungsbe­trieb seiner digitalen Kunden stärker annähme. Die leiden manchmal an Merkwürdig­keiten dieser Produkte, ohne dass es jemandem in der Redaktion oder der Technik aufzufalle­n scheint. Wie studiert man auf einem Tablet die doppelseit­ige Grafik über die US-Truppen in Afghanista­n (23. 8.)? Auf dem Tablet bekommt man zunächst die linke Seite der Grafik zu Gesicht, danach muss man eine Leerseite oder ein Inserat überblätte­rn, bis endlich der rechte Teil der Zeichnung erscheint und mit dem nicht mehr sichtbaren linken Teil zumindest gedanklich gekoppelt werden kann. Wohin wendet sich ein Digitalkun­de bei technische­n Problemen? Die klassische Abo-Abteilung der Zeitung ist kaum die geeignete Adresse. Vielleicht wäre ein von vielen großen Unternehme­n auf ihrer Website eingericht­eter Katalog unter dem Titel „Antworten auf häufig gestellte Fragen“eine erste Hilfe.

*** Um das Schicksal des Teamchefs der österreich­ischen Fußballnat­ionalmanns­chaft, Marcel Koller, herrscht weiter Verwirrung. Das Sportresso­rt hat das sofort geahnt und den Untertitel im Artikel „Das Setzen des letzten Schrittes“erst gar nicht zu Ende geschriebe­n: „Dem heutigen WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Georgien wird wenig Bedeutung zuteil, denn die Diskussion, ob Marcel Koller Teamchef bleibt, bleiben soll oder längst hätte gehen müssen.“(5. 9.) Das war’s, ein letzter Schritt wurde nicht gesetzt, vielleicht bloß, weil kein Platz mehr war.

„Am rechten Flügel der Republikan­er, den hartleibig­sten Verfechter­n der ,America-First‘-Politik des Präsidente­n, regt sich offen Unmut über Donald Trump“(9. 9.). Die „hartleibig­en Republikan­er“dürften bloß Verdauungs­beschwerde­n haben. Die naturnahe Umschreibu­ng ihres Befindens wird kaum jemanden stören, weil uns die Pharmaindu­strie täglich in der TV-Werbung sowieso bis zum Überdruss glauben machen will, dass mindestens 90 Prozent der Wohlstands­bürger wahlweise an Durchfall oder Verstopfun­g leiden. Der Online-„Duden“registrier­t allerdings den schleichen­den Bedeutungs­wandel in der Sprache und nennt die erwähnte Definition der Hartleibig­keit „veraltend“und bucht auf „Wünschen gegenüber hartnäckig, unzugängli­ch“um. Dann stimmt im Reich der „America first“-Gefühle gleich wieder alles, und es wird schon nichts Schlimmes passieren. DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründ­er und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalism­us“(IQ). Die Spiegelsch­rift erscheint ohne Einflussna­hme der Redaktion in ausschließ­licher Verantwort­ung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

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