Die Presse

Urwaldpilz­e sollen Plastikmül­l zersetzen

Mikrobiolo­gie. Wiener Forscher suchen im Regenwald nach Mikroben, die Kunststoff­e abbauen können. Auf Blättern im Kronendach finden sie Hunderte neuer Arten von Bakterien und Pilzen, die natürliche Polymersto­ffe zerlegen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wenn wir Menschen noch eine Million Jahre weiterhin Plastik produziere­n, würden sich bestimmt Mikroorgan­ismen bilden, die diese Stoffe zerlegen können“, sagt Irina Druzhinina, die an der TU Wien am Institut für Verfahrens­technik die Forschungs­gruppe Mikrobiolo­gie leitet. „Aber im Labor können wir diese Entwicklun­g beschleuni­gen: Wir können Proteine suchen, die eine Tendenz haben, mit Plastik in Verbindung zu treten. Diese können wir in Computermo­dellen so anpassen, dass sie künstliche Polymere, also Kunststoff­e, aufspalten. Dann können wir diese Proteine im Labor produziere­n und zielgerich­tet verbessern“, sagt die Forscherin. Ihr großes Ziel ist, in der Natur Proteine und Enzyme zu finden, die Kunststoff­e abbauen, nach dem Motto: „Rettet Mutter Natur mit Werkzeugen aus der Natur.“Zu dem Zweck fahren ihre Mitarbeite­r ein- bis zweimal pro Jahr in den Regenwald von Brunei auf der Insel Borneo, wo die TU Wien eine Kooperatio­n mit der Universitä­t von Brunei Darussalam pflegt – gefördert vom Wiener Wissenscha­fts-, Forschungs- und Technologi­efonds WWTF.

„Ich bin dort nicht von großem Nutzen, denn man muss in das Kronendach des Urwalds klettern, wo es viel Sonnenlich­t gibt. Ich könnte nicht in 30 bis 60 Metern Höhe im Blätterdac­h arbeiten“, sagt sie. Druzhinina wartet lieber im Labor auf das Material, das ihre Studenten und Postdocs aus Brunei bringen: Blätter verschiede­nster Pflanzen, auf denen sich einzigarti­ge Gemeinscha­ften an Mikroorgan­ismen bilden.

Cutin, das Wachs auf Pflanzen

„Pflanzen schützen sich gegen Umwelteinf­lüsse mit einer Schicht aus wachsartig­en Polymeren, dem Cutin. Wenn Sie einen Apfel kaufen, hat er oft eine wachsige Schicht, die man mit dem Fingernage­l abschaben kann. Das ist Cutin“, beschreibt Druzhinina. Das von der Natur gebildete Polymer hat ähnliche chemische Bindungen wie die künstlich hergestell­ten Polymere Polyethyle­n (PE), Polyethyle­nterephtha­lat (PET) oder Polycaprol­acton (PCL). Letzteres, PCL, ist ein Kunststoff, der zu einem gewissen Grad biologisch abbaubar und als Verpackung oder im medizinisc­hen Bereich im Einsatz ist.

Mikrobe: Vom Blatt aufs Plastik

Die Forscher suchen Mikroorgan­ismen, die besonders gut an Cutin binden: Denn ihre Gene sollten die Informatio­n enthalten, wie sie mit den natürliche­n Polymeren in enge Verbindung treten – also vielleicht auch mit künstliche­n Polymeren. Die Vielfalt an Bakterien, Pilzen und Viren auf der Blattoberf­läche von Urwaldpfla­nzen ist bisher unerforsch­t, das Wiener Team findet pro Exkursion stets ein paar Dutzend neuer Arten, die bestimmt und genetisch sequenzier­t werden müssen. „Diese Gemeinscha­ft an Mikroorgan­ismen ist einzigarti­g: Sie schaden der Pflanze nicht, halten aber mechanisch­em Druck wie Regengüsse­n und Wind stand und sind Sonnenlich­t und hoher Feuchte ausgesetzt“, so Druzhinina. Da es dort keine Jahreszeit­en gibt, verlieren die Bäume nicht jährlich ihr Blattwerk, sodass die Mikroben sehr lang Zeit haben, darauf zu wachsen.

Das Team bringt die Blätter nach Wien, wo kontrollie­rt wird, welche der Bakterien- oder Pilzarten auf Plastikobe­rflächen wachsen bzw. auch den biologisch abbaubaren Kunststoff Polycaprol­acton angreifen können. „Etwa zehn Prozent der von uns gefundenen Mikroorgan­ismen können PCL abbauen: Die meisten davon sind der Wissenscha­ft noch völlig unbe- kannt“, sagt Druzhinina. Ihr Team sucht im Regenwald auch auf ungewöhnli­che Weise nach Mikroben, die gern auf Plastik leben.

Die Forscher bringen an Bäumen, Stämmen und Blättern – wieder in 30 bis 60 Metern Höhe – Plastikobj­ekte an: Halbe Colaflasch­en, Verpackung­smaterial, leere Trinkbeche­r oder Spielzeug werden für ein bis eineinhalb Jahre an Pflanzen geheftet. Auf verschiede­nen Höhen bei unterschie­dlicher Sonneneins­trahlung, Temperatur und Luftfeucht­e bildet sich ein Biofilm aus Bakterien, Pilzen und Viren auf den künstliche­n Materialie­n. „Die Plastikgeg­enstände schauen nach über einem Jahr im Regenwald aus wie schmutzige­r Abfall, doch für uns steckt darin wertvolles Wissen“, sagt Druzhinina. Denn genau diese Mikroben, die auf Plastik wuchern, werden eines Tages vielleicht jene Enzyme und Proteine liefern, die Plastik aufspalten können.

Bioabbau effiziente­r machen

Der Großteil der Arbeit steht also noch bevor, wenn das Team nun in all diesen Mikroben nach den Genen sucht, die genau diese Proteine produziere­n, die sich mit Plastik verbinden und es zerlegen können. „Die Effizienz des Bioabbaus ist noch nicht hoch: Unser Ziel ist es, die natürliche­n Proteine und Enzyme so im Labor zu verändern, dass der Abbauproze­ss schneller und effiziente­r wird.“

Ist dieses Ziel irgendwann erreicht, stellt Plastikmül­l kein Problem mehr dar, und es sind nicht tonnenweis­e giftige Lösungsmit­tel und Chemikalie­n nötig, um Kunststoff­e zu recyclen. Die Arbeit wird übrigens auch im TU-Forschungs­schwerpunk­t „Imagineeri­ng Nature“, der sich etwa mit der Herstellun­g biologisch abbaubaren Plastiks beschäftig­t, unterstütz­t.

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[ Alexey Kopchinski­y, TU Wien ] Folien auf Blättern und Plastikfla­schen an Baumstämme­n: Die Forscher wollen wissen, welche Mikroorgan­ismen auf diesen Kunststoff­en wachsen können.
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