Urwaldpilze sollen Plastikmüll zersetzen
Mikrobiologie. Wiener Forscher suchen im Regenwald nach Mikroben, die Kunststoffe abbauen können. Auf Blättern im Kronendach finden sie Hunderte neuer Arten von Bakterien und Pilzen, die natürliche Polymerstoffe zerlegen.
Wenn wir Menschen noch eine Million Jahre weiterhin Plastik produzieren, würden sich bestimmt Mikroorganismen bilden, die diese Stoffe zerlegen können“, sagt Irina Druzhinina, die an der TU Wien am Institut für Verfahrenstechnik die Forschungsgruppe Mikrobiologie leitet. „Aber im Labor können wir diese Entwicklung beschleunigen: Wir können Proteine suchen, die eine Tendenz haben, mit Plastik in Verbindung zu treten. Diese können wir in Computermodellen so anpassen, dass sie künstliche Polymere, also Kunststoffe, aufspalten. Dann können wir diese Proteine im Labor produzieren und zielgerichtet verbessern“, sagt die Forscherin. Ihr großes Ziel ist, in der Natur Proteine und Enzyme zu finden, die Kunststoffe abbauen, nach dem Motto: „Rettet Mutter Natur mit Werkzeugen aus der Natur.“Zu dem Zweck fahren ihre Mitarbeiter ein- bis zweimal pro Jahr in den Regenwald von Brunei auf der Insel Borneo, wo die TU Wien eine Kooperation mit der Universität von Brunei Darussalam pflegt – gefördert vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF.
„Ich bin dort nicht von großem Nutzen, denn man muss in das Kronendach des Urwalds klettern, wo es viel Sonnenlicht gibt. Ich könnte nicht in 30 bis 60 Metern Höhe im Blätterdach arbeiten“, sagt sie. Druzhinina wartet lieber im Labor auf das Material, das ihre Studenten und Postdocs aus Brunei bringen: Blätter verschiedenster Pflanzen, auf denen sich einzigartige Gemeinschaften an Mikroorganismen bilden.
Cutin, das Wachs auf Pflanzen
„Pflanzen schützen sich gegen Umwelteinflüsse mit einer Schicht aus wachsartigen Polymeren, dem Cutin. Wenn Sie einen Apfel kaufen, hat er oft eine wachsige Schicht, die man mit dem Fingernagel abschaben kann. Das ist Cutin“, beschreibt Druzhinina. Das von der Natur gebildete Polymer hat ähnliche chemische Bindungen wie die künstlich hergestellten Polymere Polyethylen (PE), Polyethylenterephthalat (PET) oder Polycaprolacton (PCL). Letzteres, PCL, ist ein Kunststoff, der zu einem gewissen Grad biologisch abbaubar und als Verpackung oder im medizinischen Bereich im Einsatz ist.
Mikrobe: Vom Blatt aufs Plastik
Die Forscher suchen Mikroorganismen, die besonders gut an Cutin binden: Denn ihre Gene sollten die Information enthalten, wie sie mit den natürlichen Polymeren in enge Verbindung treten – also vielleicht auch mit künstlichen Polymeren. Die Vielfalt an Bakterien, Pilzen und Viren auf der Blattoberfläche von Urwaldpflanzen ist bisher unerforscht, das Wiener Team findet pro Exkursion stets ein paar Dutzend neuer Arten, die bestimmt und genetisch sequenziert werden müssen. „Diese Gemeinschaft an Mikroorganismen ist einzigartig: Sie schaden der Pflanze nicht, halten aber mechanischem Druck wie Regengüssen und Wind stand und sind Sonnenlicht und hoher Feuchte ausgesetzt“, so Druzhinina. Da es dort keine Jahreszeiten gibt, verlieren die Bäume nicht jährlich ihr Blattwerk, sodass die Mikroben sehr lang Zeit haben, darauf zu wachsen.
Das Team bringt die Blätter nach Wien, wo kontrolliert wird, welche der Bakterien- oder Pilzarten auf Plastikoberflächen wachsen bzw. auch den biologisch abbaubaren Kunststoff Polycaprolacton angreifen können. „Etwa zehn Prozent der von uns gefundenen Mikroorganismen können PCL abbauen: Die meisten davon sind der Wissenschaft noch völlig unbe- kannt“, sagt Druzhinina. Ihr Team sucht im Regenwald auch auf ungewöhnliche Weise nach Mikroben, die gern auf Plastik leben.
Die Forscher bringen an Bäumen, Stämmen und Blättern – wieder in 30 bis 60 Metern Höhe – Plastikobjekte an: Halbe Colaflaschen, Verpackungsmaterial, leere Trinkbecher oder Spielzeug werden für ein bis eineinhalb Jahre an Pflanzen geheftet. Auf verschiedenen Höhen bei unterschiedlicher Sonneneinstrahlung, Temperatur und Luftfeuchte bildet sich ein Biofilm aus Bakterien, Pilzen und Viren auf den künstlichen Materialien. „Die Plastikgegenstände schauen nach über einem Jahr im Regenwald aus wie schmutziger Abfall, doch für uns steckt darin wertvolles Wissen“, sagt Druzhinina. Denn genau diese Mikroben, die auf Plastik wuchern, werden eines Tages vielleicht jene Enzyme und Proteine liefern, die Plastik aufspalten können.
Bioabbau effizienter machen
Der Großteil der Arbeit steht also noch bevor, wenn das Team nun in all diesen Mikroben nach den Genen sucht, die genau diese Proteine produzieren, die sich mit Plastik verbinden und es zerlegen können. „Die Effizienz des Bioabbaus ist noch nicht hoch: Unser Ziel ist es, die natürlichen Proteine und Enzyme so im Labor zu verändern, dass der Abbauprozess schneller und effizienter wird.“
Ist dieses Ziel irgendwann erreicht, stellt Plastikmüll kein Problem mehr dar, und es sind nicht tonnenweise giftige Lösungsmittel und Chemikalien nötig, um Kunststoffe zu recyclen. Die Arbeit wird übrigens auch im TU-Forschungsschwerpunkt „Imagineering Nature“, der sich etwa mit der Herstellung biologisch abbaubaren Plastiks beschäftigt, unterstützt.