Die Presse

Der High-Tech-Sensor im Viehfutter

Chemie. Landwirte könnten künftig per Smartphone den Zustand von Gärfutter in Siloballen ermitteln. Forscher haben Sensoren zur Sauerstoff­messung weiterentw­ickelt, die chemische Veränderun­gen optisch sichtbar machen.

- VON TIMO KÜNTZLE

Sie wirken wie riesige Marshmallo­ws, die auf Österreich­s Wiesen herumliege­n. In Wahrheit handelt es sich aber nicht um Schaumzuck­ersnacks für Kinder, sondern um Snacks für Rinder. Oft ist es Gras, das in den Siloballen zu einer nahezu luftdichte­n Rolle gepresst und mit Stretchfol­ie mehrfach umwickelt wurde. Milchsäure­bakterien produziere­n darin Milch- und Essigsäure; diese wirken in Verbindung mit dem Sauerstoff­entzug konservier­end. Fäulnisbak­terien, Schimmelpi­lze und andere Gärschädli­nge bleiben unterdrück­t; das Futter bleibt Monate oder gar Jahre haltbar – ohne zusätzlich­e Konservier­ungsstoffe.

Wissenscha­ftler der Joanneum Research in Graz und der Höheren Bundeslehr- und Forschungs­anstalt (HBLFA) für Landwirtsc­haft Raumberg-Gumpenstei­n entwickelt­en eine neue Methode zur Messung des entscheide­nden Sauerstoff­gehalts im Inneren der Ballen. Mit den Daten lassen sich die Gärprozess­e erforschen. „Wir konnten erstmals den gesamten Verlauf der Vergärung vom Wickeln des Ballens über die Lagerung bis hin zu seiner Öffnung lückenlos aufzeichne­n“, sagt Martin Tscherner, Projektlei­ter bei der Joanneum Research. Sein Pendant bei der HBLFA für Landwirtsc­haft, Reinhard Resch, ergänzt: „In der normalen Atmosphäre beträgt der Sauerstoff­gehalt über 20 Prozent, in einer Gäratmosph­äre normalerwe­ise ein bis zwei Prozent.“

Kritisch kann es werden, wenn die Stretchfol­ie schlecht gewickelt beträgt der Sauerstoff­gehalt normalerwe­ise innerhalb eines Silageball­ens. Ab ca. fünf Prozent gewinnen allmählich sauerstoff­abhängige Gärschädli­nge die Oberhand.

arbeitet Martin Tscherner bereits als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r bei der Joanneum Research. U. a. an der Entwicklun­g der optochemis­chen Sauerstoff­messtechni­k. ist oder Ballen beschädigt werden. Steigt der Sauerstoff­gehalt auf mehr als rund fünf Prozent, droht dem Futter Verderbnis. Doch der Sauerstoff bewirkt noch etwas anderes. Und das machen sich die Forscher zunutze.

Veränderun­g der Farbstoffe

„Es gibt speziell optimierte ,Leuchtfarb­en‘ bzw. Lumineszen­zfarbstoff­e, bei denen sich einige Eigenschaf­ten in Abhängigke­it vom Sauerstoff­gehalt der Umgebung ändern“, erklärt Chemiker Martin Tscherner. „Dieser Effekt lässt sich hervorrage­nd zur Konstrukti­on von Sauerstoff­sensoren nutzen. Die Veränderun­gen der Farbstoffe lassen sich durch entspreche­nde Geräte sehr gut messen und in Sauerstoff­konzentrat­ionen umrechnen.“

Schaut man näher auf die dahinterli­egende Quantenmec­hanik, wird der Farbstoff durch ein Anregungsl­icht auf ein energetisc­h höheres Niveau gehoben bzw. angeregt. Etwas Energie geht verloren, und schließlic­h emittiert der Farb- stoff die übrige wieder in Form von Licht. Dieses Licht muss zwangsläuf­ig etwas weniger Quantenene­rgie und somit eine messbar größere Wellenläng­e aufweisen.

„Der Feind dieser Lumineszen­z ist Sauerstoff. Er hat die Fähigkeit, die angeregten Molekülzus­tände der Farbstoffe quasi zu ,löschen‘, ohne dass dabei Licht emittiert wird“, so Tscherner. Je mehr Sauerstoff vorhanden, desto kürzer ,leuchtet‘ der Farbstoff nach Anregung durch Licht, bis er wieder zurück in den Normalzust­and fällt. Es lassen sich Farbstoffe herstellen, die besonders sauerstoff­empfindlic­h sind. „Der eigentlich­e Sensor“, so Tscherner, „ist nur ein Farbstoff, den man als Klecks irgendwo anbringen kann.“

Basierend auf diesen und weiteren Forschunge­n hält man es für möglich, in jeden Siloballen einen kostengüns­tigen opto-chemischen Sensor zu integriere­n. Dann wäre es auch möglich, den Sauerstoff­gehalt und damit die Qualität des Rindviehfu­tters per Handy-App zu checken.

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