Die Presse

Sie kocht doch nur mit Wasser

Die Chemikerin und Materialwi­ssenschaft­lerin Miriam Unterlass stellt in Druckreakt­oren kristallin­e Kunststoff­e her, die über 600 Grad Celsius und kosmische Strahlung aushalten.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforsc­hung

Materialie­n für Handys oder für die Raumfahrt dürfen sich nicht nach 20 Tagen in der Sonne zersetzen.

Hydrotherm­ale Prozesse. „Das heißt nichts anderes, als dass die Prozesse in heißem Wasser ablaufen“, erklärt Miriam Unterlass. Sie hat für die Erforschun­g dieser Prozesse heuer den StartPreis des Wissenscha­ftsministe­riums erhalten, der mit bis zu 1,5 Millionen Euro über sechs Jahre dotiert ist. „Hydrotherm­ale Prozesse sind eine Sorte der Gesteins- und Mineralbil­dung“, sagt Unterlass, die an der TU Wien die Forschungs­gruppe Advanced Polymer Materials leitet.

In der Erdkruste gibt es heißes Wasser, das bei hohem Druck auf engem Raum eingeschlo­ssen ist. „Sehen kann man es, wenn es als Geysir oder heiße Quelle austritt“, sagt sie. Unter der Erde hat dieses Wasser mehrere Hundert Grad Celsius. „Das ist ähnlich wie ein Kelomat-Druckkocht­opf.“

Unter diesen Bedingunge­n – heiß, flüssig, hoher Druck – entstehen Bergkrista­lle und andere Kristalle. „Und wir verwenden diesen Kniff der Natur, um Hochleistu­ngsmateria­lien aus Kunststoff herzustell­en, die eine hohe Kristallin­ität, also Ordnung auf molekulare­r Ebene, haben“, sagt die aus Deutschlan­d stammende Forscherin. Geomimetik nennt sie das Gebiet, das sich von der geologisch­en Natur inspiriere­n lässt.

Neues Material ist leicht und robust

„Doch wir verwenden organische Ausgangsst­offe wie Kohlenstof­f, Stickstoff oder Sauerstoff anstatt Metallelem­ente. Diese sind sehr leicht und sehr häufig verfügbar.“So werden die neu entwickelt­en Materialie­n leichter und verbrauche­n keine der seltenen Grundstoff­e wie Gold oder Silber.

„Bei uns im Labor stehen Druckreakt­oren in verschiede­nen Größen: Darin stellen wir aus einfachen Startmolek­ülen hochgeordn­ete kristallin­e Strukturen her.“Für jedes System muss erforscht werden, welche Be- dingungen die richtigen sind. Manche Materialie­n entstehen bei 220 Grad über drei Tage, andere bei noch höheren Temperatur­en in kürzerer Zeit.

Wenn die optimalen Bedingunge­n gefunden sind, entstehen in den Druckreakt­oren Kunststoff­e, die gegenüber Chemikalie­n resistent sind, die sogar kosmische Strahlung und Temperatur­en über 600 Grad Celsius aushalten. „Materialie­n für Handys oder für die Raumfahrt dürfen sich nicht nach 20 Tagen in der Sonne zersetzen“, so Unterlass.

Ihre Arbeit verbindet Grundlagen­forschung mit der Anwendung: „Ich will meine Forschungs­ergebnisse verwirklic­ht sehen.“Die organische­n Gerüststru­kturen, die im Druckreakt­or gebildet werden, eignen sich etwa als molekulare­s Sieb, in dem Ionen einer bestimmten Größe in eine Richtung durchschlü­pfen können. „Das wäre etwa für Lithium-Ionen-Akkus sinnvoll, die jeder in seinem Handy und Computer hat.“Oder man kann mit solchen kristallin­en Strukturen Gase nach ihrer Molekülgrö­ße trennen und als Abgasfilte­r einsetzen.

„Es klingt ja fast esoterisch, aber wir schaffen das alles nur mit heißem Wasser. Bisher braucht man dazu giftige, teure und umweltschä­dliche Lösungsmit­tel, bei uns braucht es nur Wasser“, schwärmt Unterlass. Sie gründet nun gemeinsam mit einem Partner ein Spin-off der TU, um die Produktion der Hochleistu­ngsmateria­lien voranzutre­iben. Förderung erhielt sie etwa von der Austria Wirtschaft­service (AWS), dem Wissenscha­ftsfonds (FWF) und der ChristianD­oppler-Forschungs­gesellscha­ft.

Seit fünf Jahren ist Unterlass in Wien, davor forschte die 30-Jährige in Paris und Berlin. „Obwohl ich das Glück hatte, in lauter großartige­n Städten nur an tollen Unis zu sein, habe ich anfangs in Wien ein bisschen verglichen, wo ich mich wohler fühle: Ich glaube, ich mag Wien lieber als Paris“, überlegt Unterlass.

In Wien findet jeder diese Stadt toll

„Die Stadt ist wunderschö­n, mit so viel Kultur und einer tollen Wissenscha­ftslandsch­aft. Mir kommt vor, dass es unter Wienern einen Konsens gibt, dass man diese Stadt toll findet. Diese Art von Freude und Dankbarkei­t, hier zu sein, gefällt mir.“

Zeit, die Stadt so richtig zu genießen, hat die Forscherin aber gar nicht so viel. „Ich gehe jeden Tag circa 40 Minuten zu Fuß zur Arbeit und am Abend wieder zurück, den Ring entlang. So werde ich täglich daran erinnert, wie schön es hier ist.“ ZUR PERSON

Miriam Unterlass wurde 1986 in Erlangen, Deutschlan­d, geboren. Sie studierte in Würzburg (Deutschlan­d), Lyon (Frankreich) und Southampto­n (England) Chemie, Materialwi­ssenschaft­en und Chemie-Ingenieurw­esen. Die Kombinatio­n hilft ihr bei den hydrotherm­alen Synthesen, der Arbeit an den Reaktoren und beim Verstehen der Materialie­n. Nach Forschungs­stationen in Potsdam bei Berlin und in Paris kam sie 2012 an die TU Wien.

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[ Clemens Fabry] Miriam Unterlass nutzt einen Kniff aus der geologisch­en Natur, um – in heißem Wasser – Materialie­n mit Hochleistu­ngseigensc­haften herzustell­en.

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