In Liebe zum Ukrainischen
Blond, 50, adrett. „Expedition Europa“zur Sprachschützerin.
Die Ukraine ukrainisiert sich. Vor dem Krieg haben zwei Drittel der Ukrainer tagaus, tagein auf Russisch kommuniziert. 2014 hat Kiew aber die Kontrolle über fünf bis sechs Millionen russischsprachiger Bürger verloren, und den Rest soll die staatliche Austreibung alles Russischen besorgen: 15 Millionen Ukrainer sind von ihrem Profil im russischen Facebook „Vkontakte“ausgesperrt, die Ukrainischquoten in Radio und TV sind erhöht.
Ich treffe die Autorin eines in Begutachtung befindlichen „Sprachgesetzes“. Ich habe gelesen, dass es das Russische mit Geldbußen, Haftstrafen und Sprachinspektoren bekämpfen will. Ich will sichergehen, dass ich keinem russischen Hoax aufgesessen bin.
An einem milden Kiewer Sonntag erwarte ich die Abgeordnete Iryna Podoljak in ihrem niedlichen Lieblingscafe´ beim Parlament. Im Fernsehen laufen ohne Ton „Kreml News“, grell und billig gemachte Putin-Verhöhnungen; der Sender gehört der Frau von Podoljaks Parteichef. Podoljak gilt als eine der Netten. Als der triumphierende Maidan die Krim verlor, überlegte sie in einem Posting, ob sie in Lemberg „nicht auf Russisch übergehen sollte“. Sie meinte das taktisch, als Signal an Russophone.
Eine adrette Blondine, 50, setzt sich zu mir, in rosa Bluse. Sie ist tatsächlich sehr nett. Sie betont, dass sich ihr Gesetzesprojekt Nr. 5670 von den anderen unterscheide. Die Swoboda-Nationalisten, die Russischsprachigen mit Umerziehungslagern drohen, nennt sie „Idioten“. Nr. 5670 betreffe private Kommunikation überhaupt nicht, sei „positiv, zivilisiert, es geht nur mit Liebe“. Eigentlich wollte sie Englisch reden: „I’m a very liberal person, but . . .“Nach einer Minute wird ihr das zu blöd. Sie fragt, ob sie auf Russisch weiterreden darf. Ich freue mich innerlich darauf, diese Präferenz in meinem Beitrag zu erwähnen. Sie fährt in astreinem Russisch fort.
Mehrsprachigkeit ist Staatsstreich
Ich gehe Nr. 5670 mit ihr durch: „Stimmt es, dass an Hochschulen nur auf Ukrainisch gelehrt werden soll, mit einer Ausnahme allein für Amtssprachen der Europäischen Union in einzelnen Gegenständen? Würde Maltesisch also besser gestellt als Russisch?“– „Hier geht es nicht um Maltesisch, sondern gegen Russifizierung.“– „Stimmt es, dass ein Verlag, der ein Buch auf Russisch bringt, dann eine höhere Auflage davon in Ukrainisch drucken muss? Wenn er drauf sitzen bleibt, wer zahlt ihm das?“– „Niemand.“– „Verstehe ich Sie richtig, dass Verkäufer oder Kellner die Konversation auf Ukrainisch beginnen müssen?“Podoljak bestätigt. Ich senke zu spät die Stimme, schiele beschämt zur Kellnerin – das arme Kind hat mich auf Russisch bedient. Podoljak erklärt das vorgesehene Prozedere: Nur wenn ich mich beim Ombudsmann beschweren und dieser eine Mitteilung weiterleiten würde, käme der Sprachinspektor ins Cafe.´ „Es soll nur 27 Inspektoren geben, einen pro Verwaltungsgebiet.“Podoljak würde erleichternd noch eine Bewährungsfrist hinzufügen. Die Höhe der vorgeschlagenen Strafen hat sie „vergessen“, laut Zeitung saftig.
Letzte Frage: „Stimmt es, dass Versuche zur Einführung offizieller Mehrsprachigkeit in der Ukraine strafrechtlich als Staatsstreich behandelt werden sollen? Wenn ein Politiker Russisch als zweite Amtssprache fordert, wird er bestraft?“– „Natürlich.“Ich sage nichts dazu. Ich denke mir nur: Wäre ich Ukrainer, säße ich unter ihr im Knast.
Dabei sitzt mir wirklich eine ukrainische Liberale gegenüber. Sie ist zu Abmilderungen bereit, sie bewirbt Nr. 5670 mit humorigen Sprachinspektoren auf Facebook, und sie „mag das Pathos nicht, dass das eine Frage der nationalen Sicherheit wäre“. Sie fürchtet nicht einmal die russische Propaganda – „dafür ist das Gesetz zu liberal“.