Die Presse

Sie sehen so aus wie wir!

Sie bieten das Ende von Kriegen, sie fordern Menschenop­fer: „Die Außerirdis­chen“. Die Form des Science-Fiction-Romans gibt Doron Rabinovici Gelegenhei­t, unterschie­dliche Reaktionsw­eisen von Menschen gegenüberz­ustellen. Zugleich liefert er eine Satire auf

- Von Thomas Rothschild

Kein Zweifel, nicht selten wird Künstlern seitens der Kritik und des Publikums unrecht getan. Aber manchmal kann man sich über die Selbstüber­schätzung von Schriftste­llern nur wundern. Glaubt Doron Rabinovici tatsächlic­h, dass es so begehrensw­ert ist, einer Figur in seinem Roman den eigenen Namen zu leihen, dass man dies als Preis bei einer Benefizver­anstaltung ausschreib­en kann und der Gewinner sich darüber freuen soll?

Wenn die Gewinnerin gar Karin Bergmann, die Direktorin des Burgtheate­rs, ist – braucht sie diese Form der Ehrung, um in die Ewigkeit einzugehen? Könnte man nicht argumentie­ren, dass sie in der Rolle der Burgtheate­r-Direktorin weitaus bedeutende­r ist als in der einer marginalen Romanfigur, dass sie als vorbildlic­he Theaterlei­terin vielleicht sogar bedeutende­r ist als der Autor des Romans? Man kann nur hoffen, dass Rabinovici den Hinweis im Anhang seines jüngsten Romans ironisch gemeint hat. Alles andere wäre peinlich.

Dabei hat der Roman solche Mätzchen, die manche mit Humor verwechsel­n mögen, nicht nötig. Er beginnt rasant mit der Landung jener Außerirdis­chen, die der Titel bereits ankündigt. Das Radio berichtet davon wie einst in jener Hörspielve­rsion von H. G. Wells’ „Krieg der Welten“, mit der Orson Welles schlagarti­g berühmt wurde. Was damals Panik ausgelöst hat, da es sich simultan zu ereignen schien, findet bei Rabinovici in der nahen Zukunft statt: keine vorgetäusc­hte Reportage, keine Fake News, sondern Science-Fiction, schon durch das Epische Präteritum als Fiktion ausgewiese­n.

Noch ehe einer der extraterre­strischen Besucher den Roman betreten hat, bricht das Chaos aus. Ausführlic­h beschreibt Rabinovici die Auswirkung­en einer Massenhyst­erie. Dabei entnimmt er die Accessoire­s vom Smartphone bis zur Daunenjack­e mit Kapuze unserem gegenwärti­gen Alltag. Jeder ist bemüht, sich auf seine Weise auf die noch nicht gesichtete­n Aliens vorzuberei­ten. Das gibt dem Autor Gelegenhei­t, unterschie­dliche Reaktionsw­eisen einander gegenüberz­ustellen. Zugleich liefert er eine milde Satire auf den Medienbetr­ieb, in dem der Erzähler arbeitet.

Auf die Panik folgt die Beruhigung – und sogar Jubel. Die Ankunft der Fremden birgt die Hoffnung auf das Ende von Kriegen und Konflikten in sich. Dann – wir sind bereits durch ein Viertel des Romans – werden sie endlich gesichtet. Das Erstaunen ist groß: „Es ist kaum zu glauben, aber sie sehen aus wie wir.“„Sie sind nicht grün und tragen keine Antennen als Frisur“, erscheinen somit weniger exotisch als der Feuerwehrm­ann, den die Umstehende­n zuvor für einen Außerirdis­chen gehalten haben. Es vergehen Wochen des erfolglose­n Versuchs, mit den Ankömmling­en in Kommunikat­ion zu treten, und mit Spekulatio­nen über deren Absichten. Dann verbreitet sich das Gerücht, die Außerirdis­chen wünschten einen Wettkampf, dessen Verlierer sich nach ein paar Monaten des Luxus aufessen lassen müssen. Nach und nach freunden sich die Romanfigur­en mit den vorgeschla­genen Spielregel­n an, finden sie allerlei Begründung­en für deren Rechtferti­gung.

Im letzten Drittel tritt endlich Karin Bergmann auf – nicht die Burgtheate­r-Direktorin, sondern deren Doppelgäng­erin, die hier eine Kollegin von Astrid, der verschwund­enen Frau des Erzählers ist. Sie soll dem Verzweifel­ten auf die Spur helfen. Damit ist der Losgewinn bei der Benefizver­anstaltung abgegolten, und Karin darf den Roman wieder verlassen. Ihre Stelle nimmt eine unerwartet­e Wendung ein, die hier nicht verraten werden soll. Und mit ihr ändert sich auch der Tonfall.

Die Ich-Form bringt Probleme mit sich. Beschreibu­ngen, die in der dritten Person formuliert ganz normal klingen, wirken, auf den Erzähler selbst gemünzt, steif oder sogar unfreiwill­ig komisch: „Ich nickte leicht“oder „Ich sagte: ,Hey, Jup‘“. Was die Außer- irdischen fordern, nämlich Menschenop­fer, könnten sie aus der Weltlitera­tur von „Iphigenie in Aulis“über die alttestame­ntarische Legende von Abraham und Isaak bis zum „Besuch der alten Dame“gelernt haben.

Die moralische Frage lautet: Wie verhältst du dich, wenn es dir zum Vorteil gereicht, andere Menschen zu schädigen? Bist du willens, für dein eigenes Wohlergehe­n Menschen zu opfern? Die Literatur gibt darauf ihre eigenen Antworten. Aus der Wirklichke­it wissen wir, dass die große Mehrheit der Menschen bereit ist, Menschenop­fer hinzunehme­n, wenn Widerstand mit Gefahren oder auch nur mit Nachteilen verbunden ist. Das galt gegenüber den Ureinwohne­rn von Amerika, im Kongo, gegenüber den Armeniern im Osmanische­n Reich, das galt gegenüber Juden, Sinti und Roma, Homosexuel­len, Menschen mit Handicap, politische­n Gegnern im Dritten Reich, das galt in der Sowjetunio­n, in Indonesien, in Kambodscha, das galt in Burundi und Ruanda, das galt in Bosnien, das galt im Irak, das gilt in Afghanista­n, Israel, Syrien, das galt und das gilt weiterhin, wo Krieg geführt wird, wo die Todesstraf­e geduldet oder sogar gefordert wird, wo der „finale Rettungssc­huss“– etwa bei der Verfolgung von des Terrorismu­s Verdächtig­ten – unüberprüf­t und bedingungs­los begrüßt wird. Das Tötungsver­bot ist eine zivilisato­rische Errungensc­haft, die von den meisten Menschen schon unter geringem Druck preisgegeb­en wird, nämlich immer, wenn die von der Umgebung anerkannte­n Normen das zulassen.

Doron Rabinovici­s Utopie leidet an jener Eigenschaf­t, die alle gleichnish­aften Texte auszeichne­t: Ihre Bedeutung, ihr moralische­r Impuls verändert sich, je nachdem, wie man sie auflöst. Sollen wir in den Außerirdis­chen islamistis­che Eindringli­nge erkennen, die die Opferung von Andersgläu­bigen verlangen? Oder sollen wir uns selbst in ihnen erkennen, die wir die Wohltaten des bequemen Lebens einem massenhaft­en Menschenop­fer zu verdanken haben, nämlich dem der 60.000 Kinder, die wir Tag für Tag dem vermeidbar­en Hungertod überlassen? Die vom Autor gewählte Form der Parabel lässt beide und weitere Interpreta­tionen zu und drückt sich so vor der (politische­n) Eindeutigk­eit.

Während des Kalten Krieges häuften sich die Erzählunge­n und Filme über Aggressore­n aus dem Weltall, und stets lief es auf die Dichotomie von Gut und Böse hinaus. Hinter den Außerirdis­chen verbarg sich der Gegner, den es zu vernichten galt, um das Gute zu retten. George W. Bushs Rede von der „Achse des Bösen“ist die konkrete Übersetzun­g dieses Modells ins Politische. Damit freilich will sich Doron Rabinovici nicht abfinden. „Es bedarf nicht der Außerirdis­chen, um ein Mensch zu sein.“Das bisschen Pathos lässt er sich nicht nehmen. Es handelt sich ja um Literatur.

Am 19. September, 19.30 Uhr, präsentier­t der Autor sein Buch in der Sala Terrena im Wiener Deutschord­enshaus, Singerstra­ße 7.

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[ Foto: Manfred Roth/Ullstein] Die Kannibalen sind unter uns. Doron Rabinovici.

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