Sie sehen so aus wie wir!
Sie bieten das Ende von Kriegen, sie fordern Menschenopfer: „Die Außerirdischen“. Die Form des Science-Fiction-Romans gibt Doron Rabinovici Gelegenheit, unterschiedliche Reaktionsweisen von Menschen gegenüberzustellen. Zugleich liefert er eine Satire auf
Kein Zweifel, nicht selten wird Künstlern seitens der Kritik und des Publikums unrecht getan. Aber manchmal kann man sich über die Selbstüberschätzung von Schriftstellern nur wundern. Glaubt Doron Rabinovici tatsächlich, dass es so begehrenswert ist, einer Figur in seinem Roman den eigenen Namen zu leihen, dass man dies als Preis bei einer Benefizveranstaltung ausschreiben kann und der Gewinner sich darüber freuen soll?
Wenn die Gewinnerin gar Karin Bergmann, die Direktorin des Burgtheaters, ist – braucht sie diese Form der Ehrung, um in die Ewigkeit einzugehen? Könnte man nicht argumentieren, dass sie in der Rolle der Burgtheater-Direktorin weitaus bedeutender ist als in der einer marginalen Romanfigur, dass sie als vorbildliche Theaterleiterin vielleicht sogar bedeutender ist als der Autor des Romans? Man kann nur hoffen, dass Rabinovici den Hinweis im Anhang seines jüngsten Romans ironisch gemeint hat. Alles andere wäre peinlich.
Dabei hat der Roman solche Mätzchen, die manche mit Humor verwechseln mögen, nicht nötig. Er beginnt rasant mit der Landung jener Außerirdischen, die der Titel bereits ankündigt. Das Radio berichtet davon wie einst in jener Hörspielversion von H. G. Wells’ „Krieg der Welten“, mit der Orson Welles schlagartig berühmt wurde. Was damals Panik ausgelöst hat, da es sich simultan zu ereignen schien, findet bei Rabinovici in der nahen Zukunft statt: keine vorgetäuschte Reportage, keine Fake News, sondern Science-Fiction, schon durch das Epische Präteritum als Fiktion ausgewiesen.
Noch ehe einer der extraterrestrischen Besucher den Roman betreten hat, bricht das Chaos aus. Ausführlich beschreibt Rabinovici die Auswirkungen einer Massenhysterie. Dabei entnimmt er die Accessoires vom Smartphone bis zur Daunenjacke mit Kapuze unserem gegenwärtigen Alltag. Jeder ist bemüht, sich auf seine Weise auf die noch nicht gesichteten Aliens vorzubereiten. Das gibt dem Autor Gelegenheit, unterschiedliche Reaktionsweisen einander gegenüberzustellen. Zugleich liefert er eine milde Satire auf den Medienbetrieb, in dem der Erzähler arbeitet.
Auf die Panik folgt die Beruhigung – und sogar Jubel. Die Ankunft der Fremden birgt die Hoffnung auf das Ende von Kriegen und Konflikten in sich. Dann – wir sind bereits durch ein Viertel des Romans – werden sie endlich gesichtet. Das Erstaunen ist groß: „Es ist kaum zu glauben, aber sie sehen aus wie wir.“„Sie sind nicht grün und tragen keine Antennen als Frisur“, erscheinen somit weniger exotisch als der Feuerwehrmann, den die Umstehenden zuvor für einen Außerirdischen gehalten haben. Es vergehen Wochen des erfolglosen Versuchs, mit den Ankömmlingen in Kommunikation zu treten, und mit Spekulationen über deren Absichten. Dann verbreitet sich das Gerücht, die Außerirdischen wünschten einen Wettkampf, dessen Verlierer sich nach ein paar Monaten des Luxus aufessen lassen müssen. Nach und nach freunden sich die Romanfiguren mit den vorgeschlagenen Spielregeln an, finden sie allerlei Begründungen für deren Rechtfertigung.
Im letzten Drittel tritt endlich Karin Bergmann auf – nicht die Burgtheater-Direktorin, sondern deren Doppelgängerin, die hier eine Kollegin von Astrid, der verschwundenen Frau des Erzählers ist. Sie soll dem Verzweifelten auf die Spur helfen. Damit ist der Losgewinn bei der Benefizveranstaltung abgegolten, und Karin darf den Roman wieder verlassen. Ihre Stelle nimmt eine unerwartete Wendung ein, die hier nicht verraten werden soll. Und mit ihr ändert sich auch der Tonfall.
Die Ich-Form bringt Probleme mit sich. Beschreibungen, die in der dritten Person formuliert ganz normal klingen, wirken, auf den Erzähler selbst gemünzt, steif oder sogar unfreiwillig komisch: „Ich nickte leicht“oder „Ich sagte: ,Hey, Jup‘“. Was die Außer- irdischen fordern, nämlich Menschenopfer, könnten sie aus der Weltliteratur von „Iphigenie in Aulis“über die alttestamentarische Legende von Abraham und Isaak bis zum „Besuch der alten Dame“gelernt haben.
Die moralische Frage lautet: Wie verhältst du dich, wenn es dir zum Vorteil gereicht, andere Menschen zu schädigen? Bist du willens, für dein eigenes Wohlergehen Menschen zu opfern? Die Literatur gibt darauf ihre eigenen Antworten. Aus der Wirklichkeit wissen wir, dass die große Mehrheit der Menschen bereit ist, Menschenopfer hinzunehmen, wenn Widerstand mit Gefahren oder auch nur mit Nachteilen verbunden ist. Das galt gegenüber den Ureinwohnern von Amerika, im Kongo, gegenüber den Armeniern im Osmanischen Reich, das galt gegenüber Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Menschen mit Handicap, politischen Gegnern im Dritten Reich, das galt in der Sowjetunion, in Indonesien, in Kambodscha, das galt in Burundi und Ruanda, das galt in Bosnien, das galt im Irak, das gilt in Afghanistan, Israel, Syrien, das galt und das gilt weiterhin, wo Krieg geführt wird, wo die Todesstrafe geduldet oder sogar gefordert wird, wo der „finale Rettungsschuss“– etwa bei der Verfolgung von des Terrorismus Verdächtigten – unüberprüft und bedingungslos begrüßt wird. Das Tötungsverbot ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die von den meisten Menschen schon unter geringem Druck preisgegeben wird, nämlich immer, wenn die von der Umgebung anerkannten Normen das zulassen.
Doron Rabinovicis Utopie leidet an jener Eigenschaft, die alle gleichnishaften Texte auszeichnet: Ihre Bedeutung, ihr moralischer Impuls verändert sich, je nachdem, wie man sie auflöst. Sollen wir in den Außerirdischen islamistische Eindringlinge erkennen, die die Opferung von Andersgläubigen verlangen? Oder sollen wir uns selbst in ihnen erkennen, die wir die Wohltaten des bequemen Lebens einem massenhaften Menschenopfer zu verdanken haben, nämlich dem der 60.000 Kinder, die wir Tag für Tag dem vermeidbaren Hungertod überlassen? Die vom Autor gewählte Form der Parabel lässt beide und weitere Interpretationen zu und drückt sich so vor der (politischen) Eindeutigkeit.
Während des Kalten Krieges häuften sich die Erzählungen und Filme über Aggressoren aus dem Weltall, und stets lief es auf die Dichotomie von Gut und Böse hinaus. Hinter den Außerirdischen verbarg sich der Gegner, den es zu vernichten galt, um das Gute zu retten. George W. Bushs Rede von der „Achse des Bösen“ist die konkrete Übersetzung dieses Modells ins Politische. Damit freilich will sich Doron Rabinovici nicht abfinden. „Es bedarf nicht der Außerirdischen, um ein Mensch zu sein.“Das bisschen Pathos lässt er sich nicht nehmen. Es handelt sich ja um Literatur.
Am 19. September, 19.30 Uhr, präsentiert der Autor sein Buch in der Sala Terrena im Wiener Deutschordenshaus, Singerstraße 7.