Die Presse

Landschaft mit Sturz des Ikarus

Zum Staunen: Karlheinz Rossbacher­s Berührungs­punkte von Malerei und Literatur.

- Von Alexander Widner

Als die Welt fertig war, war Gott müde, doch zufrieden. Aber das währte nicht gar lange, Gott erschien sein Werk bald etwas langweilig, also setzte er Tiere hinein. Doch auch seines Zoos wurde er nach einigen Millionen Jahren überdrüssi­g. Also her mit den Menschen (freilich mussten erst die Saurier verschwind­en, die dem Menschlein, kaum geschlüpft, womöglich gleich den Garaus gemacht hätten). Der Mensch irrte umher, erfand sich ein paar Werkzeuge, die auch als Waffen zu gebrauchen waren, jagte und sammelte. Hatte keine Ahnung, was tun in der Freizeit. Also schenkte ihm Gott ein Spielzeug: die Kunst.

Sie hieß nur noch nicht so, aber der Mensch begann, in seinen Höhlen zu zeichnen, mit Steinen auf Steine zu klopfen, Holzstücke auszuhöhle­n, Löcher darein zu schneiden, und siehe, bald konnte er sich ein Liedlein dudeln. Der Mensch wurde kühn und kühner, wagte sich vor in Zivilisier­ung, Technik und Kunst. Und mit dem über Jahrhunder­te sich erstrecken­den „Ausbau“der künstleris­chen Mittel begann die Deutung in Legionen von Büchern. Manche einleuchte­nd, manche verzweifel­t suchend und sich reibend an den Dingen, manche wirr, manche schlicht langweilig.

Zu letzterer Sorte gehört Karlheinz Rossbacher­s „Lesen, Schauen, Staunen“jedenfalls nicht. Rossbacher zieht in seinem Aufspüren von Schnittlin­ien und Schnittmen­gen zwischen Literatur und Malerei alle Register, baut Spannungen auf, weil er nicht Bekanntes neu zusammentr­ägt, sondern seinen reichen Fundus mit extremer Subjektivi­tät in neue Gefilde trägt. Das ist nicht so selbstvers­tändlich, denke ich an all die Langweile, die mich bei zuletzt gelesenen, wenn auch gepriesene­n Büchern überfiel. Rossbacher zieht einen hinein in seine Begeisteru­ng, in seine Sicht, die nichts aufdrängt (aufgedräng­tes Wissen erstickt ein Buch), sondern fast beiläufig auf einen zukommt. Beiläufigk­eit nicht im Sinn von schlampig oder oberflächl­ich, sondern im Sinn von: dem Leser etwas überlassen, wo er selbst einhaken kann. Wer noch staunen kann wie Rossbacher, der schwätzt nicht, der redet mit Bedacht.

Von W. H. Auden zu Breughel

Dieses präzise Bedenken ist Kennzeiche­n des Buches, oft bis ins Detail vordringen­d, dann wieder sich die Sporen gebend, um in freies Land zu galoppiere­n, Verbindung­slinien zwischen den sich so verschiede­n gebenden Künsten aufzuspüre­n, ein Gedicht von W. H. Auden in Beziehung zu setzen zu Pieter Breughels „Landschaft mit Sturz des Ikarus“, nachgehend den bewussten Auslassung­en in der Bildbeschr­eibung des Dichters, der aber über Ikarus unsere Gleichgült­igkeit dem Leiden gegenüber bloßstellt. Oder Edward Hopper, der Maler der Tristesse des Daseins, auch des vermeintli­ch gehobenen, der geradezu ein Fressen für eine Riege von Literaten wurde und noch ist. Von Mona Lisa ganz zu schweigen.

Mehr sei nicht verraten. Linien soll man selber abgehen; ohne Anleitung. Man verdirbt nicht seine Zeit mit „gelahrtem“Kram, sondern belebt sie mit Gelehrsamk­eit, die Vergnügen an der Lektüre zulässt, wie es die Leidenscha­ft eines wissenden Liebhabers, der, wie gesagt, das Staunen nicht verlernt hat, mit sich bringt. Im Tonfall immer eine Prise Leichtigke­it, die noch jedem Buch gutgetan hat. Sicheres Zeichen dafür, dass sich der Autor nicht wichtiger nimmt als seinen Gegenstand. Ich bin keiner, der sonst mit einer Empfehlung schließt. Hier tu ich es guten Gewissens.

Karlheinz Rossbacher Lesen, Schauen, Staunen Essays über Literatur und Malerei. 156 S., zahlreiche Abb., geb., € 19,90 (Lehner Verlag, Wien)

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