Landschaft mit Sturz des Ikarus
Zum Staunen: Karlheinz Rossbachers Berührungspunkte von Malerei und Literatur.
Als die Welt fertig war, war Gott müde, doch zufrieden. Aber das währte nicht gar lange, Gott erschien sein Werk bald etwas langweilig, also setzte er Tiere hinein. Doch auch seines Zoos wurde er nach einigen Millionen Jahren überdrüssig. Also her mit den Menschen (freilich mussten erst die Saurier verschwinden, die dem Menschlein, kaum geschlüpft, womöglich gleich den Garaus gemacht hätten). Der Mensch irrte umher, erfand sich ein paar Werkzeuge, die auch als Waffen zu gebrauchen waren, jagte und sammelte. Hatte keine Ahnung, was tun in der Freizeit. Also schenkte ihm Gott ein Spielzeug: die Kunst.
Sie hieß nur noch nicht so, aber der Mensch begann, in seinen Höhlen zu zeichnen, mit Steinen auf Steine zu klopfen, Holzstücke auszuhöhlen, Löcher darein zu schneiden, und siehe, bald konnte er sich ein Liedlein dudeln. Der Mensch wurde kühn und kühner, wagte sich vor in Zivilisierung, Technik und Kunst. Und mit dem über Jahrhunderte sich erstreckenden „Ausbau“der künstlerischen Mittel begann die Deutung in Legionen von Büchern. Manche einleuchtend, manche verzweifelt suchend und sich reibend an den Dingen, manche wirr, manche schlicht langweilig.
Zu letzterer Sorte gehört Karlheinz Rossbachers „Lesen, Schauen, Staunen“jedenfalls nicht. Rossbacher zieht in seinem Aufspüren von Schnittlinien und Schnittmengen zwischen Literatur und Malerei alle Register, baut Spannungen auf, weil er nicht Bekanntes neu zusammenträgt, sondern seinen reichen Fundus mit extremer Subjektivität in neue Gefilde trägt. Das ist nicht so selbstverständlich, denke ich an all die Langweile, die mich bei zuletzt gelesenen, wenn auch gepriesenen Büchern überfiel. Rossbacher zieht einen hinein in seine Begeisterung, in seine Sicht, die nichts aufdrängt (aufgedrängtes Wissen erstickt ein Buch), sondern fast beiläufig auf einen zukommt. Beiläufigkeit nicht im Sinn von schlampig oder oberflächlich, sondern im Sinn von: dem Leser etwas überlassen, wo er selbst einhaken kann. Wer noch staunen kann wie Rossbacher, der schwätzt nicht, der redet mit Bedacht.
Von W. H. Auden zu Breughel
Dieses präzise Bedenken ist Kennzeichen des Buches, oft bis ins Detail vordringend, dann wieder sich die Sporen gebend, um in freies Land zu galoppieren, Verbindungslinien zwischen den sich so verschieden gebenden Künsten aufzuspüren, ein Gedicht von W. H. Auden in Beziehung zu setzen zu Pieter Breughels „Landschaft mit Sturz des Ikarus“, nachgehend den bewussten Auslassungen in der Bildbeschreibung des Dichters, der aber über Ikarus unsere Gleichgültigkeit dem Leiden gegenüber bloßstellt. Oder Edward Hopper, der Maler der Tristesse des Daseins, auch des vermeintlich gehobenen, der geradezu ein Fressen für eine Riege von Literaten wurde und noch ist. Von Mona Lisa ganz zu schweigen.
Mehr sei nicht verraten. Linien soll man selber abgehen; ohne Anleitung. Man verdirbt nicht seine Zeit mit „gelahrtem“Kram, sondern belebt sie mit Gelehrsamkeit, die Vergnügen an der Lektüre zulässt, wie es die Leidenschaft eines wissenden Liebhabers, der, wie gesagt, das Staunen nicht verlernt hat, mit sich bringt. Im Tonfall immer eine Prise Leichtigkeit, die noch jedem Buch gutgetan hat. Sicheres Zeichen dafür, dass sich der Autor nicht wichtiger nimmt als seinen Gegenstand. Ich bin keiner, der sonst mit einer Empfehlung schließt. Hier tu ich es guten Gewissens.
Karlheinz Rossbacher Lesen, Schauen, Staunen Essays über Literatur und Malerei. 156 S., zahlreiche Abb., geb., € 19,90 (Lehner Verlag, Wien)