Mehr Substanz dem Denkmal!
Oft über Nacht, kurz bevor Baudenkmäler ohne Schutzstatus abgerissen oder umgebaut werden sollen, müssen sich NGOs wie DOCOMOMO Austria oder die Initiative Denkmalschutz organisieren. Mit Hochdruck und mit ehrenamtlich erarbeiteten Dossiers wird dann versucht, Eigentümern, Entscheidungsträgern und auch dem Bundesdenkmalamt (BDA) die Bedeutung und Erhaltungswürdigkeit ihres Bauwerks zu vermitteln. Nicht immer werden sie ignoriert.
Beim Silogebäude der Rauchmühle in Salzburg-Lehen (1913), einer baukulturell wertvollen, vom Denkmalamt nicht erkannten Landmark inmitten eines von Nachkriegsbauten geprägten Stadtteils, konnte die Initiative Um+Bau+Kultur Salzburg den Totalabbruch verhindern. Die Stadt Salzburg selbst kaufte schließlich diesen Teil der Mühle, obwohl sie zuvor keinen Raumbedarf gesehen und eine Depotnutzung für das Salzburg Museum abgelehnt hatte.
Nun will sie das Bauwerk 120-prozentig mit kulturellen und wissenschaftlichen Nutzungen „sprengen“: Ein zusätzlicher Proberaum-Kubus soll „als eigenständiges Volumen die leichten Aufbauten im Dachbereich“ersetzen und den nun „als ,Sockel‘ empfundenen Siloteil mit einer klaren solitären Form“bekrönen, so der städtische Gestaltungsbeirat im Juni. Dabei würde das solitäre Bauwerk zum Sockel degradiert werden und seine funktional begründete, identitätsstiftende Dachlandschaft verlieren.
Auch wenn der aktuelle Projektstand in Salzburg eine problematisch „kopflastige“Aufstockung zeigt, ist die Bereitschaft des international besetzten Gestaltungsbeirats und des als Konsulenten eingesetzten Architekten Rainer Köberl zum offenen Dialog mit positiv zu sehen. Die Auseinandersetzung mit der Arbeit von DenkmalschutzNGOs wie auch generelle Transparenz sind in Österreich die Ausnahme. Auch die Stadt Salzburg als Bauherrin wollte die Einreichung nicht öffentlich abwickeln. Bei Bausubstanz, die keinen offiziellen Denkmalstatus besitzt, fehlen als positive Gegenkraft zu unzähligen Herausforderungen für die Planer oft jene, die sich für ihren Erhalt stark machen.
Zwei Beispiele zeigen stellvertretend den fahrlässigen Umgang des Bundesdenkmalamts mit dem architektonischen Erbe der Nachkriegsjahrzehnte in Österreich: Das Felsenbad (1966–1968) und das Kongresszentrum (1968–1974) in Bad Gastein sind ungeschützte Inkunabeln der Architekturgeschichte Österreichs. Beide finden sich seit Beginn einer Online-Rettungskampagne im Oktober 2015 auf der Webseite der Initiative SOS Brutalism, die sich der von Abriss und Verstümmelung bedrohten brutalistischen Nachkriegsarchitektur weltweit annimmt.
Architekt Gerhard Garstenauer ließ beim Felsenbad die Schwimmhalle aus dem Berg heraussprengen und generierte im Kontrast zwischen unbearbeiteten Tauerngneiswänden und konstruktiv-präzisen Elementen in Sichtbeton einen einzigartigen Raum. Mit dem Kongresszentrum wurde ein selbstbewusster Kontrapunkt zum gewohnten BadGastein-Bild geschaffen, dem großstädtischen, im alpinen Tal fremd anmutenden „Wolkenkratzerdorf in den Bergen“. Den hohen, im steilen Gelände verankerten historistischen Hotelblöcken setzte Garstenauer – kühn aufgeständert – eine markante Horizontale entgegen, für ihn der „sichtbare Ausdruck als Ort der Begegnung“. Anstelle der ehemals engen verschatteten Straße öffnete die begehbare kommunale Platz- und Dachlandschaft das Zentrum großzügig zu Sonne und Tal.
Seit 2001 das Kongresszentrum mit anderen prominenten Häusern im historischen Zentrum an die Familie Duval verkauft worden ist, wartet der Ort auf Investitionen des Investors. Noch hat das Kongresszentrum keine substanziellen Verluste erlitten. Jahrelanger Leerstand hat bis jetzt sowohl dem mächtigen, in sauber geschaltem Ortbeton errichteten Grundbau wie auch den präzis komponierten Betonfertigteilen nichts anhaben können, die wertvolle Inneneinrichtung fällt allerdings bereits dem Vandalismus zum Opfer. Überlegtes Handeln ist überfällig.
Wie wichtig wäre es, das Ortszentrum wieder zu beleben! Das Haus böte mit seinen großzügigen, an die multifunktionelle Veranstaltungshalle anschließenden Foyerzonen großes Potenzial, um zeitgemäß und qualitätsvoll weiterentwickelt werden zu können. Verstümmelnde Vorschläge zum Umbau und zur Erweiterung zeigten selbst den Gegnern von Garstenauers selbstbewusstem Bauwerk, dass anpasslerische Verschandelung keine Lösung sein kann, sondern nur ein ebenso respektvolles wie präzises Weiterbauen an den vielfältigen Qualitäten. Das jedoch kann nur durch eine kompetente denkmalpflegerische Begleitung gesichert werden.
Allerdings: Das BDA lässt jegliche stringente Linie und nachvollziehbare Haltung vermissen. Der Rechnungshof kritisierte im April 2017 in einem vernichtenden Bericht, im Unterschutzstellungskonzept des BDA fehlten „Angaben über qualitätssichernde Maßnahmen, um eine bundesweite, einheitliche Vorgehensweise zu gewährleisten“. Durch das Fehlen transparenter Standards würden „inhaltliche Kriterien für die Öffentlichkeit intransparent“.
Das BDA beteuert, seit 2011 würden „verstärkt noch nicht unter Denkmalschutz stehende Gebäude der Nachkriegsmoderne auf deren Denkmalqualitäten geprüft“. Als einziges geschütztes Beispiel des Brutalismus in Salzburg wird allerdings die Matthäuskirche in Salzburg-Taxham (1969) genannt. Die hier offenbar niedrig angesetzten Kriterien stehen in Widerspruch zu der Tatsache, dass sich kein einziges von Garstenauers Baudenkmälern des Brutalismus auf der BDA-Bestandsliste befindet. Die Willkür der Behörde ist offensichtlich.
Österreich kann es sich – auch im Hinblick auf die zahlreichen internationalen Bemühungen – nicht weiterhin leisten, durch Untätigkeit und Ignoranz gegenüber den Kulturgütern der Nachkriegsmoderne aufzufallen. Eine parlamentarische Anfrage zu den Garstenauer-Bauten beantwortete jüngst der zuständige Bundesminister für Kunst und Kultur durchwachsen: Diese Anfrage hatten österreichische wie internationale Persönlichkeiten und Institutionen (darunter die Österreichische Gesellschaft für Architektur, DOCOMOMO Austria, das Architekturzentrum Wien sowie SOS Brutalism, eine Kooperation des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung, gemeinsam mit uncube und BauNetz) initiiert beziehungsweise unterstützt. Den „Tag des Denkmals“am 24. September erweitert diese Fachöffentlichkeit nun als Aktionsgruppe „Bauten in Not“zum „Tag des schutzlosen Denkmals“mit Beispielen des 20. Jahrhunderts aus allen Bundesländern.
Denkmalschutz-NGOs leisten in Österreich Sisyphusarbeit, um Defizite der Denkmalschutzbehörde zu kompensieren. Ihre Forderung: sich endlich der zahlreichen noch nicht geschützten Baudenkmäler des 20. Jahrhunderts anzunehmen. Von Norbert Mayr