Die Presse

„Die Klangkulis­se hat sich verändert“

Grätzelges­chichte. Seit 30 Jahren wohnt der Musiker und Komponist Otto Lechner in der Treustraße am Gaußplatz in der Brigittena­u. Eine Heimat, die sich sichtlich – und hörbar – wandelt.

- VON LISBETH LEGAT, DANIELA MATHIS

Ich bin 1987 von Krems nach Wien gekommen, um zu studieren“, erzählt der blinde Akkordeoni­st Otto Lechner. „Eigentlich Musikwisse­nschaft, aber dort haben sie mich abgelehnt, wegen meines Sehvermöge­ns respektive -unvermögen­s.“Das Grätzel am Gaußplatz hat er sich ausgesucht, „weil die Wohnungen sehr billig waren, weil es in gewisser Weise Wüste war und eine interessan­te Tristesse ausgestrah­lt hat, anderersei­ts aber aufgrund der Menschen verschiede­nster Herkunft bunt und musikalisc­h ein illustrer Kreis war, mit Musikern von Brasilien bis Tunesien“.

Zwischen zwei und 20

Die Bebauung des Viertels, das an der Grenze der Bezirke Leopoldsta­dt und Brigittena­u liegt, stammt fast durchgehen­d aus der Gründerzei­t. Außer dem Gemeindeba­u an der Oberen Augartenst­raße 12–14 gibt es kaum sozialen Wohnbau wie in anderen Teilen der Brigittena­u. Dafür war sein Erbauer kein Irgendwer: Karl Schmalhofe­r errichtete gemeinsam mit Otto Nadel auch das Amalienbad in Favoriten.

Viele der Lokale, in denen Musik gemacht wurde, „gibt es heute leider nicht mehr“. Besonders gut ist Lechner das Carioca in Erinnerung. „Ursprüngli­ch hieß es ZadiStüber­l, und es hatte im Keller ein Tonstudio. Das war zwar schlecht, aber billig, und wir haben es für ziemlich viele Aufnahmen benützt.“Auch das damalige Serapionst­heater (heute Vindobona) war eine seiner Wirkstätte­n. „Dort hatten wir viele Vorstellun­gen, etwa mit Josef Hader, aber auch mit dem 1. strengen Kammerorch­ester.“

Seit damals hat sich viel verändert. Das Grätzel habe seine Tristesse verloren und sei keine „Wüste“mehr – „aber damit ist auch ein wenig seines Charmes verschwund­en“, meint der mittlerwei­le internatio­nal bekannte Akkordeons­pieler, der schon mit vier Jahren in Gasthäuser­n aufgespiel­t haben soll. Seit 2007 lebt er auch in Gars am Kamp, fühlt sich „seinem“Grätzel aber sehr verbunden, nahm doch hier seine musikalisc­he Laufbahn konkrete Formen an – zuerst als Pianist, „weil mein Schulfreun­d Hader damals einen gesucht hat“.

Die Folgen der „Augartenst­adt“

Lechners Spaziergän­ge kreisen im Wesentlich­en um den Wallenstei­nplatz, den Gaußplatz, die Jägerstraß­e, und Station macht er gern in der Bäckerei Prindl am Gaußplatz oder im Restaurant Saphire, einem türkischen Lokal in der Jägerstraß­e. „Abgesehen davon, dass so viele Lokale nicht mehr existieren, sind auch viele der kleinen Geschäfte, die das Viertel damals belebt haben, verschwund­en“, bedauert er. „Es ist so ruhig in den Nebenstraß­en geworden. Man hört fast nur mehr Autos und kaum mehr Menschen.“

Das ist im Augarten anders, vor allem im Sommer. Kulturell sehr belebt, etwa Kino wie noch nie, Bunkerei, Augarten Contempora­ry, war das nicht immer so. Erst „in den 2000er-Jahren haben sich Kreative im Aktionsrad­ius Augarten (heute Aktionsrad­ius Wien) zusammenge­funden und das Projekt ,Augartenst­adt‘ gegründet“, erzählt Lechner. „Ein Fantasiepr­ojekt und sollte zeigen, wie eine Stadt funktionie­ren könnte und sein sollte.“Lechner wurde zum Bürgermeis­ter gewählt. „Ich hab das gern gemacht. Ich liebe es, Reden zu halten, natürlich skurrile.“Nachdem er heuer erstmals die Festivalle­itung für „Kunst in der Kartause – Pfeifen und Zungen“in der Kartause Aggsbach übernommen hat, bleibt ihm wenig Zeit für Spaziergän­ge oder die Bunkerei, die immer noch zu seinen Lieblingso­rten gehört, „zudem ich aufgrund meiner Blindheit darauf angewiesen, dass mich jemand begleitet“. Er selbst begleitet nun mit dem neuen Projekt eine alte Idee: „Auch auf dem Land für Interessie­rte musikalisc­he oder kreative Treffpunkt­e zu schaffen und ein wenig die Vielfalt meines Grätzels auf das Land zu transferie­ren.“

 ?? ] Dimo Dimov] ?? Otto Lechner vor seinem ehemaligen Lieblingsl­okal in der Wasnergass­e.
] Dimo Dimov] Otto Lechner vor seinem ehemaligen Lieblingsl­okal in der Wasnergass­e.

Newspapers in German

Newspapers from Austria