Die Presse

Nprätentiö­se Köpfe

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Reykjav´ık. Der 54-Jährige arbeitet bei Farice, einem Anbieter von Datenverke­hr per Unterseeka­bel zwischen Europa und Island. Er hat zweieinhal­b Jahre in Karlsruhe studiert und ist häufig im deutschspr­achigen Ausland unterwegs. Den egalitären Umgang der Isländer mit Celebritie­s führt er auf Islands niedrige Bevölkerun­gszahl zurück: „Entweder bist du sowieso mit dem anderen verwandt, oder du hast gemeinsame Freunde.“So wohne die Sängerin Björk in seiner Nachbarsch­aft: „Wir kaufen im selben Lebensmitt­elladen ein und besuchen dasselbe öffentlich­e Schwimmbad. Selbst wenn wir im selben Hot Pot säßen, würde ich sie nie anquatsche­n.“

Letzteres führt bereits zu Punkt zwei: Freibäder spielen eine wichtige Rolle in der Kultur des Landes. Der typische Sonntag eines Isländers sieht so aus: Er steht auf und geht erst ins Freibad, egal, ob Sonne, Regen oder Schnee. Fast jedes Kaff, und sei es noch so klein, hat ein eigenes. Sie sind deutlich preisgünst­iger als die häufig von Touristen besuchten Lagunen. Neben dem Sportbecke­n, meist 25 Meter lang und gefüllt mit 28 Grad Celsius warmem Wasser, verfügt ein Freibad üblicherwe­ise über zwei Hot Pots – kleine Becken, die wahlweise zwischen 38 und 40 Grad sowie 41 bis 42 Grad Celsius warm sind.

Blausilbri­ge Schlammtöp­fe

Orrason: „Im Winter gehe ich zweibis dreimal pro Woche im Freibad 600 Meter schwimmen. Die Lagunen sind für den täglichen Badebesuch zu teuer.“Von diesem isländisch­en Brauch sollten sich Besucher ruhig inspiriere­n lassen. Wer entspannt durch Island reisen möchte, der sollte zwischen den Sehenswürd­igkeiten und dem damit verbundene­n Kilometerf­ressen immer wieder einen Badestopp einlegen, vor allem, wenn man mit Kindern reist. Manchmal ist der Badestopp sogar die Sehenswürd­igkeit selbst wie im Fall des warmen Bachs bei Hveragerði. Rund 3,5 Kilometer schlängelt sich ein Wanderweg bergauf ins HengillGeo­thermalgeb­iet, unterwegs passiert man einen schönen Wasserfall und blausilbri­ge Schlammtöp­fe, bis man zu einem unscheinba­ren Bächlein mit Holzstegen gelangt. Die Sensation: Das Wasser des Bachs ist warm! Ein ungewohnte­s Gefühl für Zentraleur­o- päer, die nur kalte Gebirgsbäc­he kennen.

Geothermie, das heiße Wasser aus der Erde, ist der Rohstoff, der Island zu Wohlstand verholfen hat. Mit dem heißen Dampf aus der Tiefe erzeugen Kraftwerke wie das Hellisheið­arvirkjun Strom. Es liegt im Südwesten des Landes am Fuß des Vulkans Hengill und kann besichtigt werden. Von dort leiten Rohre heißes Wasser nach Reykjav´ık, nur läppische 60 Euro muss ein isländisch­er Haushalt monatlich pro Wohnung für Heizung und Heißwasser bezahlen. Die Blaue Lagune, ursprüngli­ch nur ein Abfallprod­ukt des Kraftwerks Svartsengi bei Grindavik, war in den 1970er-Jahren ein kleiner Tümpel, in dem einige Einheimisc­he badeten oder ihre Hauterkran­kungen bekämpften. Mittlerwei­le ist sie mit 900.000 Besuchern jährlich und mindestens 35 Euro Eintritt zu der Touristena­ttraktion Islands schlechthi­n und einer Goldgrube geworden. Knapp zwei Autostunde­n westlich der Blauen Lagune neben dem Thermalbad Fontana am Ufer des Laugarvatn buddelt ein junger Mann mit einer Schaufel in der Erde. Umringt von Schaulusti­gen, legt er rohen Roggenbrot­teig in einen Kochtopf, verschließ­t diesen und buddelt ihn an einer Stelle ein, wo die Erde dank heißen Wassers aus der Erde warm ist. Nach 24 Stunden wird der Topf wieder ausgegrabe­n. Das fertige Brot schmeckt malzig-süß.

Geysirbrot verkosten

Mit dieser Form des Niedrigtem­peraturgar­ens per Naturofen liegen die Isländer voll im Trend, nur dass sie dies eben schon seit Jahrhunder­ten so machen. Besucher können für etwa 10,5 Euro beim Ein- und Ausbuddeln zuschauen und die als Geysir-Brot vermarktet­e Spezialitä­t in der Cafeteria des Thermalbad­s probieren. Ohne Eintritt können Besucher dagegen den imposanten Geysir Strokkur 20 Autominute­n westlich von Laugarvatn bewundern, der verlässlic­h alle fünf bis acht Minuten Wasserfont­änen emporschie­ßt. Baden geht hier nicht, das Wasser ist kochend heiß. Überhaupt sollten Reisende nicht nur die Warnschild­er beachten, sondern auch sonst ihren gesunden Menschenve­rstand gebrauchen. Typisch für Island ist nämlich auch, dass nicht vor jedem blubbernde­n Schlammtop­f oder jeder Steilklipp­e gewarnt wird.

Nur ein paar Kilometer entfernt von dem viertgrößt­en Geysir der Welt liegt das Örtchen Fludir. Dort, in unmittelba­rer Nachbarsch­aft der Geheimen Lagune, können Besucher eine weitere Verwertung­smöglichke­it der Geothermie bestaunen: Familie A´rmann züchtet hier auf 4200 Quadratmet­ern Tomaten in geothermis­ch beheiz- ten Gewächshäu­sern. Was vor 20 Jahren noch undenkbar war, ist heute selbstvers­tändlich: In jedem Supermarkt gibt es Tomaten und Gurken aus Island, die sogar teurer sind als die importiert­e Ware. Wer mag, kann im Gewächshau­s Fridheimar Tomatensch­naps, Tomatensup­pe oder sogar Tomateneis probieren. Und wenn man schon einmal da ist, sollten Freunde schöner Landschaft­en nur wenige Autominute­n entfernt südlich von Fludir unbedingt das 253 Meter hohe Midfell erklimmen. Wer das unwegsame Gelände hinaufkrax­elt, wird mit einem wunderschö­nen Ausblick auf einen Kratersee belohnt. Hier besteht keine Verbrühung­sgefahr, der See ist eiskalt.

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