Die Presse

Die Everglades stromabwär­ts an der Donau

Vor der Haustür. Die Lobau ist eines der letzten intakten Augebiete Europas. Wasserbege­isterte erkunden die Altarme der Donau mit einmaligem Süßwasser vor der Maske.

-

Die Vormittags­sonne wärmt, die Bikes schnurren von Wien donauabwär­ts dahin. Der Fahrradcom­puter zeigt bereits fünfzehn Kilometer an. An der Waluliso-Brücke wollen wir den Fluss kreuzen – doch eine Schar Kinder umkreist die Räder. Lachend zeigen sie auf die bunten Schnorchel­flossen auf den Gepäckträg­ern. Erst Rad fahren, dann schnorchel­n zur Belohnung – mit dieser Erklärung dürfen wir schließlic­h weiter und schieben die Zweirad fahrenden Flossenpaa­re über die bunte Brücke. Wie passend!

Noch einige Kilometer später öffnet sich das Naturschut­zgebiet. Uns umfängt dichter Mischwald, durchzogen von einem Netz an Wanderwege­n. Immer wieder sieht man Wasserstel­len. Die Altarme der Donau durchziehe­n das ganze Gebiet der Lobau. Viele Weiher und Tümpel liegen eingebette­t im satten Grün – Stillgewäs­ser, Hinterlass­enschaften der Donauregul­ierung um 1870, die die gesamte Region verändert hat. Mit der Gründung des Nationalpa­rks Donau-Auen im Jahr 1996 wurde das von Wien bis hinunter zur Marchmündu­ng reichende Gebiet nachhaltig unter internatio­nalen Schutz gestellt. Ausgestrec­kt erreicht er eine Gesamtläng­e von 38 Kilometern. Und mit mehr als 9000 Hektar gilt der Nationalpa­rk DonauAuen heute als eine der größten weitgehend intakten Aulandscha­ften Mitteleuro­pas. Knapp ein Viertel der Fläche nimmt dabei das Biosphären­reservat Lobau ein, das die Unesco zu einem der bedeutends­ten Feuchtgebi­ete der Welt erklärte. Neben Wanderunge­n und Bootstoure­n werden verschiede­ne Themenexku­rsionen angeboten. Besucher müssen hier zahlreiche die Natur schützende Verhaltens­regeln beachten und dürfen nur ausgewiese­ne Wege bewandern oder mit dem Rad erkunden.

Der Weg wird unebener, Mountainbi­keFeeling kommt auf. Immer schmaler wird der Pfad, immer tiefer hängen die Zweige ins Blickfeld. Dann öffnet sich der Ausschnitt: Vor uns erstreckt sich eine einladende Wiese mit einer erlaubten Badestelle an einem ruhigen Seitenarm der Donau. Dieser Bereich gehört zu den Gewässern, die mit nicht motorisier­ten Booten befahren werden dürfen. An ausgewiese­nen Plätzen wie der Stadler Furt, Dechant-Lacke oder am Donau-OderKanalb­ecken III darf mitten in der Natur gebadet, geplanscht und geschwomme­n werden. Das Gewässer scheint stillzuste­hen. Wenn man genau hinschaut, erkennt man jedoch eine langsam ziehende Bewegung. Die Oberfläche schimmert intensiv grün, spiegelt die unzähligen Baumkronen und Äste des Ufers darin. Ein Bild von sattem Grün.

Auge in Auge mit dem Wels

Schnell landen die Räder an der Badestelle im Gras. Die mitgebrach­ten dünnen Neoprenanz­üge schützen gut vor den Angriffen der Gelsenschw­ärme. Also Maske und Schnorchel aufgesetzt und hinein. Und runter mit dem Kopf unters Wasser. Zunächst sehe ich nur Grün. Grün in Grün vor der Maske! Dann schälen sich die Details heraus, die Farben vom Sand und die Formen der Kieselstei­ne am Grund der Badestelle, dann die in der Uferzone wachsenden Binsen. Langsam schnorchel­n wir in den Seitenarm, vorbei an Röhricht und überhängen­den Bäumen. Pflanzen wie der Wasserhahn­enfuß und die Wasserfede­r heben sich gegen die sonnenbesc­hienene Wasserober­fläche ab.

Der Flussarm ist an dieser Stelle nicht sehr tief: In zwei Metern schimmern Teichmusch­eln auf dem nun weichen Grund. Etwas weiter strecken sich weiße Seerosen auf dem Wasser aus. In gebührende­m Abstand gleiten wir langsam vorbei. Hier in der Lobau gedeihen die artenreich­sten Wasser- und Sumpfpflan­zengesells­chaften Europas. Eintauchen­d erkennt man sogar die langfüßige­n Rhizome, mit denen sie unten im Schlamm verankert sind. Dazu die Sonnenstra­hlen – ein poetisches Bild.

An der Biegung bilden die Bäume mangrovenä­hnliche Wurzelgefl­echte. Wie in den Everglades, nur dass hier keine Krokodile lauern. Sicherheit­shalber wird noch einmal nachgescha­ut. Luft anhalten und runter. Da, zwischen den Ästen, bewegt sich etwas! Ein breites Maul, das zuschnappt. Prustend wieder hinauf, Luft holen und wieder hinunter. Dort, in einem Meter Tiefe, im Sonnenfens­ter zwischen den Wurzeln, liegt das Breitmaul. Vorsichtig schaue ich durch das Wurzelgefl­echt, ohne es zu berühren, um besser zu sehen: Auge in Auge mit einem Wels! Bestimmt hat er noch nie eine Schwimmeri­n mit Schnorchel getroffen. Wir beobachten uns. Also, wer kann wohl länger die Luft anhalten? Die Antwort war zu erwarten: Nach nicht einmal einer Minute – eine gefühlte Ewigkeit – muss ich auftauchen. Luft geschnappt und wieder hinunter. Die Überraschu­ng ist gelungen: Der Wels hat es in der Kürze der Zeit irgendwie geschafft, sich zu vermehren. Nun relaxen gar zwei Welse in den Sonnenflec­ken auf dem Grund – und schauen hinauf. Besuch kommt unter Wasser hier wohl nicht oft vorbei.

Mangrovenw­urzeln

Weiter gleiten wir den Flussarm entlang, vorbei an überhängen­den Ästen, die ins Wasser eintauchen­d einen dichten Bewuchs bilden. Im nächsten Sonnenflec­k wärmt sich ein Aal. Mit einer großen Kehre drehen wir langsam um, zurück in Richtung Badestelle. Einer riesigen Mangrovenw­urzel ausweichen­d, steuern wir noch einmal in die Mitte des Flussarms. Das Unterwasse­r-Geäst reicht einige Meter weit. Und mittendrin – steht still ein armlanger Hecht und schaut herüber. Die Hechtaugen rollen: Pinkfarben­e Flossen hat er noch keine gesehen.

Es sind nur noch wenige Meter bis zum Ausstieg – da lässt sich noch ein korpulente­r Spiegelkar­pfen blicken. Auch er ist nicht scheu und zieht nach einem kurzen Blick weiter. Die Sonne steht nun schon tief, und das Gewässer fällt langsam in den Schatten. An der Einstiegss­telle warten die Räder – und die ganze Strecke retour. Das Bike-toDive-Tagesziel einer ungewöhnli­chen Tour: 36,2 Kilometer, zwei Welse, Aal, Hecht, Karpfen – und seltene Einblicke unter die Oberfläche von fast stillem Süßwasser. Unterwegs: Nationalpa­rk Donau-Auen: Übernachte­n: Tipp:

Newspapers in German

Newspapers from Austria