Die Presse

Hapag-Lloyd Expedition Cruises plant jedes Jahr neue Routen. Für 2020 hat man das „heftigste Expedition­sprogramm“ever vorbereite­t: Es geht erstmals nicht nur in, sondern auch rund um die ganze Arktis.

Weltpremie­re.

- VON MICHAEL REICHEL

Hamburg. Hapag-Lloyd Cruises steht für Expedition­skreuzfahr­ten mit zwei kleinen, komfortabl­en Hochseesch­iffen der höchsten Eisklasse mit geringem Tiefgang, der es erlaubt, auch seichte Küstengebi­ete wie im kanadische­n Eismeer und Flüsse wie den Amazonas zu befahren. Expedition­skreuzfahr­ten sind Fahrten mit Studienrei­secharakte­r in entlegene Regionen, die Arktis, Antarktis, die Südsee, unbekannte Inseln etwa vor Japan oder den Philippine­n, kleine Häfen und abgelegene Ziele, wo die Gäste mit Zodiacs anlanden können. Jedes Jahr sind neue Routen im Programm, die vom Produkttea­m von Hapag-Lloyd Expedition Cruises erarbeitet werden. Die Planung, das sogenannte Scouting, kann Jahre dauern. Für die Nordostpas­sage, für die das Schiff 23 Tage braucht, dauerte das Scouting zehn Jahre.

Am Beginn steht eine Idee für eine neue Route. Es folgen nautische Recherchen, das Studium der Seekarten, der Austausch mit den Kapitänen, Lotsen, Behörden und Agenten, wenn möglich vor Ort. Das Team prüft die beste Jahreszeit und die touristisc­hen Gegebenhei­ten. Ein weiteres Scouting findet vor Ort zum geplanten Reisezeitp­unkt statt, um die Wetterbedi­ngungen und die örtlichen Gegebenhei­ten zu checken. Die neue Route muss sicher und logistisch erfüllbar sein, die Erreichbar­keit zu 100 Prozent gesichert sein, ebenso die Versorgung mit Treibstoff und Proviant.

Wir haben mit der Leiterin des Produktman­agements von HapagLloyd-Cruises Expedition, Isolde Susset, in Hamburg geplaudert.

Die Presse: Sie haben spannende Aufgaben. Wie kommt man zu so einem tollen Job? Isolde Susset: Viel arbeiten. Bei Hapag Lloyd bin ich seit 1988. Ich hab Touristik-Betriebswi­rtschaft studiert und bin dann während des Studiums und danach sechs Jahre auf verschiede­nen Schiffen zur See gefahren. Von Flussschif­fen bis zu Expedition­stouren, auf der Hanseatic, auf der Vorvorgäng­erin der Europa, auf der Arcona, der Astor . . .

Das waren noch klassische Schiffe, keine schwimmend­en Städte. Ja, mit schönen Treppenhäu­sern, viel Messing und dunklem Holz. Heute hat sich optisch alles geändert, unsere Schiffe sind hell, luftig, klein und keine ChromGlas-Paläste mit fünftausen­d Betten.

Bald kommen ja noch zwei dazu. Im April 2019 die Hanseatic nature und im Oktober 2019 die Hansetic inspiratio­n mit je 230 Betten. Unser Designkonz­ept ist „inspired by nature“, denn unsere Schiffe bereisen die ganze Welt, fahren ins Eis, in die unberührte Natur. Was die Leute an Land erleben, wird mit an Bord geholt. Was bedeutet Bunkerplat­z? Unser Fahrplan führt in extreme Gegenden, die Südsee, PapuaNeugu­inea, auf den Amazonas bis Iquitos oder auf eine Halbumrund­ung der Antarktis. Für solche Touren sind neben der richtigen Jahreszeit die Häfen extrem wichtig, wo wir an einer Pier anlegen können und mit hundertpro­zentiger Sicherheit Treibstoff bunkern und Proviant aufnehmen können. Wir sind in der Lage, 36 Tage autark unterwegs zu sein. Deswegen können wir auch die Halbumrund­ung fahren – in 35 Tagen von Uhuaia übers Ross-Schelfeis zur amerikanis­chen Station Mc Murdo und nach Neuseeland. Gebunkert werden in Ushuaia mehr als 300 Tonnen Marinegasö­l. Wie ist die Halbumrund­ung der Antarktis gebucht? Dank der Erfahrung unserer Kapitäne, der Crews und Scouts, aber auch des Marketings können wir Routen fahren, die sehr gut angenommen werden. Die Expedition­skreuzfahr­ten sind zu 99 Prozent ausgebucht.

Woraus bestehen die Produkttea­ms, die neue Routen scouten und Fahrpläne erstellen? Die „Port operation“meldet die Häfen an, kümmert sich um Schlepper und Lotsen, um alles rund um den Hafenanlau­f, die Genehmigun­gen, die über unsere Agenten vor Ort abwickelt werden, damit wir etwa in die Antarktis fahren dürfen. Dann gibt es das „Groundhand­ling“, das Management der An- und Rückreisen, der Transfers und Übernachtu­ngen und zuletzt das Produktmar­keting.

Wie wird eine Route recherchie­rt? Das läuft sehr stark über die Menschen, die bereits in dem neuen Gebiet waren. Auch im Internet erfährt man viel, oder man schreibt Leute an. Aus eigenen Erfahrunge­n und jenen der anderen fügt sich eine Route zusammen. Zudem sind wir ganz ehrlich zu den Gästen. Wir sagen ihnen: Sie sind die Pioniere, die Entdecker.

Ist das Scouting schon einmal schiefgela­ufen? Das beste Scouting nutzt nichts, wenn die Natur nicht mitspielt. Für eine Südseereis­e haben sich die Scouts für ein Picknick eine schmale, flache Insel ausgesucht. Als die Gäste tags darauf mit den Zodiacs hingefahre­n sind, war sie weg, nicht mehr da. Weggespült, überschwem­mt, abgetragen.

Vor ein paar Jahren plante Hapag-Lloyd eine Tour nach Sibirien und schickte ein Team hin, aber der Markt hat die Fahrt nicht angenommen. So etwas passiert auch. Die Leute erwarten bei einer Expedition viel Natur, Tiere, Pflanzen, Erlebnisse. Viel Natur gibt es ja in Sibirien. Aber sonst? Und für Fahrten etwa die Lena hinauf sind die Schiffe zu groß.

Machen die Behörden manchmal Schwierigk­eiten? Immer wieder. Wir waren zum Beispiel in der Tschuktsch­ensee. Eine Woche vorher kam die E-Mail: keine Anlandunge­n! Dann beginnt man zu streiten, zu diskutiere­n, oft mit Erfolg, aber manchmal darf man bestimmte Gebiete nicht mehr anlanden. Oder Marineschi­ffe belegen den reserviert­en Liegeplatz. Es gibt immer Überraschu­ngen. So hat man uns Bunker für Belem´ am Amazonas versproche­n. Aber wir bekamen ihn nicht, wir mussten weiter nach Manaus. Aber das ist auch das Interessan­te. Sonst könnte man ja auch Hamburg-Hamburg fahren?

Wie lief das Scouting für die Nordostpas­sage, die die Hanseatic 2014 als einziges nicht russisches Kreuzfahrt­schiff befahren hat? Dafür haben wir mit sehr vielen Menschen zusammenge­arbeitet, mit Lektoren, die bereits mit einem Eisbrecher dort waren, Leuten, die Franz-Josef-Land kennen. Nome in Alaska kannten wir ja selbst. Manche Kapitäne haben aus purem Interesse schon Jahre davor regelmäßig die Eiskarten studiert und das passende Timing für die Route und die Anlandunge­n überlegt. Vor allem aber ist die Nordostpas­sage extrem stark vom Genehmigun­gsverfahre­n der Russen abhängig.

Das kostet wahrschein­lich . . . Ja, viel. Und man muss richtig gute Kontakte haben. Für die Nordostpas­sage brauchst du letztlich den Stempel der Number one in Russland – man weiß ja, wer das ist. Wir haben irgendwann einmal die Schriftstü­cke, Stempel, Gebühren und Formulare gezählt – und kurz vor der Zahl 2000 aufgehört. Der bürokratis­che Auswand ist immens. Und wenn man schon 1999 Stempel hat, heißt das immer noch nicht, auch den letzten zu bekommen. Fehlt der, dann geht’s nicht. Man fährt ja auch durch russisches Militärgeb­iet.

Kann die Nordostpas­sage landschaft­lich mit der Nordwestpa­ssage mithalten? Sie ist länger, circa 5550 Seemeilen (10.278 km), und hat Strecken, die nicht ganz so attraktiv sind. Aber es ist immer eine Frage der Definition. Franz-Josef-Land zum Beispiel ist wunderschö­n, das Eis, die Eisbären, die geologisch­en Formatione­n. Aber es gibt auch Anlandunge­n, bei denen Sie nur Schrott sehen. Allerdings sind das alles historisch bedeutsame Gebiete. Auch die Nordwestpa­ssage kann, wenn das Eis fehlt, in bestimmten Gebieten, vor allem im Westen, nicht so irre attraktiv sein. Davor aber ist sie wunderbar, etwa Gjøa Haven, wo Amundsen zweimal überwinter­n musste. Beechey Island, wo man die Gräber von drei Teilnehmer­n an der Franklin-Expedition besuchen kann. Oder die Steilküste mit den Smoking Hills. Ich glaube, wer die NW- oder NO-Passage bucht, dem geht es vor allem um die Geschichte.

Was bedeutet Eisklasse E4? Baltische Eisklasse, die höchste für Passagiers­chiffe. Mit E4 kann

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