Die Presse

In den Lagunen von Comacchio

Emilia-Romagna. Im Parco del Delta del Po eröffnet sich für den Italien-Reisenden vielleicht unvermutet ein reiches Naturreser­vat. Neben 400 Vogelarten ist es dort vor allem ein Fisch, der die Hauptrolle spielt – der Aal.

- VON LINDA STIFT

Wenn Sophia Loren im schicken Fünfzigerj­ahrekleid durch die Wege des Po-Deltas von Comacchio zur Aalfabrik radelt, um dort Aalspieße über dem offenen Feuer zu drehen, bekommt man einen atmosphäri­schen Eindruck dieser archaische­n Landschaft mit ihren kleinen Steinhäuse­rn, Fischerhüt­ten und riesigen aufgespann­ten Netzen. Malaria gibt es zum Glück keine mehr, die Mücken sind aber leider nicht ausgestorb­en.

In der Stadt Comacchio der italienisc­hen Provinz Ferrara ist alles auf Fischfang ausgericht­et. Das Stadtwappe­n zeigt eine Flunder, der nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufg­ebaute Hochseefis­chereihafe­n Porto Garibaldi ist ein wichtiges Wirtschaft­szentrum. Wasserstra­ßen durchziehe­n die Stadt und sind mit Porto Garibaldi durch einen Kanal verbunden – sie wird auch Klein-Vendig genannt. Wie im großen Venedig kann man mit Gondeln die Kanäle befahren.

Seit dem 13. Jahrhunder­t wird in den Lagunen von Comacchio Aal (anguilla) gezüchtet – besser gesagt, dem Aal wird beim Aufwachsen nachgeholf­en, denn züchten im strengen Wortsinn kann man ihn nicht. Er wird im Atlantik geboren und kehrt zur Fortpflanz­ung dorthin zurück. Wenn der Aal aus der Sargassose­e die Lagunen von Comacchio erreicht, ist er schon circa drei Jahre alt. Von den europäisch­en Küsten schwimmt er in großen Schwärmen in das Binnengewä­sser seiner Wahl. In den Lagunen, die etwas unter dem Meeresspie­gel liegen, werden im Februar die Schleusen geöffnet, das Meer rundherum erwärmt sich, was die Fische anlockt. Sobald die Ebbe vorbei ist, werden die Schleusen wieder geschlosse­n, der Aal befindet sich nun in einem riesigen Süßwasserb­ecken, in dem er keinen Feinden mehr ausgesetzt ist. Als Weidenblat­tlarve ist er auf seiner langen Reise unterwegs, in den Lagunen wandelt er sich zum Glasaal – in diesem Stadium darf er noch nicht gefischt werden. Die Weibchen werden mit zwölf bis 15 Jahren geschlecht­sreif, die Männchen mit sechs, sieben, wobei das Geschlecht bei der Geburt noch nicht feststeht, das entwickelt sich erst später – das ist eines der Geheimniss­e, die der Aal bis heute nicht preisgegeb­en hat.

Lagunen voller Wassertäle­r

Die Lagunen des Po-Deltas, das sich mit 400 Quadratmet­ern täglich vergrößert und dessen Wasserläuf­e sich permanent verändern, bilden mit ihrem Brackwasse­r einen idealen Nährboden. Auch Doraden, Krebse und kleine Sardellen fühlen sich hier wohl. Miesmusche­ln weniger, für sie ist es zu flach, dafür Austern, aber sie werden nicht geerntet, weil sie zu sandig sind. Enrico Nordi, der einer alten Fischerfam­ilie entstammt, die die Wassertäle­r, die Valles, seit Hunderten Jahren befischt, erklärt die komplizier­ten Vorgänge des Fangens und Einsetzens in andere Valles. In einem Fang befinden sich Tiere verschiede­nster Altersgrup­pen und müssen sortiert werden. Aale, die für den Verzehr zu klein sind, kommen wieder zurück ins Wasser. Auch dürfen nicht alle ausgewachs­enen Tiere verwendet werden, um die Fortpflanz­ung zu sichern.

Fangzeit ist im Herbst und Winter zwischen September und Dezember. Je stürmische­r das Wetter und entspreche­nd aufgewühlt­er das Wasser, desto leichter gehen die Aale ins Netz. Die Fische mögen das durcheinan­dergewirbe­lte brackige Wasser, weil sie so leichter zu Nahrung kommen. Vom Aalfang leben kann Nordi nicht, es ist ein schwierige­s Hobby, dem sich die männlichen Familienmi­tglieder widmen, weil es die Vorväter schon getan haben. Nebengesch­äfte – Schmuggele­ien – besserten das Einkommen der Ahnen auf: Im Melodram „La donna del fiume“wird dieses Thema, neben dem der sitzen gelassenen le-

Comacchio liegt an der Adria in Italiens größtem Regionalpa­rk. Der Parco del Delta del Po ist Lebensraum von ca. 400 Vogelarten (Flamingos, Kormorane). Ein Ziel zum Birdwatche­n, Bootfahren, Wandern, Naturbeoba­chten. Unweit liegt Ferrara, www.ildeltapo.it

Rurale Cannevie,´ alter Gutshof, regionale Küche, www.oasicannev­ie.com

Aalfabrik, Aalmuseum und Aalshop: Manifattur­a per la marinatura delle anguille, Via Mazzini, Comacchio. digen Mutter, ebenso behandelt. So mondän die Loren sogar beim Schilfschn­eiden im Sumpf erscheinen mag, so unerbittli­ch wird das harte Leben der Fischer und der Frauen, die den Reis des Deltas ernten, geschilder­t.

Aalsuppe, Aalrisotto

Heute ist der Aalfang eine Tradition, die nur durch persönlich­es Engagement am Leben erhalten wird. Wie auch die historisch­e Aalfabrik, 1903 erbaut und in den 1990er-Jahren stillgeleg­t. Seit 2005 ist sie wieder in Betrieb, beherbergt ein Museum, das die alten Fang- und Verarbeitu­ngsmethode­n dokumentie­rt, und stellt im Herbst marinierte­n Aal her, der in Dosen eingelegt und verkauft wird – ganz so wie früher. Die Fische werden auf Spießen über offenem Holzfeuer in hohen Steinkamin­en gegrillt und dann in eine Essigmisch­ung eingelegt. Die Metalldose­n im Retrostil sind das ideale Mitbringse­l.

Für die Principess­a, wie der Aal von den Italienern genannt wird, soll es an die 50 Rezepte geben, was nachvollzi­ehbar ist, man braucht schließlic­h Abwechslun­g, wenn er ständig auf dem Speiseplan steht: Aalrisotto, Aalsuppe, Räucheraal, süßsaure Aalkotelet­ts, marinierte­r Aal, vor allem herzhafte Zubereitun­gen werden im Delta bevorzugt. Die Fischer essen ihn gern gegrillt, da kann sein Fett gut abtropfen. Wie Sophia Loren ihn mochte, ist leider nicht überliefer­t.

 ?? [ Linda Stift ] ?? Fischerhüt­te im Parco del Delta del Po. Fette Aale sind hier die bevorzugte Beute.
[ Linda Stift ] Fischerhüt­te im Parco del Delta del Po. Fette Aale sind hier die bevorzugte Beute.

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