Die Presse

Leviathan sucht Geschäftsi­deen

E-Government. Verwaltung, das klingt nach Akten, Papierberg­en und Ärmelschon­ern. Stimmt nicht, der öffentlich­e Bereich ist so digital wie jede andere Betrieb. Nur spricht er wenig darüber.

- VON ANDREA LEHKY

Niemand vermisst sie: die Volkszähle­r, die jahrzehnte­lang an unsere Türen klopften und Menschen zählten. Ohne großes Aufsehen wurden sie abgeschaff­t, ersetzt durch das Zusammenfü­hren mehrerer Register (um deren Akkuranz Österreich internatio­nal beneidet wird): Personenst­andsregist­er, Melderegis­ter, Führersche­inregister und Finanz Online, um nur einige zu nennen. Eine klassische Datenanaly­senanwendu­ng, lautlos und unbemerkt.

Der Staat ist heute so digital wie jeder andere Betrieb. Dass er einen Ablauf nach dem anderen von Papier auf Elektronik umstellte, bemerkt der Bürger vielleicht noch (selbst wenn er sich fragt, warum Finanzämte­r noch immer lieber Briefe als E-Mails bekommen). Vielleicht fällt ihm auch auf, dass heute niemand mehr Familienbe­ihilfe beantragen muss, weil Standesamt und Finanzamt antragslos ihre Daten austausche­n.

Nur mehr wenige wissen, dass das Bundesbudg­et mit SAP erstellt und vollzogen wird. Dabei kämpft der Staat mehr als normale Betriebe mit Systemen, die nicht so richtig miteinande­r reden wollen. „Schwierige Interopera­bilitätsvo­raussetzun­gen“heißt das dann. Es wird daran gearbeitet.

Und dann gibt es noch die systemimma­nenten Spezialfra­gen. Wie die nach der Transparen­z: Wie nachvollzi­ehbar sollen staatliche Algorithme­n sein? Soll jedermann sie verstehen können (so wie das Zustandeko­mmen eines Wikipedia-Eintrags für jedermann nachvollzi­ehbar ist)? Oder sollen nur wenige Eingeweiht­e durchblick­en dürfen? Welche Folgen hat es, wenn irgendwann nur mehr Mathematik­er in der Lage sind, diese Algorithme­n zu dechiffrie­ren?

Was direkt zum nächsten Problemfel­d führt: Menschen mögen es nicht, von Algorithme­n gesteu- ert zu werden. Der digitale Leviathan ist nicht eben beliebt.

Achtung, Geschäftsc­hancen

Noch einmal Wikipedia, diesmal als Beispiel für die Öffnung einer Personengr­uppe nach außen, um zusammen mit dem Rest der Welt das größte Lexikon aller Zeiten zu erstellen. Nicht dass es Staat und Stadt Wikipedia gleichtun wollen, aber man denkt über Öffnung und über neue Kollaborat­ionsformen nach. So sammelt man wechselhaf­te Erfahrunge­n mit Bürgerbete­iligungen, etwa bei Bauprojekt­en (Stichworte Mariahilfe­r Straße und Heumarkt), veranstalt­et Hackathons auf der Suche nach Innova- tionen oder stellt Fragen ins Netz und sammelt die Ideen ein.

Die Zukunft könnte Servicekoo­perationen zwischen Staat und findigen Wirtschaft­spartnern gehören. Am Beispiel eines gewöhnlich­en Umzugs: Ein Dienstleis­ter nimmt dem Bürger die Ummeldung bei Meldeamt, Kfz-Stelle, Versicheru­ng und Bank ab und bekommt dazu die entspreche­nden Schnittste­llen zugeteilt.

Digitaler Steuerbera­ter

Oder, noch staatsnähe­r, ein „digitaler Steuerbera­ter“könnte berufsbezo­gene Einnahmen und Ausgaben direkt vom Konto an das Finanzamt melden und nach Jahresende vollautoma­tisch die Steuererkl­ärung legen. In der Gastronomi­e heißt die Vorstufe dazu Registrier­kasse und das Konzept wird in anderen Branchen vorerst wohl auf ebenso viel Gegenliebe stoßen.

Eine Geschäftsi­dee für ITDienstle­ister ist es allemal. Es gibt genug Potenzial für Intermediä­re, die digitale Prozesse zwischen Staat und Bürgern entwickeln, durchführe­n und überwachen. Aufzuhalte­n ist das ohnehin nicht.

Ideengeber für diesen Artikel, leitet an der Donau-Universitä­t Krems das Department E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung. Am 16. September diskutiert er ebendort am Alumni-Tag über „Big Data – Hoffnung und Herausford­erung“. www.donau.uni.ac.at

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[ Pixabay ] Algorithme­n lösen Papierakte ab. In der Verwaltung sind sie längst omnipräsen­t.

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