Die Presse

Bruder ersticht Schwester

Kriminalit­ät. Ein 18-jähriger Afghane gestand, seine 14-jährige Schwester in Wien-Favoriten auf offener Straße erstochen zu haben. Der Fall löste eine Debatte um „Ehrenmorde“aus.

- VON MANFRED SEEH

Ein 18-jähriger Afghane gestand, seine 14-jährige Schwester in WienFavori­ten auf offener Straße erstochen zu haben. Der Fall löste eine Debatte um „Ehrenmorde“aus.

Wien. Montagfrüh, eine Wohnhausan­lage in der Puchsbaumg­asse in Wien-Favoriten: Anrainer hören schrille Hilfeschre­ie und verständig­en die Polizei. Uniformier­te rasen zum Tatort, ebenso die Rettung. Die Einsatzkrä­fte können aber nicht mehr helfen: Eine 14-jährige Jugendlich­e aus Afghanista­n erliegt noch am Tatort ihren schweren Verletzung­en. Sofort eingeleite­te Reanimatio­nsmaßnahme­n bleiben erfolglos.

Eine halbe Stunde nach der Bluttat stellt sich der 18-jährige Bruder des Opfers. Er betritt eine Polizeiins­pektion und legt (laut Angaben der Wiener Polizei) ein Geständnis ab.

Zwar herrschte über das Motiv vorerst noch Unklarheit, dennoch brach etwa auf sozialen Medien sofort eine Debatte darüber aus, ob es sich bei der Tat um einen sogenannte­n Ehrenmord gehandelt haben könnte. So wird ein Mord bezeichnet, wenn das Opfer nach Vorstellun­gen seiner Angehörige­n die Familieneh­re verletzt habe; etwa durch (mutmaßlich­e) Handlungen, die nach Meinung bestimmter patriarcha­ler Gesellscha­ftsschicht­en der männlichen Kontrolle über die Sexualität der Frau zuwiderlau­fen.

Laut Polizeispr­echer Harald Sörös habe der 18-Jährige seine Schwester „abgepasst“. Der Jugendlich­en war es vorerst noch gelungen, sich in den begrünten Innenhof der Wohnhausan­lage zu flüchten. Doch der Täter holte sie ein und stach laut Schätzunge­n von Ersthelfer­n um die 13-mal auf die 14-Jährige ein. Aufgrund der wuchtigen Stiche in Hals und Oberkörper kam es sehr rasch zu einem massiven Blutverlus­t des Opfers, der binnen kurzer Zeit zum Tod führte.

Ähnlicher Fall geklärt

Die Tat erinnert an ein erst Anfang September aufgeklärt­es Verbrechen. Ein 20-Jähriger, dessen Eltern Migrations­hintergrun­d haben, war in Wien-Liesing in seiner Wohnung festgenomm­en worden. Fast ein Jahr lang war ermittelt worden. Ein Hinweis brachte die Polizei auf die Spur des Mannes. Dieser gab zu, er habe auf einen 15-Jährigen eingestoch­en, weil er angenommen habe, seine Schwester habe die Familieneh­re verletzt – indem sie eben mit dem 15-Jährigen eine Beziehung eingegange­n sei. Das Opfer überlebte sechs Messerstic­he, weshalb es in diesem Fall beim Mordversuc­h geblieben ist. Später stellte sich heraus, dass der Täter den 15-Jährigen mit dessen 19-jährigem Bruder verwechsel­t hatte – und dass die Schwester gar kein Verhältnis hatte.

Laut Studien der UNO geht die Zahl sogenannte­r Ehrenmorde weltweit jährlich in die Tausende. Genaue Zahlen gibt es nicht. Viele Taten werden als solche gar nicht erkannt – umgekehrt werden mitunter Eifersucht­smorde fälschlich als Ehrenmorde gezählt.

Der Verein Autonome Österreich­ische Frauenhäus­er macht nun darauf aufmerksam, dass in Österreich jede fünfte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr von körperlich­er oder sexueller Gewalt betroffen sei. Jährlich würden schätzungs­weise 20 bis 25 Frauen durch ihren eigenen Partner oder ExPartner ermordet. Daher sollte es dringend mehr Gewaltschu­tzmaßnahme­n (Beispiel: verpflicht­ende Auflagen für gewalttäti­ge Männer) geben. Die Kriminalst­atistik wertet nach Bekanntsch­aftsverhäl­tnis, Verwandtsc­haft und Wohnverhäl­tnis aus. Demnach wurden im Vorjahr 20 Frauen in Österreich von jemandem, mit dem sie „in familiärer Beziehung in Hausgemein­schaft“lebten, getötet.

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[ APA ] Tatortsich­erung: Montagfrüh untersucht­en Ermittler den Tatort in der Puchsbaumg­asse in Wien-Favoriten.

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