„Wir Kurden haben unser Blut gegeben“
Irak. Die Führung der Kurdenregion macht für das Referendum zur Unabhängigkeit mobil. Bagdad und die Nachbarn verschärfen ihre Drohungen.
Die Führung der Kurdenregion macht für das Referendum mobil. Doch Bagdad und die Nachbarn verschärfen die Drohungen.
Im Tiefflug ziehen Hubschrauber über die Menschenmenge hinweg. Das Knattern der Rotoren vermischt sich mit lauter kurdischer Musik, die aus Lautsprechern auf dem Boden tönt. Dann werfen die Helikopter Rosenblätter und bunte Zettel ab. In der Menge braust Jubel auf, als die Hubschrauber erneut auftauchen – mit kurdischen Flaggen, die sie hinter sich herziehen. Der Shanidar-Park im Herzen der Stadt Erbil ist voll mit Menschen. Frauen in bunten Trachten, Männer in alten Peschmerga-Uniformen, Jugendliche mit Baseballkappen, Familien mit kleinen Kindern: Sie alle sind gekommen, um für ein Ja beim Unabhängigkeitsreferendum am 25. September zu demonstrieren.
Massud Barzani, der Präsident der nordirakischen Kurdenregion, hat die Abstimmung angesetzt. Damit, so verspricht er seinen Anhängern, soll der alte kurdische Traum vom eigenen Staat endlich in Erfüllung gehen. Zumindest für Iraks Kurden, die schon seit 2003 im Norden des Landes ein eigenes Gebiet mit sehr weitgehender Autonomie unter ihrer Kontrolle haben. Die Region hat eine eigene politische Verwaltung und eigene Sicherheitskräfte, offiziell ist sie aber nach wie vor Teil des Irak.
Iraks Premier erhöht Druck
Je näher der Tag der Abstimmung rückt, desto mehr verschärfen sich die Spannungen. Denn die Regierung in Bagdad ist strikt gegen die kurdischen Pläne. Das Referendum sei ein „Spiel mit dem Feuer“, warnt Iraks Premier, Haidar al-Abadi, und droht damit, notfalls das Militär einzusetzen. Iraks Oberstes Gericht ordnete am Montag an, alle Vorbereitungen für die Abstimmung sofort zu stoppen.
Doch Kurdenpräsident Barzani macht bisher keine Anstalten, dem Druck nachzugeben. Auf Großveranstaltungen schwor er zuletzt seine Anhänger darauf ein, am 25. September mit Ja zur Unabhängigkeit zu stimmen.
Im Shanidar-Park in Erbil braust erneut Jubel auf, als eine Sängerin auf der Bühne „Vorwärts, Kurdistan!“und „Alles Gute, Barzani!“singt. Ein junger Mann hält begeistert ein Bild des Präsidenten hoch. Barzani hat sich mit dem Referendum weit vorgewagt. Für ihn steht nun politisch viel auf dem Spiel. Seine Demokratische Partei Kurdistans (PDK) einigte sich in langen Verhandlungen mit ihrer alten Rivalin, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), darauf, die Abstimmung gemeinsam zu unterstützen. Die zweitgrößte Parlamentspartei Gorran ist jedoch kritisch. Sie verlangt intensivere Vorbereitungen, um mehr internationale Hilfe zu erhalten. Barzani, dessen Amtszeit eigentlich 2015 abgelaufen wäre, wirft sie vor, er denke bei seiner jetzigen Initiative in erster Linie an das eigene politische Fortkommen.
Nicht nur Bagdad ist gegen das Referendum. Auch die Nachbarländer Türkei und Iran, in denen ebenfalls viele Kurden leben, machen immer mehr Druck. Die türkischen Streitkräfte starteten am Montag Manöver an der Grenze zur Kurdenregion im Nordirak.
Bröckelnde Freundschaft
Der türkische Premier, Binali Yıldırım, bezeichnete das kurdische Referendum als „Frage der nationalen Sicherheit“. Zuvor war Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ mit seiner Forderung, die Abstimmung zu verschieben, bei Barzani auf Granit gestoßen.
Eigentlich gelten die Präsidenten der Türkei und der irakischen Kurdenregion als langjährige Verbündete. Erdogan˘ betrachtet Barzani und dessen konservative PDK als Gegengewicht zur linken Ideologie der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die seit Jahrzehnten einen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat führt. Die Führung in Erbil toleriert auch weitgehend, dass die türkische Luftwaffe Angriffe auf die PKK-Einheiten fliegt, die ihre Rückzugsgebiete in den Bergen im Norden und äußersten Osten der irakischen Kurdenregion haben. Zudem zählen türkische Firmen zu den wichtigsten Investoren in der irakischen Kurdenregion, die in den vergangenen zehn Jahren – bis zum Auftauchen des sogenannten Islamischen Staates (IS) – wirtschaftlich geboomt hat.
Doch jetzt, da Barzani auf Unabhängigkeit setzt, scheint das Ankara zu weit zu gehen. Einerseits wohl aus Angst, dass damit die Bestrebungen der Kurden in der Türkei nach mehr Eigenständigkeit weiter angefeuert werden könnten. Andererseits wegen der Stadt Kirkuk: Dass auch hier das Referendum abgehalten wird, erbost die Türkei. In der erdölreichen Region rund um Kirkuk leben Kurden, Araber und Turkmenen, als deren Schutzmacht sich Ankara sieht.
„Warum helfen sie uns nicht?“
Im Shanidar-Park ist die Menschenmenge weiter angewachsen. Im Meer aus kurdischen Fahnen tauchen auch immer wieder israelischen Flaggen auf. „Israel ist das einzige Land, das uns hilft“, ruft Mustafa, ein etwa 50-Jähriger mit dichtem Schnauzbart. Nur Israels Regierung unterstützt bisher offen das Referendum der Kurdenregion. Die USA, wichtige EU-Staaten und auch UN-Generalsekretär Antonio´ Guterres haben Barzani aufgefordert, die Abstimmung zu verschieben und in erneute Gespräche mit Bagdad einzutreten.
Bei Mustafa stößt das auf Unverständnis: „Warum helfen sie uns nicht? Wir Kurden haben unser Blut im Kampf gegen den IS gegeben. Und jetzt wollen wir endlich unseren eigenen Staat.“