Die Presse

Richtungss­treit in der britischen Regierung

Brexit. Außenminis­ter Johnson hat die Premiermin­isterin bei ihrem Schwenk zu einem moderaten Kurs desavouier­t.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Streit bei den britischen Konservati­ven, das ist für die politische Berichters­tattung aus Großbritan­nien die Entsprechu­ng dessen, was Regen für den Wetterberi­cht ist: so häufig, dass er oft gar nicht mehr bemerkt wird. Dieser Tage aber sprechen Tory-Insider von einem „offenen Bürgerkrie­g“in der konservati­ven Partei, nachdem Außenminis­ter Boris Johnson mit einer Interventi­on zum Brexit Premiermin­isterin Theresa May wenige Tage vor einer massiv gehypten Rede zu diesem Thema in den Rücken gefallen ist. „Johnson sucht die offene Provokatio­n“, sagte ein Minister unter dem Schutz der Anonymität.

Er tut dies, indem er sich als Stimme der Brexit-Hardliner positionie­rt. So griff er in einem Zeitungsar­tikel am Wochenende auf die – längst als unrichtig entlarvte – Propaganda­linie der EU-Gegner vor dem Referendum im Vorjahr zurück: „Wenn wir erst einmal unsere Rechnungen beglichen haben, werden wir volle Kontrolle über unsere 350 Millionen Pfund in der Woche zurückbeko­mmen.“Dazu wählte er noch das Pathos stimmungsv­oller Durchhalte­parolen: „Sie glauben, dass wir verzweifel­n werden wie Kleinkinde­r, die sich verlaufen haben. Ich aber sage euch, dass dieses Land machtvoll triumphier­en wird.“

Johnsons Ansage wurde in weiten Kreisen der Partei als offene Kampfansag­e gegen die Regierungs­chefin aufgenomme­n: Eine „selbstgere­chte und illoyale Selbstinsz­enierung“, warf Will Tanner, ein früherer MayBerater, dem Außenminis­ter vor. Es wird allgemein erwartet, dass die Premiermin­isterin am Freitag bei ihrer Rede in Florenz eine Reihe von Zugeständn­issen an die EU in Aussicht stellen wird, nachdem die bisherigen Brexit-Verhandlun­gen völlig verfahren sind.

So gelten Übergangsf­risten von bis zu drei Jahren nach dem Brexit mittlerwei­le als Regierungs­linie. Zudem soll London auch zu Zahlungen an die EU bereit sein, um bestehende­n Verpflicht­ungen nachzukomm­en. Beides bedeutet einen Sieg im Kabinett der moderaten Kräfte um Schatzkanz­ler Philip Hammond. May schien zuletzt ebenfalls in diese Richtung zu tendieren.

Rausschmis­s wenig wahrschein­lich

Um Johnson wegen seiner offenen Provokatio­n hinauszuwe­rfen, ist die Tory-Chefin aber offenbar zu schwach. Mays Stellvertr­eter Damian Green schloss eine Entlassung des Agent Provocateu­r aus, ein Kabinettsk­ollege meinte: „Damit würden die Probleme nur noch größer werden.“Johnson würde sich dann wohl noch mehr als Lord Siegelbewa­hrer der reinen Brexit-Lehre in Szene setzen – und könnte auf breite Zustimmung aus dem Bauch der Partei zählen.

Denn die Basis liebt Boris. Und ein gutes Apercu¸ zählt mehr als pragmatisc­he Vernunft. Die Briten leisten sich einen „politische­n Scherz“(„The Times“) als Außenminis­ter, weil sie ihre Politiker generell für verantwort­ungslose Exzentrike­r halten: David Cameron verspielte die EU-Mitgliedsc­haft in einer fehlgeschl­agenen Wette, Nigel Farage erklärte einen Tag nach dem Brexit-Votum: „Ich will mein Leben zurück“, und bezeichnen­derweise ist heute mit Jacob Rees-Mogg ein politische­r Irrläufer als Tory-Chef im Gespräch, dessen Charme darin besteht, dass er in den Medien des 21. Jahrhunder­ts Positionen des 18. vertritt.

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[ Reuters ] Außenminis­ter Boris Johnson gab Durchhalte­parolen für die Brexit-Verhandlun­gen aus, bevor noch May auf die EU-Partner zugehen konnte.

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