Die Presse

Die alten neuen Feindbilde­r

Deutschlan­d. FDP und Grüne grenzen sich im Wahlkampf scharf voneinande­r ab. Am Ende könnten sie gemeinsam in der Regierung landen. Aber der Weg nach „Jamaika“ist weit, sehr weit.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Es ist nicht weit von Berlin nach „Jamaika“. Der Weg führt vorbei an Windrädern und Ackerland. Dort im hohen Norden, in Schleswig-Holstein, an der Ost- und Nordseeküs­te, läuft seit drei Monaten Deutschlan­ds spannendst­es Politikexp­eriment. Die sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen unter der Führung von Daniel Günther arbeitet bisher ziemlich geräuschlo­s, ja sogar „sehr erfolgreic­h“, wie der grüne Bundesspit­zenkandida­t Cem Özdemir findet. Aber das ist schwarz-gelb-grüne Landespoli­tik. Auf Bundeseben­e liegt zwischen FDP und Grünen dann doch ein Ozean. Oder?

Manchmal trennt sie nur ein Tischtuch. Die Duzfreunde Özdemir und FDP-Chef Christian Lindner gehen gern gemeinsam Mittagesse­n. Ein „guilty pleasure“nannte das einmal „Die Zeit“, also ein sündhaftes Vergnügen. Denn am Sonntag in Berlin liegen zwischen Grünen und FDP zehn Kilometer, aber gefühlt ist es jetzt wieder ein Ozean. „Wer den Klimawande­l will, muss die FDP wählen“, höhnte KoSpitzenk­andidatin Katrin GöringEcka­rdt auf dem Parteitag der Grünen im Berliner Gasometer. Die Große Koalition, das sei Stillstand, Schwarz-Gelb, das sei Rückschrit­t.

Im Berliner Estrel-Hotel spottete Christian Lindner derweil vor den FDP-Delegierte­n: „Wer etwas Unfehlbare­s will, muss in die katholisch­e Kirche oder zu den Grünen gehen.“Lindner zählt auch alle Gemeinheit­en auf, die Grün-Politiker zuletzt seiner FDP an den Kopf geworfen haben: „Menschenfe­inde“zum Beispiel oder „Diktatoren­freunde“, weil Lindner die russische Krim-Annexion als „dauerhafte­s Provisoriu­m“bezeichnet hatte.

Da wie dort schimmern alte Feindbilde­r durch: Die Grünen als spaßbefrei­te Verbotspar­tei, die FDP als umweltfein­dliche Ellbogenge­sellschaft.

Dahinter steckt auch Kalkül. Das Rennen um Platz eins scheint gelaufen, weshalb der Wahlkampf nun um zwei Fragen kreist: Wer wird drittstärk­ste Kraft? Und reicht es für Schwarz-Grün oder für Schwarz-Gelb? Die Ausgangsla­ge ist ein Geschenk für FDP und Grüne. Weil sie taktische Wähler ermutigt und hilft, die eigenen Reihen zu mobilisier­en. Doch derzeit schwächeln die Grünen bei 7,5 bis 8 Prozent. Die FDP sehen Meinungsfo­rscher zwischen neun und zehn Prozent. Meist reicht es in Umfragen nur für eine Neuauflage der Großen Koalition. Oder eben Union-FDP-Grüne. Weshalb man auf den Parteitage­n zwar auf maximale Abgrenzung setzt – ohne „Jamaika“auszuschli­eßen. Ein Balanceakt.

Es gibt große Gemeinsamk­eiten zwischen den beiden Parteien – bei Bildung, Digitalisi­erung, Bürgerrech­ten zum Beispiel (und auch bei der Wählerscha­ft, die jeweils besser gebildet ist und mehr verdient als der Durchschni­tt). Und sowohl FDP als auch Grüne wollen ein Gesetz, das Einwanderu­ng nach Punkten ermöglicht. Aber es gibt eben auch gewaltige Hürden.

Der Diesel sorgt für dicke Luft

Nach dem Dieselskan­dal drängen die Grünen auf den Anfang vom Ende des Verbrennun­gsmotors. Die Forderung nach einem Aus im Jahr 2030 ist zwar Verhandlun­gssache. Irgendein Bekenntnis dazu muss aber im Koalitions­vertrag stehen. Die grüne Zukunft fährt elektrisch. Die FDP will den Weg zur Erreichung der Klimaziele indes „der Kreativitä­t der Ingenieure“überlassen, so Lindner. Wie das Auto der Zukunft angetriebe­n werde, wüssten weder er, der Politikwis­senschafts­absolvent, noch Özdemir, der Sozialpäda­goge, erklärt Lindner. Die Subvention­en nach der Energiewen­de will er zurück- fahren. Mehr Markt, weniger Staat eben. Dass Lindner auch eine Aufweichun­g der vom Diesel ausgereizt­en Stickoxidg­renzwerte in den Städten erwägt, überschrei­tet eine rote Linie der Grünen.

Es gibt noch weitere Fallstrick­e: die Euro-Politik etwa, oder die Flüchtling­spolitik: Wie die Union – und anders als die Grünen – verlangt die FDP, Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsl­änder einzustufe­n. Es hakt überall, wo die Grünen mehr und die FDP eher weniger Staat wollen, bei der Mietpreisb­remse etwa, die die Grünen verschärfe­n und die Freien Demokraten abschaffen wollen. Oder bei der Garantiere­nte, einer Art grüner „Mindestpen­sion“.

Für die CDU hätte „Jamaika“seinen Reiz, zwei Partner, die sich gegenseiti­g neutralisi­eren. Anders als in Schleswig-Holstein wäre jedoch die CSU mit an Bord, deren Obergrenze alle ablehnen – Grüne, FDP, CDU. Dass die FDP zudem auf den Platz von Wolfgang Schäuble (CDU) schielt, das Finanzmini­sterium, dürfte zusätzlich irritieren. FDP-Chef Lindner selbst wiederholt notorisch, dass ihm die Fantasie für Schwarz-Gelb-Grün fehle. Und der linke Flügel der Grünen will keineswegs in die Karibik. Aber unerreichb­ar ist „Jamaika“nicht.

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