Die Presse

Knackig am Gaumen

- VON DUYGU ÖZKAN E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

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mag Muskatnuss, verwende das Gewürz aber viel zu selten bis eigentlich gar nie, weil ich beim Einkaufen immer vergesse, dass Muskatnüss­e existieren. Überhaupt habe ich mich in meinem bisherigen Leben kaum mit der Muskatnuss beschäftig­t, deswegen hat mich ja alles so kalt erwischt. Besuch aus der Türkei, Museumsbes­uche, Kaffeehaus­touren, Schnitzelü­berfressun­gen und abends ein Lokal mit Weinkarte so dick wie eine Dissertati­on. „Was steht da?“, fragt mich da unser Gast, und ich lese Dinge wie Muskatparf­um, Säurestruk­tur, frische Nase, knackig am Gaumen, Minzeanklä­nge und harmonisch eingebunde­ne Tannine. „Es schmeckt wie ein Parfüm“, übersetze ich ihm denkbar schlecht, „wie ein Parfüm aus . . . diesem einen Gewürz“. Was Muskatnuss auf Türkisch heißt, wusste ich nämlich gar nicht, und es kam alles noch schlimmer, weil erstens, Tannine kenne ich nicht mal auf Deutsch, und zweitens, die wörtlichen Übersetzun­gen führen eher dazu, dass man den Wein bestimmt nicht trinken will. Aus Säurestruk­tur habe ich asit strüktür gemacht und dem Wein damit unfreiwill­ig eine radioaktiv­e Note verliehen. Die Minzeanklä­nge klangen bei mir nicht so zauberhaft, bei der frischen Nase wurde der Gast leicht unruhig, und bei knackig am Gaumen habe ich fast zu weinen begonnen, denn das ergibt nicht nur keinen Sinn, es ist auch zu hundert Prozent unübersetz­bar.

Jedenfalls will ich nicht über wörtliche Sprachverm­ittlungen schimpfen, in Wahrheit unterhalte­n sie mich ja enorm. Die Mama erzählt von einem Streit bei uns in Vorarlberg, ein türkischer und ein österreich­ischer Nachbar keppeln einander wegen einem Stück Garten oder so an, und irgendwann ruft der türkische Bewohner wutentbran­nt über den Zaun, eine altbekannt­e anatolisch­e Tirade wörtlich übersetzen­d: „Deine Milch ist kaputt, du Dreierpapi­er!“* Die beleidigen­de Wirkung konnte sich freilich nicht ganz entfalten, der Vorarlberg­er stand verwirrt herum und warf dem Nachbarn ein „Du kaasch mi am Buckl fünfala“zu, und darüber hat der türkische Nachbar auch lange nachdenken müssen. *sütü bozuk, üc kagıt˘cı!¸

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