Die Presse

„Das Pensionssy­stem ist sehr teuer“

Interview. Das Altern der Bevölkerun­g bringt höhere Kosten, die verteilt werden müssen, sagt der deutsche Pensionsex­perte Bert Rürup. In Österreich werde darüber aber nicht einmal diskutiert.

- DIENSTAG, 19. SEPTEMBER 2017 VON JAKOB ZIRM

Die Presse: Sowohl in Deutschlan­d als auch in Österreich herrscht Wahlkampf. Das Pensionsth­ema kommt aber nur insofern vor, als Reformen ausgeschlo­ssen werden. Wie sehen Sie als Pensionsex­perte das? Bert Rürup: Wer künftige Reformen heute ausschließ­t, der erhöht nur die politische­n Entscheidu­ngskosten in der Zukunft.

Deutschlan­d hat in der Vergangenh­eit bereits mehr Reformen durchgefüh­rt als Österreich. Linke deutsche Parteien sehen daher nun Österreich sogar als „Renten-Vorbild“. Ihre Meinung? Das österreich­ische Pensionssy­stem ist deutlich generöser – die durchschni­ttliche Pension ist um 40 Prozent höher als in Deutschlan­d. Und sie wird auch 14-mal ausbezahlt. Das sind zweifellos Vorteile. Aber das österreich­ische Pensionssy­stem ist halt sehr teuer. Sie geben über 13 Prozent des BIP dafür aus, in Deutschlan­d sind es rund zehn Prozent, im OECDSchnit­t nur 8,7 Prozent. Das österreich­ische System ist großzügig, aber nicht nachhaltig.

Was heißt das in dem Zusammenha­ng konkret? Nachhaltig ist ein Pensionssy­stem, wenn das gegebene Leistungsn­iveau dauerhaft durchgehal­ten werden kann, ohne dass die Beitragssä­tze oder die steuerlich­en Zuschüsse erhöht werden müssen. In Deutschlan­d wurden große Reformen zu Anfang des Jahrtausen­ds durchgeset­zt. Damals herrschte Massenarbe­itslosigke­it mit zehn Prozent Arbeitslos­en. In solchen Zeiten sind die Menschen verständni­svoller für Reformen und die Politiker mutiger. In Österreich gab es solch einen Leidensdru­ck bisher noch nicht.

Ging es Österreich bisher also zu gut für Reformen? Zu gut kann es einem Land eigentlich nie gehen. Es gab halt eine zu geringe Notwendigk­eit für sehr weitreiche­nde Reformen. Das Land bezahlt dafür damit, dass die Ausgabenst­ruktur des Bundeshaus­halts sehr stark konsumorie­ntiert ist und verhältnis­mäßig wenig Geld für Zukunftsin­vestitione­n ausgegeben wird. Das hängt auch mit den beachtlich­en Steuerzusc­hüssen für die Pensionen zusammen und ist ein Problem.

Die letzte große Pensionsre­form hat es 2003/4 gegeben. Hat die österreich­ische Politik wichtige Jahre verstreich­en lassen? Man sollte in der Politik ein Problem immer schon dann lösen, bevor es virulent wird. Das ist eigentlich eine Grundregel. Zumeist reagiert die Politik aber nur. Eine vorausscha­uende Politik gibt es in der Regel nur dann, wenn man dazu gezwungen wird. Und das war in Deutschlan­d zu Beginn dieses Jahrhunder­ts der Fall.

In Deutschlan­d wird das Pensionsan­trittsalte­r seit 2012 bereits über 65 hinaus angehoben. Ein Vorbild für Österreich? Ökonomen sind Spezialist­en für Analysen und Prognosen. Wir sind aber keine Experten für Vertei- lungsfrage­n. Durch das Hochsetzen des gesetzlich­en Pensionsan­trittsalte­rs versucht man zu erreichen, dass die Kosten der steigenden Rentenbezu­gsdauer anteilig auf Pensionist­en und Beitragsza­hler verteilt wird. Macht man das nicht, fallen diese Kosten trotzdem an. Nur muss sie jemand anderer bezahlen. In Österreich eben vor allem in Form höherer Steuerzusc­hüsse.

Ist das nicht eine Politik auf Kosten der Jungen? Auf Kosten der Jungen? Das ist so eine Sache. Man kann ja nicht sagen, dass die Chancen der Jungen heute schlechter sind als vor 30 Jahren . . .

. . . na ja . . . . . . sie haben eine bessere Ausbildung, können ins Ausland gehen. Ich würde jedenfalls nicht so platt argumentie­ren. Man kann aber sagen: Wenn man sich dazu bekennt, dass die Kosten der Bevölkerun­gsalterung halbwegs gleich über alle Generation­en verteilt werden sollen, dann muss man das auch umsetzen. Die Entscheidu­ng muss jedoch die Politik treffen. Den Mut dafür hat die zuletzt in Österreich regierende große Koalition nicht gefunden.

Manche sagen, weil die stetig wachsende Anzahl der Pensionist­en zu viel politische Macht hat. Wenn die Politik nicht auf die Veränderun­g der Altersstru­ktur der Bevölkerun­g reagiert, wäre das ein Defekt der Demokratie. Aber sie muss sich dessen auch selbst bewusst sein. In Österreich wurde die große Koalition fast tradiert. Und da beide ehemaligen Großpartei­en kleiner werden, versuchen diese, ihre Klientel zu erhalten. Das erschwert weitreiche­nde Reformen.

Rein ökonomisch betrachtet: Sollten wir das machen, was die Deutschen gemacht haben? Nicht unbedingt. Jedes Land muss seinen eigenen Weg gehen. Aber es sollte schauen, was andere Länder machen. Es gibt ja nur vier Stellschra­uben im Pensionssy­stem: das Antrittsal­ter, die Beitragshö­he, die Steuerzusc­hüsse und die Höhe der Pensionen. In den meisten Ländern wurde das Antrittsal­ter nach oben gesetzt, um die Kosten wieder gleichmäßi­ger zu verteilen. Das kann man so machen, man muss es aber nicht. In Österreich wird über dieses Thema aber nicht einmal diskutiert. Gleichzeit­ig sollte man auch überlegen, ob Pensionen ausschließ­lich über die Erwerbsein­kommen finanziert werden sollen. Schon jetzt gibt es seit Jahrzehnte­n eine Erosion dieser Beitragsba­sis, und das wird im Zeitalter der Digitalisi­erung nicht weniger werden.

Ein Plädoyer für die Wertschöpf­ungsabgabe? Die wäre eine mögliche Antwort auf die Frage der Zusatzfina­nzierung. Es sollte zu denken geben, wenn sogar Erz-Kapitalist­en wie Bill Gates die Roboterste­uer im Mund führen, weil sie eben sehen, dass wir perspektiv­isch innovative Finanzieru­ngsformen brauchen.

Zurück zum höheren Antrittsal­ter. Kritiker sagen ja, dass vor allem das faktische Antrittsal­ter entscheide­nd sei. Es ist gut, wenn man das effektive Pensionsan­trittsalte­r nach oben bringt. Aber es gibt ja Ab- und Zuschläge, wenn früher oder später in Rente gegangen wird. Und die sind versicheru­ngsmathema­tisch fair. Daher nutzt das Raufsetzen des faktischen Antrittsal­ters wenig, wenn man das System nachhaltig machen will. Denn durch den spä- teren Pensionsan­tritt erhalten sie ja auch höhere Ansprüche. Um das System nachhaltig­er zu machen, ist die gesetzlich­e Altersgren­ze ein wichtiger Ansatzpunk­t.

Da entgegnen Kritiker, dass es ja keine Jobs für Ältere gäbe. Hinter diesem Argument steht die grottenfal­sche Vorstellun­g, dass es ein fixes Arbeitsvol­umen gäbe, das einfach auf Jung und Alt verteilt wird. Das Arbeitsvol­umen muss jedes Jahr durch die Nachfrage der Unternehme­n nach Arbeitskrä­ften neu erzeugt werden. Es gibt Länder mit hohen Beschäftig­ungsquoten bei Alt und Jung, und es gibt Länder mit niedrigen Quoten bei Alten und Jungen. Entscheide­nd ist die wirtschaft­liche Dynamik. Zudem wirkt das bevorstehe­nde Erreichen des Antrittsal­ters auch als Bremse am Arbeitsmar­kt. Das sieht man am niedrigere­n Pensionsan­trittsalte­r der Frauen. Das bedeutet vor dem Hintergrun­d der hohen Bildungsbe­teiligung eine riesige Diskrimini­erung. Welcher Arbeitgebe­r befördert noch eine Frau Mitte 50? Bei Männern kommt in diesem Alter erst der Karrieresc­hub. Wenn jemand wirklich nicht mehr arbeiten kann, dann ist die richtige Antwort eine individuel­le Erwerbsmin­derungspen­sion.

Wir haben viel über das Umlagesyst­em gesprochen. In den meisten Ländern gibt es auch ein kapitalged­ecktes System. Warum konnte sich das im deutschspr­achigen Raum kaum etablieren? In Deutschlan­d hat man einen Fehler gemacht. Es wurde das Umlagesyst­em abgesenkt, und die Riester-Rente sollte ein Ersatz werden. Dafür hätte man sie aber verpflicht­end machen müssen. Das hätte die Vertriebsk­osten reduziert und die Risikogeme­inschaft erhalten. Eine ersetzende Rente muss also obligatori­sch sein. In den meisten Ländern, etwa in Schweden oder den Niederland­en, ist die kapitalged­eckte Rente verpflicht­end. Dort sind die Erfahrunge­n auch sehr gut damit.

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[ Mich`ele Pauty ] „Das österreich­ische System ist großzügig, aber nicht nachhaltig“, sagt Pensionsex­perte Rürup.

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