„Das Pensionssystem ist sehr teuer“
Interview. Das Altern der Bevölkerung bringt höhere Kosten, die verteilt werden müssen, sagt der deutsche Pensionsexperte Bert Rürup. In Österreich werde darüber aber nicht einmal diskutiert.
Die Presse: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich herrscht Wahlkampf. Das Pensionsthema kommt aber nur insofern vor, als Reformen ausgeschlossen werden. Wie sehen Sie als Pensionsexperte das? Bert Rürup: Wer künftige Reformen heute ausschließt, der erhöht nur die politischen Entscheidungskosten in der Zukunft.
Deutschland hat in der Vergangenheit bereits mehr Reformen durchgeführt als Österreich. Linke deutsche Parteien sehen daher nun Österreich sogar als „Renten-Vorbild“. Ihre Meinung? Das österreichische Pensionssystem ist deutlich generöser – die durchschnittliche Pension ist um 40 Prozent höher als in Deutschland. Und sie wird auch 14-mal ausbezahlt. Das sind zweifellos Vorteile. Aber das österreichische Pensionssystem ist halt sehr teuer. Sie geben über 13 Prozent des BIP dafür aus, in Deutschland sind es rund zehn Prozent, im OECDSchnitt nur 8,7 Prozent. Das österreichische System ist großzügig, aber nicht nachhaltig.
Was heißt das in dem Zusammenhang konkret? Nachhaltig ist ein Pensionssystem, wenn das gegebene Leistungsniveau dauerhaft durchgehalten werden kann, ohne dass die Beitragssätze oder die steuerlichen Zuschüsse erhöht werden müssen. In Deutschland wurden große Reformen zu Anfang des Jahrtausends durchgesetzt. Damals herrschte Massenarbeitslosigkeit mit zehn Prozent Arbeitslosen. In solchen Zeiten sind die Menschen verständnisvoller für Reformen und die Politiker mutiger. In Österreich gab es solch einen Leidensdruck bisher noch nicht.
Ging es Österreich bisher also zu gut für Reformen? Zu gut kann es einem Land eigentlich nie gehen. Es gab halt eine zu geringe Notwendigkeit für sehr weitreichende Reformen. Das Land bezahlt dafür damit, dass die Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts sehr stark konsumorientiert ist und verhältnismäßig wenig Geld für Zukunftsinvestitionen ausgegeben wird. Das hängt auch mit den beachtlichen Steuerzuschüssen für die Pensionen zusammen und ist ein Problem.
Die letzte große Pensionsreform hat es 2003/4 gegeben. Hat die österreichische Politik wichtige Jahre verstreichen lassen? Man sollte in der Politik ein Problem immer schon dann lösen, bevor es virulent wird. Das ist eigentlich eine Grundregel. Zumeist reagiert die Politik aber nur. Eine vorausschauende Politik gibt es in der Regel nur dann, wenn man dazu gezwungen wird. Und das war in Deutschland zu Beginn dieses Jahrhunderts der Fall.
In Deutschland wird das Pensionsantrittsalter seit 2012 bereits über 65 hinaus angehoben. Ein Vorbild für Österreich? Ökonomen sind Spezialisten für Analysen und Prognosen. Wir sind aber keine Experten für Vertei- lungsfragen. Durch das Hochsetzen des gesetzlichen Pensionsantrittsalters versucht man zu erreichen, dass die Kosten der steigenden Rentenbezugsdauer anteilig auf Pensionisten und Beitragszahler verteilt wird. Macht man das nicht, fallen diese Kosten trotzdem an. Nur muss sie jemand anderer bezahlen. In Österreich eben vor allem in Form höherer Steuerzuschüsse.
Ist das nicht eine Politik auf Kosten der Jungen? Auf Kosten der Jungen? Das ist so eine Sache. Man kann ja nicht sagen, dass die Chancen der Jungen heute schlechter sind als vor 30 Jahren . . .
. . . na ja . . . . . . sie haben eine bessere Ausbildung, können ins Ausland gehen. Ich würde jedenfalls nicht so platt argumentieren. Man kann aber sagen: Wenn man sich dazu bekennt, dass die Kosten der Bevölkerungsalterung halbwegs gleich über alle Generationen verteilt werden sollen, dann muss man das auch umsetzen. Die Entscheidung muss jedoch die Politik treffen. Den Mut dafür hat die zuletzt in Österreich regierende große Koalition nicht gefunden.
Manche sagen, weil die stetig wachsende Anzahl der Pensionisten zu viel politische Macht hat. Wenn die Politik nicht auf die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung reagiert, wäre das ein Defekt der Demokratie. Aber sie muss sich dessen auch selbst bewusst sein. In Österreich wurde die große Koalition fast tradiert. Und da beide ehemaligen Großparteien kleiner werden, versuchen diese, ihre Klientel zu erhalten. Das erschwert weitreichende Reformen.
Rein ökonomisch betrachtet: Sollten wir das machen, was die Deutschen gemacht haben? Nicht unbedingt. Jedes Land muss seinen eigenen Weg gehen. Aber es sollte schauen, was andere Länder machen. Es gibt ja nur vier Stellschrauben im Pensionssystem: das Antrittsalter, die Beitragshöhe, die Steuerzuschüsse und die Höhe der Pensionen. In den meisten Ländern wurde das Antrittsalter nach oben gesetzt, um die Kosten wieder gleichmäßiger zu verteilen. Das kann man so machen, man muss es aber nicht. In Österreich wird über dieses Thema aber nicht einmal diskutiert. Gleichzeitig sollte man auch überlegen, ob Pensionen ausschließlich über die Erwerbseinkommen finanziert werden sollen. Schon jetzt gibt es seit Jahrzehnten eine Erosion dieser Beitragsbasis, und das wird im Zeitalter der Digitalisierung nicht weniger werden.
Ein Plädoyer für die Wertschöpfungsabgabe? Die wäre eine mögliche Antwort auf die Frage der Zusatzfinanzierung. Es sollte zu denken geben, wenn sogar Erz-Kapitalisten wie Bill Gates die Robotersteuer im Mund führen, weil sie eben sehen, dass wir perspektivisch innovative Finanzierungsformen brauchen.
Zurück zum höheren Antrittsalter. Kritiker sagen ja, dass vor allem das faktische Antrittsalter entscheidend sei. Es ist gut, wenn man das effektive Pensionsantrittsalter nach oben bringt. Aber es gibt ja Ab- und Zuschläge, wenn früher oder später in Rente gegangen wird. Und die sind versicherungsmathematisch fair. Daher nutzt das Raufsetzen des faktischen Antrittsalters wenig, wenn man das System nachhaltig machen will. Denn durch den spä- teren Pensionsantritt erhalten sie ja auch höhere Ansprüche. Um das System nachhaltiger zu machen, ist die gesetzliche Altersgrenze ein wichtiger Ansatzpunkt.
Da entgegnen Kritiker, dass es ja keine Jobs für Ältere gäbe. Hinter diesem Argument steht die grottenfalsche Vorstellung, dass es ein fixes Arbeitsvolumen gäbe, das einfach auf Jung und Alt verteilt wird. Das Arbeitsvolumen muss jedes Jahr durch die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften neu erzeugt werden. Es gibt Länder mit hohen Beschäftigungsquoten bei Alt und Jung, und es gibt Länder mit niedrigen Quoten bei Alten und Jungen. Entscheidend ist die wirtschaftliche Dynamik. Zudem wirkt das bevorstehende Erreichen des Antrittsalters auch als Bremse am Arbeitsmarkt. Das sieht man am niedrigeren Pensionsantrittsalter der Frauen. Das bedeutet vor dem Hintergrund der hohen Bildungsbeteiligung eine riesige Diskriminierung. Welcher Arbeitgeber befördert noch eine Frau Mitte 50? Bei Männern kommt in diesem Alter erst der Karriereschub. Wenn jemand wirklich nicht mehr arbeiten kann, dann ist die richtige Antwort eine individuelle Erwerbsminderungspension.
Wir haben viel über das Umlagesystem gesprochen. In den meisten Ländern gibt es auch ein kapitalgedecktes System. Warum konnte sich das im deutschsprachigen Raum kaum etablieren? In Deutschland hat man einen Fehler gemacht. Es wurde das Umlagesystem abgesenkt, und die Riester-Rente sollte ein Ersatz werden. Dafür hätte man sie aber verpflichtend machen müssen. Das hätte die Vertriebskosten reduziert und die Risikogemeinschaft erhalten. Eine ersetzende Rente muss also obligatorisch sein. In den meisten Ländern, etwa in Schweden oder den Niederlanden, ist die kapitalgedeckte Rente verpflichtend. Dort sind die Erfahrungen auch sehr gut damit.